8

Die Herren Seelsorger" meinen, mit der Erkenntniß der Natur-| gefeße ginge alles reine Genießen der Naturanschauung" zu Grunde. Hierauf kann man den frommen Herren einfach erwi­bern: Habt ihr euch je im Geringsten die Genüsse des Lebens stören lassen durch das doch sattsam bekannte Elend der unteren Volksschichten? Hat euch das eure reinen Genüsse" je gestört? Ebenso wenig, wie dieses der Fall ist, ebenso wenig wird sich die ,, Menschheit  " durch das Bewußtsein des Allkampfes ihre Freude am Dasein verkümmern lassen. Wäre dem nicht so, was für ein Griesgram müßte unser Naturforscher sein! Erfahrung lehrt das Gegentheil. Man wird ihn im Verkehr mit der Natur nicht anders als die übrigen Menschen finden. Er schneidet sich einen Stab aus dem Busch, ohne an die Blüthen und Früchte, die er

damit vernichtet, zu denken; er pflückt sich Beeren und Nüsse und macht sich keine Gedanken dabei, daß sie eigentlich Kräuter oder Sträucher werden sollten; ohne Strupel fängt und pflückt er, was er sammeln will; lauscht der Nachtigall, ohne daß ihm dabei die hunderttausend Insekten einfallen, die sie schon verschlungen hat; und daß sie selber wahrscheinlich einem Habicht zur Beute fallen wird, stört ihn nicht weiter. Die Nuhe, der Friede in der Natur, trotzdem sie ihm nur scheinbar sind, rufen in ihm dieselben Gefühle wach, wie in Einem, der sie unbefangen genießt. Es wird die Natur nicht anders dadurch, daß wir wissen, wie es in ihr hergeht, aber uns selbst wird sie nur durch eifriges Forschen X. zum wahren Verständniß gebracht.

Aus der alten und der neuen Welt.

Einiges aus Lassalle's Leben.*) Lassalle ist durch die Ver­leumdungen der liberalen Presse vielfach in den Ruf gekommen, ein leichtlebiger galanter Mann, beinahe ein Roué gewesen zu sein. Ich tenne sein Privatleben als Jüngling nicht, weiß aber, daß niemals Jemand unverschämter verleumdet worden ist als Lassalle, wenn der= artige Behauptungen auch in Bezug auf sein späteres Leben aufgestellt worden sind. Abgesehen von der nie versäumten Sommerreise nach der Schweiz  , die in der Regel vier Monate in Anspruch nahm, lebte Lassalle in Berlin   mit einer Regelmäßigkeit, deren kaum ein Anderer fähig gewesen wäre. Er war früh 8 Uhr meist schwer durch den Diener aus dem Bett zu bringen und nur eingegangene Briefe hatten die Macht, das Aufstehen, und zwar sehr energisch, zu beschleu­nigen. Sodann wurde nach einfachem Morgenimbiß fleißig bis Nach­mittag gegen 2 Uhr gearbeitet; während dieser Zeit tamen nur wenig Besuche. Lassalle war überhaupt in Berlin   sehr isolirt und stand, ab­gesehen von dem Parteileben, mit höchstens sechs Personen in einiger­maßen regelmäßiger Verbindung. Er ging fast niemals Jemand be­suchen, und es ist meines Wissens nie vorgekommen, daß er in Gesell­schaft geladen worden wäre, oder ein Wirthshaus besucht hätte, außer in den Fällen, wo er durch Versammlungen dazu genöthigt war. Nach mittags nach 2 Uhr ging Lassalle, auch bei ungünstigem Wetter, spa­ziren, selten allein, in der Regel mit der Gräfin Haßfeldt, welche, wenn nicht besondere Hindernisse vorlagen, bei ihm zu Mittag speiste. Auf die Mittagmahlzeit, die gegen 5 Uhr eingenommen wurde, hielt Lassalle sehr viel, und erklärt es sich daraus zum Theil, daß er einen großen Respekt vor seiner Köchin hatte. Er nannte sie mit Vorliebe die historische Köchin", weil er von ihr in seiner Vertheidigungsschrift " Die indirekten Steuern" insofern spricht, als er mittheilt, auch seine Köchin trage, wenn sie Sonntags ausgehe, ein seidenes Kleid. Von den Schnurren, die sich zwischen Lassalle und dieser Köchin zugetragen. erzähle ich vielleicht später einige recht ergößliche, die zugleich einen Ein­blick in Lassalle's Charakter gewähren. Bei Tische wurde sehr mäßig Rheinwein getrunken, zur Nacht, gegen 10 Uhr, gab es regelmäßig Thee   mit Fleisch. Nach dem Mittagessen schlief Laffalle öfters eine Stunde; er zog sich zu dem Zweck, wenn nur die Gräfin und nahe Bekannte mit zu Tisch gewesen waren, nicht zurück; die Gäste unter­hielten sich indessen leise oder lasen, während der Kaffee genommen wurde. Die Gräfin blieb in der Regel bis zum Nachtessen, Lassalle arbeitete während dieser Zeit und unterhielt sich beiläufig. Nach dem Nachtessen entfernte sich die Gräfin und er arbeitete dann noch oft bis spät in die Nacht hinein. Ich will hierbei nicht unterlassen, das Ver­hältniß zu der Gräfin, welches zu soviel übler Nachrede geführt hat, mit einigen Worten zu berühren, indem ich mir vorbehalte, die Be­ziehungen dieser beiden merkwürdigen Charaktere später eingehender zu behandeln. Zu der Zeit, von welcher ich rede, war Lassalle ein hoher Dreißiger, die Gräfin eine Fünfzigerin, das Verhältniß Beider zu ein­ander war durchaus ein diesen Jahren angemessenes. Die Gräfin bemutterte Lassalle, sie fümmerte sich um seine Geld- und Familien­angelegenheiten, sie versuchte, Ordnung auf seinem Schreibtisch herzu­stellen 2c., sie war mit einem Wort seine ältere Freundin, die ihn in ihren Briefen nie anders als Liebes Kind!" anredete. Die Vor liebe für ein aristokratisches Mittagessen, welche mit der sonstigen Ein­fachheit seiner Lebensgewohnheiten im Gegensatz stand, veranlaßte Lassalle, zuweilen Gastmahle in größerem Stile zu geben, bei denen dann etliche zwanzig Personen anwesend waren. Bei solchen Gelegenheiten strahlte Johanna, so hieß die historische Köchin", in ihrem ganzen Glanze, und Lassalle versäumte es nie, ihrer rühmend zu gedenken. Dann

11

*) In einer der nächsten Nummern erscheint das Portrait Lassalle's, gezeichnet Die Redaktion. nach der besten Originalphotographie.

Verlassen

*

wurden auch sehr feine Weine servirt und ich erinnere mich, wie Lassalle einst, indem er einen der Weine vorstellte, stolz darauf aufmerksam machte, man könne diese Sorte höchstens noch an der Tafel des Königs trinken. V. in der Fremde!( Hierzu das Bild S. 5.) Da kauern zwei von Gott   und aller Welt Verlassene! sie im Gafsenwinkel. hat der arme Savoyardenjunge sie sich doch so ganz anders ausgemalt in seinen Zukunftsträumen die große, schöne, reiche Welt, als er hernieder­stieg aus dem von himmelanragenden Felsriesen eingeengten Alpen­thale seiner Heimat in die lachende, mit Wein, Obst und Korn schier überreich gesegnete Tiefebene!

-

-

1

Wie

Er tam, um das Glück zu suchen das Glück, das man sich kaufen kann für das glänzende Geld, welches da unten in ungezählten Mengen von Hand zu Hand geht und so viele reiche und vornehme Leute schafft. Und er kam mit so bescheidenen Ansprüchen! Würde er sich doch schon reich dünken, wenn ihm seine munteren Berglieder und die drolligen Künste seines kleinen Compagnons, des erstaunenswerth beweglichen Tom, neben den paar Centimes,*) deren sie beide zum täg­lichen Lebensunterhalt bedürfen, noch einen oder zwei Sous täglich Ueber­Nothpfennige für das Elend des blutarmen Daheim schuß bringen wollten.

-

-

ein­

Aber die herzlosen reichen Leute gönnen dem armen Buben kaum einen flüchtigen Blick und die armen Leute, welche einem noch Aermern gern ein Scherflein des Mitleids zukommen lassen würden, flaniren nicht in den Straßen. Auf fremder Menschen Hülfe ist schlecht harren auch für den Bedürftigsten, den am meisten Bemitleidenswerthen! Und auf den alle Unglücklichen und Verlassenen in Noth und Gott­wie der geistliche Herr den glaubensstarken Fährlichkeit bauen sollen Alpenkindern so zuversichtlich von Kanzel und Altar herab gepredigt Gott, der Allerbarmer!? Manch' innig heißes Gebet um hat das tägliche Brot hat der Knabe zu den freundlich blinkenden Sternen in bitterkalter Nacht emporgeschickt, aber sein Flehen war umsonst, wie aller Armen Gebet!

-

-

Nun ist sein Blick nicht mehr vertrauensvoll gen Himmel, sondern trüb und trostlos zur Erde gerichtet. Und der Trübsinn hat sich sogar seines einzigen Freundes, des sonst unverwüstlich lustigen Tom, be­der Wander­meistert. Wehmüthig schaut er zu seinem Führer empor wer wird uns helfen? sack ist leer Helft Euch selbst, ihr Armen alle! Und du, junger Verlassener, hoffe nie mehr auf die reichen Menschen, die nur für sich selber und Thresgleichen sorgen; vertraue nicht auf einen allerrettenden Gott, der, wenn er auch mehr wäre als ein Wahngebilde irregeleiteter Seelen, doch jeden Anspruch auf das kindliche Vertrauen der immerdar bedrückten und bedrängten Völkermassen verwirkt hätte durch die Erbarmungs­losigkeit, mit der er sie durch viele Jahrtausende in Elend dahin­schmachten, verkümmern und verbluien ließ.

Woher weißt du armer Junge aber, daß die Welt immer für mehr als zwei Drittel der Menschheit so trostlos gewesen, wie sie dir gegen­wärtig erscheint, und daß es nur besser werden kann, wenn die Ärmen zusammenstehen, wie ein Mann, um das Joch der Reichen und Vor­nehmen abschütteln und mit einem Schlage Reichthum und Armuth zugleich treffen und tödten zu können? Wird die Noth dir diese Er­fenntniß lehren? Wirst du wenigstens die Zuversicht gewinnen, daß die Zukunft dem armen Volfe Erlösung und Glück bringen kann, bringen muß? Wir wollen wünschen, du Armer, daß du dereinst, wenigstens mit diesem Schake ausgerüstet, mögest zurüdfehren können in das heimische Dörfchen! B. G.

*) 1 Centime= 45 Reichspfg., 1 Sou

Vorliegende Probenummer gilt gleichzeitig als Nr. 1, und werden diejenigen auf die ,, Neue Welt" zu abonniren gedenken, freundlichst ersucht, diese Nummer nur auf besonderes Verlangen nachgeliefert wird, was Umstände und Kosten verursacht.

Verantwortlicher Redakteur: W. Liebknecht in Leipzig  .

= 4 Reichspfg.

geehrten Empfänger, welche aufzubewahren, da selbige Die Expedition.

Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig  .