3) Mündlicher Bericht der Kommission für die Geschäftsord­

nung, betreffend drei Schreiben des Reichskanzlers zur Er­mächtigung der strafrechtlichen Verfolgung des Herrn H. Arnold aus Königsberg  , des Grafen C. Baudissin aus Lübeck   und des Herrn A. Hörig aus Hamburg   wegen Beleidigung des Reichstages.( Die Kommission beantragt, die Ermächtigung nicht zu ertheilen.) 4) Dritter Bericht der Kommission für Petitionen, betreffend die eingegangenen, sich auf den Zoll auf Eisen, Stahl­waaren und Maschinen beziehenden Petitionen.

Zu Punkt 1 Artikel 2a hat der Abg. Berger den Antrag gestellt, das in zweiter Lesung auf 10 Kilogramm festgestellte Gewicht für Poſtgepäckgegenstände auf 5 Kilogramm zu reduziren. Der Betreffende erhält das Wort zu seinem Antrage und ist der Ansicht, daß bei den Ueberschüssen, welche die Poſt erziele, die klei­nigfeit von 1,000,000 wohl mit Recht den Eisenbahnen zufließen müsse.

Abg. Grumbrecht ist der Ansicht, daß der vom Abg. Ber­ger in Aussicht gestellte Ueberschuß, mit Rücksicht auf die Ver­bindung der Post- und Telegraphen- Verwaltung, durchaus nicht sicher sei, da ja bekanntlich die Telegraphen- Verwaltung eine Unterbilanz habe.

General- Bostbirefter Stephan mill in den Ausführungen Berger's nichts Neues finden und beweist historisch, daß das Monopol- Unwesen den römischen Staat zu Grunde gerichtet,( fehr gut, Herr General- Postdirektor, wenn die Reichsregierung nur fonsequent hiernach handeln wollte,) deutet ferner darauf hin, daß bei dem steten Steigen der Lebensbedürfnisse, der bis jetzt er­zielte Ueberschuß sehr rasch verschwinden könne und daß ferner die deutschen   Postbestimmungen nicht die ungünstigsten, sondern daß verschiedene ausländische Postbestimmungen noch weit un­günstiger für die Eisenbahnen seien.

Der Abg. Berger sucht verschiedene Ausführungen der bei­den vorhergehenden Redner zu widerlegen.

Es erfolgt Abstimmung. Dieselbe ergiebt, daß der Antrag Berger abgelehnt und zehn Kilogramm mit großer Majorität an­genommen werden.

Die Artikel 3, 4, 5, 6 werden ohne Debatte angenommen. Artikel 7 al. 3 ruft eine kurze Debatte hervor. Die Ab­stimmung ergiebt die Annahme der in zweiter Lesung beschlossenen Bestimmung mit großer Majorität.

Zu Artikel 8, betreffend die durch die Beförderung der Post­wagen vorkommenden Unglücksfälle und deren Entschädigung hatte durch die Bestimmung in zweiter Lesung die Postverwal­tung, gegenüber den Eisenbahnen, eine Beeinträchtigung erlitten. Abg. Dr. von Schwarze nimmt das Wort zu dem von ihm ge­stellten Antrage um Wiederherstellung der Regierungsvorlage.

Die Angelegenheit ruft eine längere Debatte hervor, an welcher der General- Postdirektor, ein Bundeskommissar, die bei­den Reichensperger und mehrere andere Abgeordnete sich betheili­gen. Es werden im Wesentlichen die in zweiter Lesung hervor­gehobenen Bedenken in Hinsicht auf das Haftpflichtgesetz für und wider besprochen. Die Abstimmung ist zweifelhaft und der Ham melsprung wird nothwendig. Derfelbe ergiebt für den Antrag Schwarze 100( unter denselben die Stimmen der Social- Demo­fraten), gegen denselben 128. Die Regierungsvorlage ist somit verworfen und hat die Post gegenüber den Eisenbahnen letteren nachzuweisen, daß durch ihre Schuld die Verlegung, resp. der Tod eines Postbeamten, herbeigeführt.

Die übrigen Artikel werden ohne Debatte angenommen. Der zweite Gegenstand der Tagesordnung wird ebenfalls ohne weitere Debatte erledigt.

Zum dritten Gegenstand der Tagesordnung, gegen allen früheren Gebrauch, nimmt der Abg. Grumbrecht das Wort, ber, reaktionärer als die eigentlichen Ronservativen, Lust empfand, daß der Reichstag   auch à la Bismard Strafanträge stelle. Er griff sich von den drei Attentätern den Grafen Baudissin heraus, den er wohl Luft hatte, auf dem Altar des National- Liberalismus abzuschlachten. Windthorst wies ihn kurz zurück und das Haus beschloß den Kommissions- Anträgen gemäß.

Zu Punkt 4, welcher eine sehr lange Debatte hervorrief, da es sich um Schutzzoll oder Freihandel handelte, bekommt nach dem Referenten Richter( Tharand), der Abgeordnete Löwe das Wort für Schutzzoll resp. vorläufige Forterhaltung des jeßigen Zustandes( nach dem Gefeß sollen am 1. Juli 1876 die Zölle auf Eisen fallen).

Die Petitionen wollten diesen Zeitpunkt hinausgeschoben wissen. Mit großer Majorität ging aber der Reichstag   zur Tages­ordnung über dieselben über.

Schluß der Situng gegen 6 Uhr. Nächste Sigung Donnerstag 11 ulr.

Politische Uebersicht.

Berlin  , 9. Dezember.

Die Vorarbeiten für das Reichs- Vereinsgesetz sind, wie die Norddeutsche Allgemeine Zeitung" offiziös meldet, neuer­dings wieder aufgenommen worden. Es finden darüber zur Zeit kommissarische Berathungen statt. Selbstverständlich handelt es sich dabei nicht um eine Vorlage für die gegenwärtige Seffion.

Gegen den bekannten freireligiösen Prediger Hofferichter in Breslau   ist zum 18. Dezember ein neuer Termin in der bekann­ten Angelegenheit anberaumt worden. Das unerquickliche Drama dürfte sich allem Anscheine nach noch einmal wieder abspielen.

Die Königsberger Socialisten erfreuen sich in der letzten Beit wieder einer ganz besonderen Theilnahme seitens der Poli­zei. So fanden am 4. Dezember bei den Parteigenossen Gri  : gatis und Meißlin wieder große Haussuchungen statt. Ueber das Resultat derselben verlautet noch Nichts.

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Dem französischen   General Gribeauval, dem Schöpfer der Feuerschlünde", die seit der Regierung Ludwigs XV. in Gebrauch sind und mit denen die großen" Kriege der Republik  und des Kaiserreichs geführt sind, hat bis jetzt ein Denkmal ,, ge­fehlt". Diese Lücke" soll ausgefüllt werden. In dem Atelier des Bildhauers Bartholdi   in Pars befindet sich bereits das fer­tige Thonmodell der Statue, die bald in einem Hofe des Artil­lerie- Museums( Hotel des Invalides  ) aufgestellt werden wird. Außerdem beschäftigt man sich eifrig damit, dem Artillerie- Mu­feum eine Sammlung sämmtlicher Angriffs- und Vertheidigungs­Waffen einzuverleiben, die seit der Zeit des Kaisers Karl in Ge­brauch waren bis zu der Ludwigs XIII., unter dessen Regierung die alte Bewaffnungsart aufgegeben und die Rüstung durch die Uniform ersetzt wurde. Besser wäre es allerdings, wenn die Trabanten des Herrn Mac Mahon   sich vergegenwärtigten, wie das Proletariat lebt, anstatt solche oftmals lächerlichen Spielereien zu treiben.

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Der bekannte englische   Schriftsteller Sir Samuel Baker  sprach am 5. Dezember in Exeter   über die Sclavenfrage und bezeichnete es dabei als einen Jrrthum", zu glauben, daß die Sclaven selbst frei zu werden wünschten". Dennoch sei es Pflicht der civilisirten Nationen, die Sclaverei auszurotten, um der Uebel willen, die sie im Gefolge habe. Die sofortige Befreiung der Sclaven würde allerdings mit Schwierigkeiten verknüpft sein und ihre Lage nicht verbessern. Er empfahl den Plan, von sieben zu sieben Jahren einen Theil der Leibeigenen aus der Hörigkeit zu entlassen und so den Herren derselben die erforderliche Frist zu den nöthigen Vorbereitungen, sowie den Sclaven die Gelegenheit zu gewähren, sich die für die Freiheit unerläßliche Bildung zu erwerben. Gewiß die beste Illustration zu unserem Bourgeois­Humanismus.

Main  " bei Barnsley  , einer der größten Gruben im südlichen Am 6. Dezember hat in der Kohlengrube ,, Swaithe Yorkshire, eine furchtbare Explosion stattgefunden. Zur Zeit der Katastrophe befanden sich mehr als dreihundert Grubenarbei­ist allem Anscheine nach ums Leben gekommen. Die Einzelheiten ter in der Grube nnd der bei weitem größere Theil derselben über das gräßliche Unglück fehlen noch.

Viel Lärm verursacht in Italien   die Verhaftung des Erschatmeisters von Turin  , Cavaliere Bignami. mehreren Monaten hegte das Miniſterium des Innern Zweifel Schon seit über seine Verwaltung der Kassen in Turin  . Eine plötzliche Untersuchung im Bureau deckte schlimme Zustände auf. Bignami wurde aufgefordert, das Bureau zu verlassen und seine Papiere nahm ein Beauftragter des Ministeriums mit sich. Bald darauf wurde der Commandant der Guardie di publica sicurrezza und drei oder vier Beamte als Complicen verhaftet. Bignami, der vor ein paar Monaten in Ruhestand versezt worden, hatte eine bedeutende Summe bezahlt, um die angegriffenen Rassen zu ent schädigen; aber das rettete ihn nicht vor dem Prozeß, den der königliche Prokurator in Turin   gegen ihn eingeleitet hat. Es handelt sich um ein ganzes Betrugsystem. Er ist beschuldigt, daß er sich die Erlaubniß Wirthshäuser, Cafés, Liqueurverkäufe zu er= öffnen, theuer bezahlen ließ. Man erzählt sich die abenteuer­lichsten Geschichten, wie Bignami von allen Seiten, sin Amt dazu benußend, Geld expreßte, das in seine Privatkasse wanderte. Bignami ist nun nach Turin   abgeführt worden.

Washington zusammengetreten; es waren 286 Deputirte anme Am Montag ist der Vereinigte Staaten  - Kongres in fend, zum Sprecher wurde Kerr mit 173 Stimmen gewählt. Die Ausgaben des Kriegs- Ministeriums belaufen sich auf 41,277,000 Dollars, 1,000,000 Dollars weniger als veranschlagt war, und werden pro 1876 auf 33,452,000 Dollars angeschlagen.

Die Untersuchung der nicht zahlungsfähigen Moskauer  Commerzleihbant nimmt immer größere Ausdehnung an und gestaltet sich dermaßen, daß noch mehrere Wochen bis zur Auf­nahme der Gerichtsverhandlungen vergehen dürften. Nicht nur sind sämmtliche Conseilsglieder und die Direktoren der Bank zur Verantwortung gezogen, auch einige Börsenmatler, die nach dem 18. Dftober, also zu einer Zeit, in der Zahlungsunfähigkeit der Bank außer Frage stand, den Verkauf der Commerzl ihbanfaftien auf der Börse vermittelten, sind des Betrugs angeflagt. Die berühmtesten Rechtsanwalte Moskaus   werden die zur kriminellen Verantwortung gezogenen Confeilsglieder vertheidigen. Seitens des Gerichts werden der Bankverwaltung Handlungen zur Last gelegt, die in den Artikeln 1198, 1199, 1155 und 13 Pfi. 4 des russischen Strafgesetzes vorhergesehen sind. Da Dr. Strous berg auf Grundlage dieser Artikel als Theilnehmer an den Hand­lungen der Repräsentanten des bankerotten Geldinstituts unter gerichtliche Untersuchung gestellt ist, so dürfte es sicher unsere Leser intereffiren, den Wortlaut der einschlägigen Gesetzesartikel zu erfahren. zu erfahren. Artikel 1198 besagt: Mitglieder mit Genehmigung der Obrigkeit errichteter Handlungshäuser, Commanditen oder Aktien- Compagnien, welche vorfäßlich die ihnen von dem Handels­hause, der Commandite oder Aktien- Compagnie ertheilte Voll­macht oder den ihnen gemachten Kredit zu deren Nachtheil ver­wenden, unterliegen hierfür der auf betrügerische Entwendung ge­ſetzten Strafe. Außerdem sind sie zu Ersatz verpflichtet. Artikel 1199 untersagt die Unterschlagung anvertrauter Aften oder an­vertrauten Gutes, wie auch eigenmächtige Verschleuderung und Aneignung solchen Gutes unter Androhung des höchsten Maßes der für diese Verbrechen bestimmten Strafe. Artifel 1155 lautet: Beamte und Amtspersonen der Reichs- Kreditanstalten und der von Korporationen oder Privaten errichteten Banken unterliegen für vorschriftswidrige und böswillige Maßnahmen bei Effeftuirung von Anleihen oder bei Herausgabe der Einlagen mit Nachtheil für die Anstalt, bei der sie dienen, den im Art. 354 auf Ver­schleuderung von Amtswegen anvertrauten Gutes gesetzten Stra­fen. Punkt 4 des Art. 13 definirt bei einem auf vorgängige Verabredung von Mehreren verübten Verbrechen die Begünstiger als diejenigen, welche, ohne unmittelbar an dem Vollbringen des Verbrechens selbst Theil genommen zu haben, jedoch aus eigennützigen oder anderen persönlichen Rücksichten den Urhebern des Verbrechens Hülfe leisteten, sich anheischig machten, durch Rath und Nachweisung und Mittheilungen von Auskünften, oder aber durch irgend welche Unterstüßung." Die auf diese verbreche rischen Handlungen gesetzten Strafen sind: Geldbußen, Amtsent­setzung, Ausschließung aus dem Dienst, Verweisung nach Sibirien  , Einreihung in die Arrestanten- Compagnie. Von Interesse ist es übrigens, daß Frau Strousberg   dem Fürsten Bismarck einen Besuch abgestattet hat und von demselben, wie uns die liberale Presse versichert, sehr getröstet" worden ist.

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Den Kerker Strousberg's   in Moskau   schildert ein deuts scher Korrespondent in folgender Weise: Die zur Aufnahme be­mannaja- Thurms befinden sich in einem fleinen zweistöckigen sonders wichtiger Verbrecher bestimmten Kasematten des Baß­Flügel dieses Polizeigewahrsams. Sämmtliche Zellen liegen im Flügel dieses Polizeigewahrsams. zweiten Stock, der untere enthält die Wache, die Offiziers-, Schließer und Empfangszimmer. Die Wände der Zellen werden. von vier Fuß dicken Mauern gebildet, der obere Theil besteht aus Tonnengewölben, die Beheizung findet von Außen statt und jede Zelle enthält nur ein kleines Fenster, durch welches das Licht wie durch einen Schacht einfällt. Das Fenster der Strousberg­schen Zelle geht auf den Hof und kann, abgesehen davon, daß es doppelt vergittert ist, von der auf dem Mauergange patroulliren­den Schildwache beständig beachtet werden. Die doppelten Eisen­thüren sind mit je zwei Hängeschlössern versehen, deren Schlüssel sich in den Händen des wachthabenden Offiziers befinden. Außer dem Vertheidiger hat Niemand mehr Zutritt zu dem Gefangenen. Diese Kasematte, in der jetzt Strousberg   Aufnahme gefunden, hat übrigens historisches Intereffe, in ihr haben Moskauer Theil nehmer der gegen den Kaiser Nikolai gerichteten Dekabristen  - Ver­schwörung, sowie der von der Schweizer   Regierung ausgelieferte Verschwörer und Mörder des Studenten Jwanom gesessen. Die plögliche Ausführung des Gerichtsbeschlusses, mittelst dessen die Ueberführung Strousberg's   aus dem Schuld in das Kriminal­Ueberführung Strousberg's   aus dem Schuld in das Kriminal­Gefängniß erfolgte, ist dem Inhaftirten gänzlich unerwartet ge­

kommen und hatte der mit der Ausführung betraute Offizier feinem Gefangenen erst eine halbe Stunde Zeit gewähren müssen, damit er sich sammeln und erholen konnte. Die Maßregel ist dadurch beschleunigt worden, daß Strousberg   die ihm im Schulo­gefängniß gewährten Rücksichten mißbraucht, insbesondere Ver­fügungen über ausstehende Gelder getroffen und eine Vollmacht zum Empfang der ihm von der Charkow  - Asower Direktion zu zahlenden 450,000 Rubel ausgestellt, auch Verkehr mit dritten Perfonen gepflogen hat, was einem in Kriminal- Untersuchung befindlichen Inquifiten ohne die gröbste Gesegesverlegungen nicht gestattet werden durfte. Uebrigens genießt der Inquifit auch in seinem neuen Kerker alle den Comfort in Bezug auf Beköstigung, Wäsche, Lektüre, der ihm in seinem früheren Aufenthalt zugeftan­den war. Allgemein ist man übrigens hier der Ueberzeugung, daß selbst in dem schlimmsten Fall einer Verurtheilung Strous­ berg's   eine Deportation desselben nach Sibirien   nicht. eintreten, sondern als Folge der vielen und hohen Verwendungen eine B. gnadigung desselben, mit dem Verbot, je wieder nach Rußland  zurückzukehren, stattfinden wird. Jedenfalls beabsichtigt man hier an Strousberg   wenigstens zuerst formell ein warnendes Erempel für seine russischen Bewunderer und Nachahmer zu statuiren. Nun, wer nicht ganz blöde ist, wird auch hier sehen können, wie die Glocken hängen. Die Schlußausführungen dieses Herrn kundenfälscher und Betrüger Strousberg   hohe Verwendungen" Korrespondenten zeigen uns zur Genüge, daß auch noch der Ur­hat und zulegt ,, gereinigt" aus diesem Drama hervorgehen wird.

* Der bekannte Tweed, der die Vereinigten Staaten   um Millionen und Aber- Millionen betrogen hat und der zur Zeit verhaftet war, ist entsprungen. Es würde vielleicht auch für manche Herren in Washington   oder New- York   zu kompromittirend gewesen sein, wenn bei einem Prozesse auch Tweed's   Helfershel­fer genannt worden wären. Hackt doch bekanntlich keine Krähe der andern die Augen aus.

* In Königsberg   hat am 5. Dezember in dem Saal der neuen Börse eine öffentliche Versammlung, die sich mit der religiösen Eides formel beschäftigte, stattgefunden. Dr. Roesler- Mühlfeld begrüßte die Versammlung mit kurzem Hin­weis darauf, daß nach dem Erlaß des Gesetzes vom 14. Mai 1873 schon die heutige preußische Gesetzgebung die Beibehaltung der religiösen Eides formel nicht mehr rechtfertige, daß aber trotz­dem die deutschen   Regierungen sie auch in das neue Reichs­justizwerk wieder aufgenommen und die Reichsjustiz- Kommission dem zugestimmt habe. Deshalb müsse das Bolt selbst seine Ueberzeugung dagegen aussprechen, die keinen Gewissenzwang für den Mitbürger dulden wolle, und es werde Königsberg nicht zur Unehre gereichen, wenn es in dieser wichtigen Frage wieder ein­mal vorangehe. Herr C. Schmidt nahm alsdann das Wort und motivirte in ausführlicher Rede einen Petitions- Entwurf, der fol­genden Wortlaut hat:

Hoher Reichstag  ! Die sich in unserem Vaterlande mehren­den Widersprüche zwischen der religiösen Ueberzeugung derjenigen, welche einen Schwur abzulegen haben, und dem dogmatischen Bekenntnisse, welches implicite in jeder Eidesformel enthalten ist, legen uns die Pflicht auf, uns an den hohen Reichstag mit der Bitte zu wenden:

bei Durchberathung des Geseßentwurfes einer allgemeinen deutschen   Prozeßordnung dahin zu wirken, daß aus der og Eidesformel jede Beziehung auf das religiöse Bekenntniß entfernt werde.

Die Gründe, die man für die Beibehaltung der konfessionellen Eidesformel anführt, seßen voraus, daß der ewworende daran glaube, daß eine jede als Mahrheit beschworene unwahrheit eine ewige Strafe Gottes nach sich ziehe, und daß derselbe aus Furcht var dieser Strafe die Wahrheit werde sprechen wollen. Wir ver mögen natürlich nicht zu entscheiden, ob die Furcht vor einer Strafe, die dem falsch Schwörenden im Jenseits droht, in irgend eines Menschen Vorstellung schwerer wiegen werde, als die Stra­fen des Gesetzes und die bürgerliche Verachtung, die den Mein­eidigen schon diesseits des Grabes treffen. Läge die Sache aber se, daß man in der That annehmen könnte, es gebe Schwörende, die nur durch die religiöse Beziehung der Eides formel zur Aus­sage der Wahrheit bewogen würde, so steht diesem zweifelhaften Vorzuge das zweifellose schwere Bedenken gegenüber, daß es eine fehr große Anzahl Personen in Deutschland   giebt, welche durch die religiöse Formel des Eides sich in ihrem Gewissen beschwert fühlen und durch den Zwang der Gesete genöthigt werden, indi­reft ein Bekenntniß abzulegen, welches ihrer Ueberzeugung zuwi­der ist. Der fragliche Vorzug auf der einen Seite kann auf der andern Seite den nicht fraglichen Schaden und die Versuchung, den erlittenen Zwang durch eine frivole Behandlung des Eides zu vergelten, niemals aufwiegen. Denn wir Unterzeichnete sind davon überzeugt, daß der aufgebrungene Gebrauch religiöser dog­matischer Formen sich nicht einmal in Uebereinstimmung mit den Vorschriften des Christenthums befindet. Auch erinnern wir daran, daß im preußischen Staate der religiösen Sekte der Men­noniten es bereits durch eine Kabinetsorde im vorigen Jahrhun dert gestattet worden ist, ihren Glaubensvorschriften entsprechend, die Eidesformel in einem einfachen ,, Ja" abzulegen, ohne daß in diefer ganzen Zeit dadurch ein nachtheiliger Einfluß auf die Glaubwürdigkeit der mennonitischen Eide entstanden wäre. Dem­gemäß ersuchen wir den hohen Reichstag ergebenst, alle religiösen Beziehungen aus der Eides formel zu entfernen und hierdurch der großen Aufgabe der Zukunft, die Religion von dem staatlichen Mechanismus gänzlich abzulösen, einen wesentlichen Schritt näher zu treten."

An der darauf folgenden Debatte betheiligte sich unter An­

deren auch Johann Jacoby  . Dette beteiligte fi

* Die Volkszählung hat für die Stadt Dresden   196,378 anwesende Einwohner( incl. 8878 Militärpersonen) ergeben, was im Vergleich zu der Volkszählung von 1871 für die Civilbevölke­rung( von nunmehr 187,500 Einwohnern) einen Zuwachs von 18,022 Röpfen= 10,6 pбt. ergiebt.

Aus dem übrigen Deutschland   liegen über die Zählung fast noch gar keine Nachrichten vor.

* Ein netter ,, Volksvertreter ist der Abgeordnete des 6. Berliner   Reichstags- Wahlkreises Dr. Banks. Derselbe er­hielt vor einigen Tagen seitens unseres Parteifreundes Heinsch folgendes Schreiben:

Herrn Dr. Banks, Reichstagsabgeordneter, Vertreter des 6. Berliner   Wahlkreises.

Im Auftrage der am 14. November im großen Saale der Norddeutschen Brauerei stattgefundenen Volksversammlung erlaubt sich Unterzeichneter, an Sie die Einladung zu richten: Ihre Stel­lung zur gegenwärtigen politischen und wirthschaftlichen Lage Deutschlands   in einer anzuberaumenden Versammlung fund geben zu wollen. Indem ich Ihnen, geehrter Herr, diesen Beschluß mit­theile, glaube ich die Bitte an Sie richten zu können, womöglich einen Sonntag Vormittag wählen zu wollen, weil die Beschaffung

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