hinaushungern, aber ich könnte die Widerlegung in einem ſeit Kurzem erblindeten Hauptmanne von der Gasse aufgreifen, welcher erklärt, er würde sich todtschießen, wenn er nicht gezwungen sei, seiner Familie durch sein Leben seine Besoldung zu erhalten. Das ist entsetzlich. Sie werden wohl einsehen, daß es ähnliche Verhältnisse geben kann, die Einen verhindern, seinen Leib zum Nothanker zu machen, um ihn von dem Wracke dieser Welt in das Wasser zu werfen, und werden sich also nicht wundern, wie ich Ihre Thüre aufreiße, in Ihr Zimmer trete, Ihnen ein Manu­skript auf die Brust setze und ein Almosen abfordere. Ich bitte Sie nämlich, das Manuskript so schnell wie möglich zu durchlesen, es, im Fall Ihnen Ihr Gewissen als Kritiker dies erlauben sollte, dem Herru Sauerländer zu empfehlen und sogleich zu antworten. ,,,, Ueber das Werk selbst kann ich Ihnen nichts weiter sagen, als daß unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben. Ich sage dies, um Ihr Urtheil über den Verfasser, nicht über das Drama an und für sich zu moti­viren. Was ich daraus machen soll, weiß ich selbst nicht, nur das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber roth zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß, Shakspeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen.

" Ich wiederhole meine Bitte um schnelle Antwort; im Falle eines günstigen Erfolges können einige Zeilen von Ihrer Hand, wenn sie noch vor nächstem Mittwoch hier eintreffen, einen Unglücklichen vor einer sehr traurigen Lage bewahren.

,,, Sollte Sie vielleicht der Ton dieses Briefes befremden, so bedenken Sie, daß es mir leichter fällt, in Lumpen zu betteln, als im Frack eine Supplif zu überreichen, und fast leichter, die Pistole in der Hand: la bourse ou la vie!( Die Börse oder das Leben!) zu sagen, als mit bebenden Lippen ein: Gott lohn' es! zu flüstern. G. Büchner .""

,, Dieser Brief reizte mich, augenblicklich das Manuskript zu lesen. Es war ein Drama: Danton's Tod. Man sah es der Produktion an, mit welcher Eile sie hingeworfen war..... Die Scenen, die Worte folgten sich rapid und stürmend.... Aber diese Hast hinderte den Genius nicht, seine außerordentliche Be­gabung in kurzen, scharfen Umrissen schnell, im Fluge an die Wand zu schreiben.-- Alles, was in dem lose angelegten Drama als Motiv und Ausmalung gelten sollte, war aus Charakter und Talent zusammengesetzt. Jenes ließ diesem keine Zeit, sich breit und behaglich zu entwickeln; dieses aber auch jenem nicht, nur blos Gesinnungen und Ueberschweifungen hinzuzeichnen, ohne wenigstens eine Abrundung der Situationen und namentlich der aus der köstlichsten Stahlquelle der Natur fließenden, krystall­hellen und munteren Worte. Danton's Tod ist im Druck erschienen. Die ersten Scenen, die ich gelesen, sicherten ihm die gefällige, freundliche Theilnahme des Buchhändlers noch an dem bezeichneten Abend selbst. Die Vorlesung einer Auswahl davon erregte Bewunderung vor dem Talente des jugendlichen Verfassers.] ,, Kaum hatte G. Büchner einen Bescheid, so erfuhren wir daß er auf dem Wege nach Straßburg war. Ein Steckbrief folgte ihm auf der Ferse. Er hatte in Darmstadt verborgen gelebt, weil er jeden Augenblick befürchten mußte, in eine Unter­suchung gezogen zu werden. Er war in die politischen Wirrnisse verwickelt....; ob ihn Verdacht, oder eine vorliegende Beschul­digung verfolgten, weiß ich nicht.... Vielleicht hatten ihn nur feine Straßburger Studien verdächtig gemacht. Jedenfalls ergriff Büchner die Parthie der Flucht gern. Er war mit einer jungen Dame in Straßburg versprochen; das Eril, für Andere eine Plage, war Wohlthat für ihn. Er gestand mir ein, daß er die Theilnahme seiner Eltern durch seine tollkühnen Streiche auf eine harte Probe stelle, und daß er nicht den Muth hätte, diese ab­zuwarten. Dies spornte ihn an, sich selbst einen Weg zur bürger­lichen Existenz zu bahnen und von seinen Gaben die möglichen Vortheile zu ziehen. Daher das verzweifelnde Begleitungsschreiben des Danton , daher das Pistol und die unschuldige Phrase: la bourse ou la vie!

,, Mehrere der aus Straßburg an mich gerichteten Briefe Büchner's sind mir nicht mehr zur Hand. Ich hatte indessen

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große Mühe mit seinem Danton. Ich hatte vergessen, daß solche Dinge, wie sie Büchner dort hingeworfen, solche Ausdrücke, die er sich erlaubte, heute nicht gedruckt werden dürfen....... Als ich nun, um dem Censor nicht die Lust des Streichens zu gönnen, selbst den Rothstift ergriff und die wuchernde Demokratie der Dichtung mit der Scheere der Vorcensur beschnitt, fühlt' ich wohl, wie gerade der Abfall des Buches, der unseren Sitten und un­seren Verhältnissen geopfert werden mußte, der beste, nämlich der individuellste, der eigenthümlichste Theil des Ganzen war. Lange, zweideutige(?) Dialoge in den Volksscenen, die von Witz und Gedankenfülle sprudelten, inußten zurückbleiben. Die Spitzen der Wortspiele mußten abgeſtumpft oder krumm gebogen werden. Der ächte Danton von Büchner ist nicht erschienen."

Und mit dem unächten war Büchner , wie man sich denken kann, keineswegs zufrieden. ,, leber mein Drama", so schreibt er unterm 24. Juli 1835 aus Straßburg , wo er seinen Aufent­halt genommen, muß ich einige Worte sagen: erst muß ich be­merken, daß die Erlaubniß, einige Aenderungen machen zu dürfen, allzusehr benutzt worden ist. Fast auf jeder Seite weggelassen, zugesetzt, und fast immer auf die dem Ganzen nachtheiligste Weise. Manchmal ist der Sinn ganz entſtellt oder ganz und gar weg, und fast platter Unsinn steht an der Stelle. Außerdem wimmelt das Buch von den abscheulichsten Druckfehlern. Man hatte mir keinen Correkturbogen zugeschickt. Außerdem hat mir der Cor­rektor einige Gemeinheiten in den Mund gelegt, die ich in meinem Leben nicht gesagt haben würde." Sehr energisch verwahrte er sich gegen das alberne Wort zweideutig" im Guzkow'schen Briefe. Gutzkow nahm sich übrigens des von ihm verstümmelten Werks mit großer Beflissenheit an und führte es durch eine Rezension in dem Literaturblatt des Phönix " vom 11. Juli 1835 erfolg= reich in der literarischen Welt ein. Die Kritik", so schrieb er, ist immer verlegen, wenn sie an die Werke des Genies heran­tritt; sie kann hier nicht mehr sein als der Kammerdiener, der die Thüre des Salons öffnet und in die versammelte Menge laut des Eintretenden Namen hineinruft; das Uebrige wird das Genie selbst vollbringen" und er schloß mit den Worten: Ich bin stolz darauf, der Erste gewesen zu sein, der im literari­schen Verkehr und Gespräch den Namen Georg Büchner's ge­nannt hat."

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Der großen geistigen Aufregung folgte in Straßburg erst Abspannung und dann eine wohlthätige Ruhe und Erholung in der Nähe der Geliebten. Büchner fühlte sich sicher vor den ge­fürchteten Leiden eines langwierigen Kerkers, und eine heitere Stimmung spricht aus seinen Briefen, die nur durch die Sorge um seine Zukunft und den Schmerz über die Leiden seiner politi­schen Freunde in Deutschland getrübt wird. Dem politischen Treiben, das um jene Zeit durch den in Lausanne in der Schweiz zwischen den Abgesandten des Jungen Europa" und denen der französischen Republikaner geschlossenen Verbrüderungs­vertrag( 10. April 1835) neue Nahrung erhielt, blieb er von jetzt an fern. Er glaubte nicht, durch Verschwörungen etwas zu erreichen. Büchner , erzählt Gutzkow , hörte bald auf, von gewalt­samen Umwälzungen zu träumen. Die zunehmende materielle Wohlfahrt der Völker schien ihm auch die Revolution zu ver­schieben. Je mehr jene zunimmt, desto mehr schwindet ihm eine Aussicht auf diese. Er schrieb mir unter anderm: Die ganze Revolution hat sich schon in Liberale und Absolutisten getheilt und muß von der ungebildeten und armen Klasse auf­gefressen werden; das Verhältniß zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt, der Hunger allein kann die Freiheitsgöttin, und nur ein Moses, der uns die sieben egyptischen Plagen auf den Hals schickte, könnte ein Messias werden. Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die Apoplexie. Ein Huhn im Topfe jedes Bauern macht den gallischen Hahn verenden."" Unter ,, Revolution" ist hier die Julirevolution, überhaupt die ganze bürgerliche Scheinrevolution verstanden. Und diese bringt dem Bauer kein Huhn" in den Topf, raubt ihm, im Gegentheil, noch die Butter vom Brod.

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An seinen Bruder schreibt Büchner über den nämlichen