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in dieser entscheidenden Stunde keine Reue empfindest ob der Vergangenheit, und keine heiligeren Wünsche hegst für die Zu­kunft, wenn du den Tyrannen in den Kämpfen mit uns unter­stützen wirst, den Tyrannen, der uns tödtet und auf dir herum tritt: dann wehe dir! dann hast du verdient die Schande eines ewigen Unterthanenthums, die Qualen einer ewigen Gefangen schaft, und wir werden dich herausfordern zu einem schrecklichen Vernichtungskampf, zum letzten Kampfe der europäischen Civilisation mit der wilden asiatischen Barbarei. Warschau , am 22. Januar 1863.

Die goldene Urkunde.

Manifest an das Landvolk.

Wir haben uns gegen die russische Herrschaft erhoben, um ewige Freiheit und ein günstigeres Schicksal für unser ganzes Vaterland zu erkämpfen, und erklären vor Gott , der Welt und vor der ganzen Nation, daß wir unser Heil in nichts Anderem

Das Ackerland, die Heuwiesen und die Wohnsitze, welche Herrschafts- oder Staatseigenthum sind, und welche gegen Zins, Abarbeiten( Frohnden) oder gegen Lösegeld von den Bauern ge­halten wurden, sind vom heutigen Tage an für immer Eigenthum des betreffenden Landwirthes, ohne daß irgend= welche Vergütung dafür zu entrichten ist. Die Grundbesitzer werden für diese ihre Grundstücke vom Staatsschatz ent­schädigt.

8. Was Diejenigen des Landvolkes betrifft, die bisher kein Grundstück hatten, wie z. B. die Buden- oder Ladenbesitzer, In­fassen, Häusler , das Hofgesinde u. dgl., so wird bezüglich ihres Antheils an Grund und Boden der Landtag verfügen.

9. Die Einhöfer und der Zinsabel werden, so wie das übrige Landvolk, Ackerland und Baugrund als ewiges Eigen­thum bekommen entweder aus den angrenzenden Herrschafts­Gütern, welche die National- Kaffe vergüten wird, oder aus den Krongütern.

10. Die griechisch- katholischen Dorfpfarrer werden, damit

suchen, als in der Freiheit, Unabhängigkeit, Gleichheit die Belohnung für ihre geistlichen Funktionen nicht dem Land­

und im Glücke aller Einwohner ohne Unterschied des Standes und des Glaubens. Besorgt um das Wohl des Landvolkes, beschließen wir hiermit für ewige Zeiten:

1. Die Bauern in den Herrschafts- und Staats- Dörfern und in den Meierhöfen, die Einhöfer*), die Zinsbauern und alle Uebrigen sind vom heutigen Tage an frei, unabhängig und vor dem Gesetze den übrigen Bürgern des Vaterlandes 2. Sie haben das Recht, nach Belieben von einem Orte zum andern überzugehen, und Niemand soll sie darin hindern.

gleich.

3. Sie besigen das Recht, gleich den übrigen Bürgern des Vaterlandes alle Schulen zu besuchen und im Staatsdienste zu sein. 4. Sie theilen mit den übrigen Bürgern das Recht, unter sich zu den Gemeinde-, Kreis-, Landes- und den höchsten öffent­lichen Gerichten, Räthen und Aemtern ihre Deputirten zu wählen. 5. Ihre Justiz und Verwaltung wird, wie bei den übrigen Staatsbürgern, nur durch ihre, aus den von ihnen Erwählten zusammengesetzten Gerichte und Aemter geübt, welche die heilige Gerechtigkeit, die Gesetze, die persönliche Freiheit und die Habe eines Jeben zu wahren haben.

6. Ueber die Steuerabgabe der Landbevölkerung, ihr. Con­tingent zu der Nationalarmee, wie überhaupt über ihre Staats­pflichten bestimmt nur der Landtag, der aus den Deputirten des ganzen Vaterlandes zusammengesetzt ist.

* In Lithauen der Mittelstand zwischen Bauer und Edelmann.

volke zur Last falle, außer dem Pfarrgrundstücke noch ein Baar­gehalt bekommen, über dessen Höhe der Landtag bestimmen wird.

11. Außerdem bekommt Jeder, der mit uns das Schwert gegen die russische Herrschaft ergreift, gleichviel ob er gesund oder verwundet aus dem Kampfe hervorgeht, wenigstens 6

Morgen Feldes und Wohnsitz aus den Kron- Gütern oder ein lebenslängliches Gehalt aus der National­Kasse.

12. Indem wir dem Landvolke die oben angeführten freiheit­lichen Rechte und die bürgerliche Gleichberechtigung ertheilen, versprechen wir und verbürgen auf ewige Zeiten Religions­freiheit und die Einführung der Muttersprache in den Schulen, Gerichten und anderen Landes- Inſtitutionen.

Alles oben Angeführte der Landbevölkerung von Polen , Lithauen und Klein- Rußland( Podolien, Volhynien und der Ukraina) kundgebend, besiegeln wir die Beibehaltung und die Vertheidigung der durch diese Urkunde ertheilten Rechte vor der Nation, der Welt und dem Allmächtigen. Indem wir dem Land­volke ewiges Wohl wünschen, geben wir diese Urkunde in das Gemeinde- Amt eines jeden Dorfes.

Die National- Regierung. Gegeben zu Warschau , am 22. Januar 1863. ( Siegel der Nat.- Reg.)

Rinaldowsky.

Eine moderne Räubergeschichte von A. Otto Walster.

Mit den mannichfaltigsten Wünschen und Hoffnungen traten seit je die Menschen in ein neues Kalenderjahr ein. Der Mann aber, zu dem wir dich, freundlicher Leser, jetzt führen müssen, hofft auf gar nichts, denn er hat Alles, was er vom neuen Jahr er­warten kann, auf Heller und Pfennig bereits ausgerechnet. Zwar hat er Familie, aber diese hat für ihn die Bedeutung eines ,, fressenden" Kapitals, eines bittern Minus im schönen Reiche des Plus. Und das Plusmachen ist ja die Lebensaufgabe des nimmer raftenden Mannes. Vor seinen Augen schwebt ein hohes Ideal, und das heißt Geld. Die Menschheit ist nach seiner Meinung nur dazu da, um Geld zu verdienen und zu bezahlen. Seine Eltern haben den einen großen Fehler begangen, nicht hinreichen des Geld zu hinterlassen, mit dessen Hüfe er seinerseits wieder so viel erwerben könnte, um wenigstens die Möglichkeit absehen zu können, daß seine Enkel einmal alles Geld der Erde in ihren Händen vereinigen werden. Allerdings greift er Jedem mit Dar­lehen unter die Arme, von dem er sicher ist, das Geld mit reichen Zinsen wieder zurück zu erhalten, von dem es schlimmsten Falls einzutreiben ist; und das Eintreiben versteht er in wirklich be­

IV.

wundernswürdiger Weise. Er ist kein Studirter, deshalb freut es ihn ganz ausnehmend, wenn man von ihm sagt, er sei schlimmer als ein Advokat. Schuldforderungen, die kein Ad­vokat mehr auspreßt, preßt er aus, und er kauft dergleichen For­derungen Anderen zu möglichst geringen Preisen ab. Er hat seine ganz besonderen Kunstgriffe, und wenn sein Schuldner ab­solut nichts mehr besitzt, so hat er einerseits so viel bereits heraus­gepreßt, um sich reichlich bezahlt halten zu können, und andrerseits weiß er seinen Schuldnern gute Mittel und Wege anzugeben, wie sie doch noch von Andern Geld erlangen, das dann in seine Tasche fließt. Der Schuldner wird dann zuweilen auch auf rechtswidrige Wege geleitet und kommt dadurch in die schlimmste Lage; aber was geht das Rinaldowsky an? Hin und wieder nimmt sich so ein Unglücklicher das Leben. Was geht das ihn an, was will das bedeuten? Solche Menschen waren abgebraucht und abgenutzt im höchsten Grade, Geld war mit ihnen gar nicht mehr zu verdienen. Solche Menschen thun ganz recht daran, daß sie aus einer Welt gehen, in welcher sie kein Geld mehr zu finden wissen.