es noch keine Zeit gesehen. Jeder Einzelne ist zu jedem möglichen Gebrauche seiner förperlichen Kraft vollkommen geübt, und begreift ihn auf der Stelle, zur Ertragung jeder Anstrengung und Mühseligkeit ge­wöhnt, sein in unmittelbarer Anschauung aufgewachsener Geist ist immer gegenwärtig und bei sich selbst, in seinem Gemüthe lebt die Liebe des Ganzen, dessen Mitglied er ist, des Staats und des Vaterlands und vernichtet jede andere, selbstische Regung. Der Staat kann sie rufen und unter die Waffen stellen, sobald er will, und kann sicher sein, daß kein Feind sie schlägt."*)

*) Es ist das die Stelle, auf welche sich Liebknecht in seiner neulichen Reichstags= rede bezog.

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Sprüche aus dem Munde der Völker.

Gesammelt von E. J.

( Italienisch.)

Non dei mai sparagnar, biada di mugnajo, vin di prete,

e pan di fornar.

Des Müllers Mehl, des Bäckers Brod, Des Pfaffen Rebenfässer,

Wer daran spart, spart ohne Noth, Vergeuden ist hier besser.

Chi e povero, non ha amici parenti. Wo Armuth anfängt ihren Lauf, Hört Freundschaft und Verwandtschaft auf.

( Spanisch.)

El corcobado no vee su corcoba, y vee la de su companon. Sah Keiner seinen Höcker noch, Des Nachbars seinen sieht er doch.

Tan grande es el yerro, como el que yerra.

Der Fehler groß ist und gering,

Je nach dem Mann, der ihn beging.

Venga el bien, y venga por do quisiere.

Alles Gute sei willkommen,

Welchen Weg es auch genommen!

Si Alexandre es cornudo, sepalo Dios y todo el mundo. Wenn hohe Häupter Hörner tragen, Weiß alle Welt davon zu sagen.

Si la pildora bien supiera, no la doraran por de fuera. Wenn die Pille selber taugte,

Sie kein goldnes Kleidchen brauchte.

A puerta de cazador, nunca gran muladar. Will der Bauer Jäger sein, Bleibt sein Düngerhaufen klein.

Pan de boda carne de buitera. Der Kuchen, den mit ihrem Freier Die Braut am Hochzeitsmorgen brockt, Ist Köderfleisch, womit sie einen Geier In ihre Schlingen lockt.

El hijo sabe, que conoce à su padre. Das ist ein kluger Sohn fürwahr, Der seinen Vater kennt sogar.

Madre , que cosa es casar? hija, filar, parir, y llorar.

Heirathen, Mutter, was das sei,

Wolle dieses mir erklären!"

Die Mutter spricht und seufzt dabei: ,, Spinnen, Weinen und Gebären!"

Al que tiene mujer hermosa, o castillo in frontera, o vina in

arrera, nunca le falta guerra.

Wer besigt ein Weibchen fein,

Einen Berg am Weg mit Wein,

Oder an der Gränz' ein Haus,

Kommt nicht aus dem Krieg heraus.

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An unsere ,, Gebildeten".

Pöbel wagt Ihr zu sagen? Wo ist der Pöbel? Ihr machtet, Ging es nach Eurem Sinn, gerne die Völker dazu.

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Geflügelte Worte.

Der Verstand der Standes personen reicht insgemein nicht über die Grenzen ihres Standes. Ihr Stand ist der Standpunkt, von dem aus sie alle Dinge ansehen. Feuerbach.

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Nur die Lumpen" sind Revolutionäre. Natürlich, mit einem schweren Geldjack auf dem Buckel kannst du keine hohen Sprünge machen. Feuerbach.

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Als Pythagoras seinen bekannten Lehrsag entdeckte, brachte er den Göttern eine Hekatombe*) dar. Seitdem zittern die Ochsen, so oft eine neue Wahrheit ans Licht kommt. Börne.

*) Griechisch: Opfer von hundert Rindern.

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Aus der Thierwelt.

Was für ein Brüllen hör' ich im Thal? Das ist nicht der Geschüße Lärm in der Schlacht, Nicht das Brüllen des Löwen , der hungernd wacht, Nicht die Windsbraut, fegend über die Haide, Nein, Rind vieh ist es, auf dürrer Weide, Zum Rathe versammelt in starker Zahl.

Der Aelteste anhub: Der Brudersinn Vereint uns allhier zu guter Stund',

Es hört uns weder der Herr noch der Hund, Nun sag' ein Jeder, was uns mag frommen, Nur so kann uns Aermsten Rettung kommen, Das sag' ich, so wahr ich ein Ochse bin."

Drauf meldet zum Wort sich ein junges Rind: ,, Unser Leben ist Noth und Tyrannei,

Das Futter so karg und so dünn die Streu! Am Pflug kam ich jüngst nicht mehr von der Stelle, Da schlug man mich wund bis zur Stallesschwelle! Wir sind Sklaven. Weh', daß wir Ochsen sind!"

Und weise erwidert ein altes Vieh: ,, Das war vor undenklichen Zeiten schon so Und ewig wird's bleiben im Status quo. Daß Einer als Herrscher zu eigen uns habe Und an unserer Knochen Fleisch sich erlabe, Das will so Geschichte und Theologie!"

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,, Mit nichten!" drauf eine Kalbin schreit- Unser Herr ist gar nichts Besseres als wir! Melkt die Wölfin er auch im Waldrevier? Nimmt er ihr wohl auch die Jungen, die saugen, Und erwürgt sie und sticht sie vor ihren Augen? Nein, mir nur! Warum? Weil ihr Ochsen seid!"

,, Erst gestern dacht' ich's in meinem Sinn,"

Meint ein Vierter ,, da ich ihn neben mir spürt', Jenen Unhold der uns zur Schlachtbank führt. Nur ein Ruck, nur ein Stoß, und er selbst lag im Blute! Ja, wär' ich ein Pferd!' s war mir seltsam zu Muthe, Doch wagt' ich nichts, weil ich ein Ochse bin."

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Eine Kuh ihn stolz mit den Augen mißt

Und spricht: Wozu trägst du des Hornes Schmuck?

Nur um willig zu dulden des Joches Druck?

So gehorch' und bestell' des Gebieters Saaten, Friß Stroh statt des Heues, und wünscht er Braten, Brüll' sterbend, daß du ein Ochse bist!"

Der Aelteste ruft: Sie gehen zu weit!

Die Wahrheit stets in der Mitte liegt,

Und am Ende immer die Mäßigung stegt,

Drum seid einig und strebt nach unserem Ziele

In der Arbeit, der Ruhe, im Schlaf und im Spiele; Ein Hoch auf die einige Ochsenheit!"

Da nahet mit bösem Blicke der Hund

Und bricht mit Geheul in der Weidenden Zahl, Und ein Zittern erfaßt sie, sie fliehen zumal, Die Einen zum Berge, die Andern zur Quelle; Kein Horn, das den Dränger zum Kampfe stelle! Und aufgelöst war der Ochsen Bund.

Goethe.

Berantwortlicher Redakteur: W. Liebknecht in Leipzig .

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G. H.

Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig .