und die meisten von ihnen einige derbe Worte des Lobs sagten, die, so wohl sie auch gemeint waren, in diesem Augenblick schlecht angebracht waren. Grade als es wieder still wurde, kam die Polizei, durch den Lärm herbeigezogen und froh, die Gelegenheit, auf die sie schon lange gewartet, endlich gefunden zu haben; wir Josua und ich thaten unser Möglichstes, um die Konstabler, die von den Anwesenden nicht mit freundlichen Augen betrachtet wurden, vor Mißhandlungen zu schützen und wurden zum Dank dafür verhaftet und nach der nächsten Station geführt, wo wir, weil kein Bürge*) zur Hand war, für die Nacht ein gesperrt wurden.

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Der Magistrat**) verstand am nächsten Tag von Josua's Vertheidigung Nichts und hieß ihn mit einem strengen Verweis schweigen. Da wir gestraft werden sollten, gleichviel ob mit Grund oder nicht, so schickte man uns auf mehrere Wochen ins Gefängniß, damit wir uns in Zukunft besser betrügen. Wir wurden nun inne, daß der Versuch, in Uebereinstimmung mit Christus zu leben, in dem modernen christlichen Staat strafbar ist und hinter Schloß und Riegel führt. Wir haben kein Ver­ständniß für die Lazarusse, Simeons und Magdalenen unserer eigenen Hauptstadt. Wenn wir lesen, daß unser Herr und Meister" unter das lasterhafte Volk seiner Zeit ging, so sagen wir, es war göttlich; wenn aber Jemand, gleich Josua, ihm darin nachfolgt, wird er eingesperrt. Christus war der Verbrecher seiner Zeit und Kaiphas der Hohepriester, der die Ehrbarkeit und die Anhänglichkeit an die bestehende Ordnung der Dinge vertrat, nahm ihn gefangen und machte der Menge so gut begreiflich, wie sehr Christus gegen die herrschende Moralität sich vergangen, daß sie lieber Barrabas als ihn frei haben wollte. Und wir haben noch unsere Kaiphasse in voller Kraft.

Mit dem armen Joe waren wir noch nicht fertig. Die Worte des Herrn C. waren nur zu wahr geworden. Er war von dem Dämon des Trinkens förmlich besessen; er war nicht mehr sein eigener Herr als ein Tobsüchtiger in Bedlam***). Während unserer vierzehntägigen Gefangenschaft nahm er Alles, was nicht niet- und nagelfest war: Kleider, Werkzeuge, Möbel, und ver­pfändete es für Gin), und als wir die Freiheit wiedererlangten, fanden wir unsere Stube vollständig ausgeräumt.

Ich hatte niemals Josua's Geduld, und ich gestehe, daß ich über diesen Streich empört war. Als ich aber leidenschaftlich los­brach und von der Undankbarkeit dieses ,, Schuftes" und" Schurken" redete, verwies mir Josua meine Heftigkeit.

,, Konnten wir Anderes von ihm erwarten?" sagte er. Ist es möglich, daß Jahrzehnte des Verbrechens in wenig Wochen ausge­wischt werden?" Dann setzte er hinzu: Wir müssen uns des armen Kerls annehmen. Er hat sich wieder zum Schlechten gewendet, und wenn seinem Treiben nicht Einhalt gethan wird, ist er verloren." Er setzte den Hut auf und ging aus; nachdem er mehrere Stunden in den verrufensten Kneipen, die er kannte, herumgesucht, brachte er Joe Traill zurück und behielt ihn.

Ich habe nicht nöthig, die ganze spätere Geschichte dieses elenden Ausgestoßenen zu erzählen. Es reicht hin, zu sagen, daß er wieder und wieder in seine schlechten Gewohnheiten zurückfiel, und daß Josua ihm immer wieder vergab. Keine Probe war für seine Nachsicht, für seine Geduld zu hart. Nicht für die Sünd­losen, sondern für die Sünder!" pflegte er zu sagen.

Diese unermüdliche Sanftmuth und Güte, diese Hoffnung, die ihn nie verließ, thaten ihre gute Wirkung, ehe es zu spät war, und der überführte Dieb, der ohne Josua sein Leben auf dem Verbrecherschiff, wo nicht am Galgen, beschlossen hätte, starb, freilich ein Opfer unserer faulen, gesellschaftlichen Zustände, aber doch wenigstens so weit mit dem Gesetz in Frieden, daß ihm die

*) Außer wo ein Kriminalverbrechen vorliegt, muß in England jeder Verhaftete, der Bürgschaft stellen kann, in Freiheit gesezt werden. **) So heißen die Polizeirichter, welche geringfügige Fälle end­giltig aburtheilen, bedeutendere vor die Geschwornen verweisen. ***) Name der großen Londoner Irrenanstalt.

) Sprich Dschinn ; Genèvre oder Wachholder- Branntwein, der für den Gebrauch der Armen meist in abscheulicher Weise durch sinnver­wirrende, Wuthanfälle erzeugende Giftstoffe, z. B. Brechnuß und Kockels­förner zurechtgedoktort" wird.

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Hand eines Freundes außerhalb des Gefängnisses die Augen zu­drücken konnte.

Das häufige Fehlschlagen seiner Bemühungen machte Josua viel Kummer. Männer und Weiber, die er gebessert zu haben glaubte und denen er einen anständigen Lebensweg eröffnet hatte, kehrten zum Trunk und zu den Schlechtigkeiten ihres früheren Lebens zurück. Sie bedurften der Aufregung, die Eintönigkeit der Tugend ermüdete sie und der Rückfall ins Laster schien ihnen Rettung. Allein so oft und so schwer sie auch fehlten, und wenn sie ihn auch tief betrübten, was in der That oft der Fall war, Josua's Herz erkaltete nicht. Er vergab ihnen Alles, mochten sie nun gegen ihn persönlich oder gegen das Gesetz sich vergangen haben, und nahm sie wieder auf, wenn sie Reue empfanden. Manchmal verlachten sie seine Geduld, manchmal fluchten sie ihm und wiesen seine Freundschaft zurück; manchmal auch weinten sie und umschlangen ihn mit tiefgefühlter, aber kurz andauernder Dankbarkeit, und manchmal, jedoch nur selten, nahmen sie sich seine Lehren zu Herzen und besserten sich. Der größte Theil schwankte zwischen Tugend und Laster, je nach Laune und je nachdem die Versuchung stärker war oder die guten Vorsätze. Aber, wie sie auch waren, gut oder schlecht, er blieb sich stets gleich gegen sie; im ersteren Fall suchte er sie zu gewinnen, im zweiten sie aufrecht zu erhalten, und war glücklich, wenn seine Bemühungen selbst blos den bescheidensten Erfolg hatten.

Den Anhängern der verschiedenen Sekten fiel es nicht ein, ihn zu unterſtüßen. Im Gegentheil, sie rieben sich schadenfroh die Hände, wenn einer seiner Schützlinge mit der Polizei in Konflikt kam oder sonst Aergerniß verursachté; sie erklärten das für sehr natürlich, denn Josua sei ja kein ,, Christ".

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Um diese Zeit fehrte Mary Prinsep zu uns zurück. Man wird sich erinnern, daß ihre Herrin es zur Bedingung gemacht hatte, daß Mary's früheres Leben ein Geheimniß bleiben müsse. und darin hatte sie Recht gehabt, sowohl um Mary's als um ihrer selbst willen. So weit war Alles gut gegangen, Mary hatte nach allen Richtungen hin befriedigt, da kam unglücklicher­weise der Mann, welcher sie nur zu gut in den fummervollen Tagen ihrer Sünde gekannt, mit seiner Familie auf ein paar Tage zu Besuch in das Haus. Alle Dienstboten, Mary natürlich darunter, wurden bei den Morgen- und Abendgebeten in Reih und Glied aufgestellt, Angesicht zu Angesicht mit den Gästen. So trafen sie sich: auf der einen Seite ein vornehmer, feiner Herr, mit ehrwürdigen weißen Haaren und goldener Brille, mit einer Frau und hübschen, wohlerzogenen Kindern, mit einer hohen Stellung in der Gesellschaft und dem Rufe der Frömmigkeit, auf der andern Seite ein armes, unwissendes Mädchen, von der Ge­sellschaft verlassen, durch die Noth auf schlechte Wege gedrängt, aber jetzt ihr Möglichstes thuend, sich von dem Schmutz der Ver= gangenheit zu reinigen. Es war eine unangenehme Ueberraschung für ihn, und er fürchtete wohl, Mary könne Ansprüche an ihn erheben oder ausplaudern, was sie wußte. Er war in dem Hause ihres Herrn mit seiner Frau und seiner ältesten Tochter zu Gast und unter seinem richtigen Namen, den er ihr sorgfältig verschwiegen hatte; mit Leichtigkeit konnte sie nun seine Privat- und Geschäfts­adresse erfahren. Zweifellos war es der Instinkt der Selbst­erhaltung, was ihn trieb, allein trotzdem war es bodenlos feige und gemein der schwächere Theil mußte zum Opfer fallen. Er erzählte eine prächtige, ihm zur Ehre gereichende Geschichte, um zu erklären, wie es komme, daß er des Mädchens früheres Leben kenne; er erzählte sie nur aus Rücksicht für seine Freunde, die so schamlos betrogen worden. Die Dame des Hauses bemerkte freilich, daß sie die Hauptpunkte aus Mary's früherem Leben ge= kannt, aber sie wurde so heftig bestürmt, das Mädchen fortzu­schicken, daß sie zuletzt nachgab. Sie that, was sie ihrer Stellung und ihrer Familie schuldig zu sein glaubte und diese durch Mildthätigkeit ausgezeichnete Dame, diese musterhafte Christin, die jeden Sonntag regelmäßig zweimal in die Kirche und jeden Monat einmal zum Abendmahl ging, warf das arme, unglückliche Ding aufs Pflaster; und Mary, die das Geheimniß ihres vornehmen Ver­führers treu bewahrte, flüchtete sich wieder zu uns, ihren einzigen Freunden auf der weiten, weiten Welt.( Fortsetzung folgt.)

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