Rinaldowsky rechnet fleißig am Neujahrsmorgen, er kann schmunzeln über den Verdienst des letztverflossenen Jahres. Allerdings sind einige Dußend Eristenzen seinen Rechnungen zum Opfer gefallen, verschiedene Selbstmörder bedecken das Feld seiner Geldschlachten, aber er ist durchaus gesetzlich" verfahren. Komme Einer und klage ihn der systematischen Vernichtung von Eristenzen an! Dieses Verbrechen kennt das Strafgesetzbuch nicht; es heißt im modernen Kulturleben, um mit Goethe zu reden:
Sehe Jeder, wie er's treibe, Sehe Jeder, wo er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle.
Unkenntniß des Gesetzes schützt nicht, Mißbrauch des Gesetzes gibt's nicht, folglich behält Rinaldowsky Recht, wenn er auch schlimmer sein sollte als ein Advokat.
Die Thüre öffnet sich, ein Dienstmädchen meldet: " Der Schneidermeister Littel ist da."
" So? auf den hatte ich kaum noch gerechnet, das wäre ein Ertraposten, da bring mir nur eine Flasche Rothen und lass' ihn eintreten."
Schneidermeister Littel ist ein alter abgehärmter Mann, eine wahre Jammergestalt; als Bekleidungsfabrikant thätig von früh bis in die späte Nacht hat er keinen warmen Ueberrock für sich zu erzeugen vermocht, im abgeschabten dünnen Röckchen klappert er vor Frost am Neujahrsmorgen. Er verbeugt sich fast bis zur Erde und beginnt:
,, Geehrtester Herr von Rinaldowsky."
,, Guten Morgen, Meister Littel, guten Morgen. Es freut mich, daß Sie so pünktlich sind, Sie sind ein ordentlicher Mann. Setzen Sie sich, ich werde gleich Ihr Conto ausziehen. Sie bringen doch nun den Rest sammt Zinsen?"
,, Sie wollen geneigtest entschuldigen, Herr von Rinaldowsky, aber beim besten Willen..."
,, Ah, ah, also immer noch mit einem Restchen zurück wollen Sie bleiben? Das ist kein guter Anfang des neuen Jahres. Wie viel wollen Sie denn heute legen? Nun wenigstens etwas, was sich der Mühe verlohnt."
,, Werden Sie mir nur nicht böse, gütiger Herr, aber für heute konnte ich beim besten Willen nichts auftreiben."
,, Wie? gar nichts? Und Sie schämen sich nicht? Sie haben das Weihnachtsgeschäft gehabt, wo haben Sie das Geld hingethan?"
,, Ach, ich mußte meistentheils auf Credit verkaufen, habe sehr
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wenig baares Geld zu sehen bekommen, und das mußte ich dem Hauswirth geben, der hatte sechs Monate Nachsicht gehabt." ,, Der Hauswirth konnte warten, ich brauche mein Geld." ,, Der Hauswirth ist selbst arm und mußte seine Hypothekenzinsen bezahlen."
,, So? aber ich konnte mit meinem Gelde warten?"
,, Nur dieses einzige Mal. Der arme Mann hätte mich müssen ausziehen heißen, um durch einen Pränumerandozahler die Zinsen komplett zu machen."
,, Was geht denn das mich an? Sie hatten für beide Zah lungen zu sorgen. Aber das denkt erst am letzten Tage an seine Verbindlichkeiten, und erst geht's in Saus und Braus."
In Saus und Braus? Du liebe Güte. Trocknes Brot, Kartoffeln und Cichorienkaffee sind wohl kein Luxus.“
,, Larifari, ich kenne diese Lamentationen, ich will mein Geld. Denkt ihr, ich bin euer Narr? Dem Hauswirth wollt ihr mein gutes Geld geben?"
,, D, Herr Rinaldowsky, Ihr Geld haben Sie doch schon dreifältig wieder, nur die Zinsen..."
,, Die Zinsen sind die Kinder des Kapitals, sie gehören dem Vater, das merkt euch."
,, Nun, dann ist die Arbeit die Mutter, und die hat doch wohl auch ein Recht?"
,, Was? auch noch Sozialdemokrat, Hetzer, Wühler, Umstürzler, Auflehner gegen die göttliche Weltordnung? Das hätte ich wissen sollen. Und nun sage ich, schafft mir mein Geld, sonst sollt ihr sehen, daß ich mit solchen Betrügern umzuspringen weiß."
,, Betrüger, Herr Rinaldowsky? Das sagen Sie mir nicht zum zweiten Male. Ich bin ein ehrlicher Mann, der leistet, was er kann. Und wenn Einer schlecht ist von uns, dann sind Sie's, der Sie mich aussaugen bis aufs Blut."
,, Wie? und das wagen Sie mir hier zu sagen? Warten Sie, Ihnen müssen Mores gelehrt werden. Ihnen müssen Mores gelehrt werden. Ich habe Sie aufgefordert, mein Zimmer zu verlassen, und Sie bleiben, um mich aufs Schmählichste zu beschimpfen? Das ist Hausfriedensbruch, verstehen Sie, was das heißt?"
,, Wie? Sie hätten mich aufgefordert?"
,, Ja wohl, jetzt schon zum zweiten Mal, der Herr hier ist Zeuge." Diese Zeugnißanrufung galt dem würdigen Beamten, in dessen bescheidene Wohnung wir den Leser am Anfang unserer Erzählung eingeführt, und der während der letzten Gegenreden eingetreten. ( Fortseßung folgt.)
Aus der alten und der neuen Welt.
Die Politik der Rache und die Politik der Menschlichkeit.| Aus Amerika ( Washington ) wird der„ Augsburger Allgemeinen Zeitung " geschrieben:
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Wenn man sich der Zeiten erinnert, als in den Jahren 1848 und 1849 die deutschen Revolutionäre verfolgt und erschossen wurden, oder der Jahre 1851 und 1852, als Napoleon III. die Republikaner mordete und in das Grab von Cayenne sandte, oder der wüthenden österreichischen Reaktion in den Jahren 1849 und 1850, als neben Jobert Blum die besten Männer geopfert wurden wenn man diese Verfolgungswuth bei den Monarchien Europas mit der Republik Amerika vergleicht, so tritt gewiß in dieser Frage der Humanität dem unparteiischen Beobachter der Humanismus als die Blüthe der amerikanischen Volksregierung vor Augen. Denn nach der vierjährigen blutigen Rebellion, in welcher die Existenz der Republik auf dem Spiele stand, und zu deren Unterdrückung fast eine halbe Million Menschen auf dem Schlachtfelde fiel, ist kein einziger der Rebellen an seinem Leben, seinem Eigenthum oder an seinen politischen Rechten von der republikanischen Nationalregierung geschädigt worden; ja, es sißen sogar im Congreß 84 frühere Rebellenoffiziere als Deputirte mit vollen Rechten. Ein weiterer schöner Zug des humanen Charakters der amerikanischen Volksregierung liegt aber in folgendem Afte der republikanischen Administration: Unmittelbar nach Unterdrückung der Rebellion fonnten viele Rebellenfamilien sich mit der Wiederherstellung der Union nicht befreunden, sie fonnten ihren Haß gegen die freie Siepublik, welche die Negersklaverei aufgehoben hatte, nicht unterdrücken; sie wanderten daher freiwillig und höchst zahlreich aus verschiedenen südlichen Rebellenstaaten nach Brasilien aus und siedelten sich daselbst in amerikanischen Colonien an. Bald wurden sie ihres Irrthums gewahr; sie waren freund- und hülflos, sie verarmten, erlitten in einem ungesunden Klima die unsäglichste Noth, Viele starben vor
Hunger und Sorgen. Dieser ungetreuen Kinder der Republik erinnert sich dennoch mit aller Sorgfalt und Zuneigung die republikanische Regierung; sie schickt an die Unglücklichen Kunde, daß sie sich in den verschiedenen Häfen Brasiliens versammeln mögen, um sie von da wieder nach den südlichen Staaten der Republik zu bringen. Das Kriegsschiff " Swatara" ist auf Befehl der amerikanischen Regierung nach Brasilien abgesegelt, um alle diese flüchtigen unglücklichen Amerikaner nach Port Royal in Süd- Carolina zurückzubringen, wo menschenfreundliche Hülfe sie ferner unterstügen und von ihrer Noth befreien wird. Dies ist repablikanischer Humanismus. Wie hat man den vielen deutschen Flüchtlingen, den besten Söhnen Deutschlands , die heute noch mit dem Wohl und Wehe Deutschlands sympathisiren, für ihre Treue und Liebe zum alten Vaterlande gelohnt? ( Die Republif" allein thut's freilich nicht. Siehe die republikanischen Racheorgien der Versailler Ordnungsfanatifer. Red. d.„ Neuen Welt".)
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Fichte gegen die stehenden Heere und über die Erziehung der Jugend zur Wehrhaftigkeit. In der elften seiner„ Jeden au die deutsche Nation"( 1808 zum erstenmal gedruckt) sagt Fichte: Bis jezt ist der bei Weitem größte Theil der Einfünfte des Staats auf die Unterhaltung stehender Heere verwendet worden. Den Erfolg dieser Verwendung haben wir gesehen( Jena ); dies reicht hin: denn tiefer in die besonderen Gründe dieses Erfolgs, aus der Einrichtung dieser Heere einzugehn, liegt außerhalb unseres Plans. Dagegen würde der Staat, der die von uns vorgeschlagene Nationalerziehung allgemein einführte, von dem Augenblicke an, da ein Geschlecht der nachgewachsenen Jugend durch sie hindurch gegangen wäre, gar feines besonderen Heeres bedürfen, sondern er hätte an ihnen ein Heer, wie