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Der Mensch.

Von J. Most.

III.

( Schluß.)

Man untersuchte die sogenannten Tertiärschichten, das heißt diejenigen Erbschichten, welche unter den als angeschwemmtes Land" erkannten Sand-, Lehm-, Kies- u. s. w. Lagern, also unter denjenigen Schichten sich befinden, die bisher allein als denkbare Basis der Entstehung des Menschengeschlechts aufgefaßt worden waren, und die Resultate belohnten den Eifer. In einer Tiefe von 20-30 Fuß, d. H. in geringen Entfernungen von der Unter­lage der diluvialen oder durch Anschwemmungen, namentlich durch Flußablagerungen, entstandenen Schichten fand man schon früher gelegentlich da und dort Knochen vorweltlicher Thiere, die jetzt ausgestorben sind, aber nichts, was auf die Existenz von Menschen hätte schließen lassen; da endlich stieß man auch auf Werkzeuge und zwar fand man zunächst eine Anzahl von Kieselärten. Waren dies auch nur ganz roh behauene Steine, so trugen sie immerhin die Spuren der menschlichen Arbeit an sich. Aber auch damit gaben sich die Herkommensanbeter noch nicht zufrieden. Ein fran zösischer Gelehrter, Boucher de Perthes , mühte sich von 1838 bis 1854 vergeblich ab, die Bedeutung der vorgefundenen Stein­ärte zu beweisen; er wurde einfach ausgelacht, und das nicht wegzuleugnende Faktum erklärte man damit, daß die Steine wahr­scheinlich im weichen Boden versenkt worden seien; ja man wollte ihre Gestalt sogar durch zufällige Abstoßungen erzeugt wissen, oder sührte sie auf den Auswurf von Vulkanen zurück. Endlich nahmen sich mehrere Gelehrte die Mühe, selbst zu suchen, statt sich mit dem Nachschwätzen zu begnügen, und siehe da: sie wurden bekehrt! Und nachdem die Sache einmal so weit gediehen war, nach dem selbst Gelehrten- Commissionen konstatirt hatten, daß die Kiesel- Werkzeuge sowohl menschliche Arbeitsprodukte seien, als auch in solchen Erbschichten sich vorgefunden hätten, die als uralte Ablagerungen bezeichnet werden können, und daß in ihrer Nähe Knochen von ausgestorbenen Thiergeschlechtern angetroffen würden, mußte man wohl oder übel daran glauben. Seither hat man auch in allen Welttheilen derartige Steinwerkzeug- Funde gemacht, so daß man daraus schließen kann, daß 1) überall schon in un vordenklichen Zeiten, und in Gesellschaft jetzt nicht mehr exifti­render Thiere, Menschen auf der Erde wohnten, und 2) daß besagte Instrumente die elementarsten Erscheinungen der Kultur repräsentirten und wahrscheinlich die Mittel bildeten, durch welche sich unsere Vorfahren vom Thiere zum Menschen emporarbeiteten. Uebrigens sind bei den tiefststehenden Wilden auch heute noch solche steinerne Werkzeuge im Gebrauch. Ein durch Behämmerung mit anderen Steinen entstandenes Beil oder dergleichen wird zwischen einen gespaltenen Stock gesteckt und so durch festes Binden befestigt; kleinere Steinsplitter benützt man als Messer, Lanzenspitzen u. s. w. Aehnlich dürfte es auch bei den Urmenschen gewesen sein.

In der Nähe der gedachten Kieselärte wurden übrigens der artige Sachen, wie sie in den früher erwähnten Höhlen neben den Steinwerkzeugen angetroffen wurden, nämlich Horn-, Knochen­und aus Lehm geformte Gegenstände, nicht gefunden. Dies beweist, daß trotz des hohen Alters jener Höhlen die darin bewahrt gebliebenen Ueberreste menschlichen Lebens schon einer Epoche ange­hören, wo der Mensch eine langjährige Entwickelung hinter sich hatte. Doch der Mensch, welcher sich einmal im Aberglauben ver­rannt hat, ist unermüdlich im Bezweifeln der Wahrheit. Als die Kieselärte anerkannt werden mußten, forderte man Menschen fnochen: sie wurden gesucht und gefunden! Insbesondere fanden sich Unterkiefer an vielen Stellen vor, vermuthlich, weil dieser Körpertheil bei der Verwesung sich vom Leichnam leicht lostrennt und vielleicht durch den Wind oder wie immer davon entfernt wurde, wohl auch wegen der besonderen Härte des Knochens. Aber auch Schädel sind entdeckt worden. Das größte Aufsehen erregte in dieser Beziehung ein in der Nähe von Düssel­ dorf , im Neanderthale, aufgefundenes menschliches Skelett aus dem fraglichen Zeitalter.

Aus der späteren Periode die man Höhlenzeit nemmen kann- sind nach und nach Dinge zu Tage gefördert worden, welche es vollends über jeden Zweifel erheben, daß der Mensch den fossilen, d. h. einer früheren Erdbildung angehörigen Thieren, wie Mammuth u. s. w., Gesellschaft leistete. Es sind dies rohe Abbildungen solcher Thiere, auf Knochen u. dgl. eingekritzelt; sogar menschliche Figuren waren unter den Kunstleistungen dieser Art. Was diese menschlichen Darstellungen betrifft, so ist zu bemerken, daß sie nackte Figuren darstellen, die unter den jetzt lebenden Menschen den Australiern am ähnlichsten sehen!

Wir haben also gesehen, daß die Spuren des Menschen bis in die Tertiärschicht, die dritte und letzte Erdschichte, welche über­haupt Merkmale vergangener höherer organischer Körper in sich birgt, hinaufreicht; und da die darüber gelagerten Alluvial- oder Neubildungs- Schichten nach sorgfältigen Berechnungen ungefähr 100,000 Jahre alt sein müssen, so kann man sich ungefähr einen Begriff davon machen, wie alt die Menschheit eigentlich ist und wie sehr die Mosaische Schöpfungssage mit der Wahrheit im Widerspruche steht. Andere Volkssagen stehen übrigens mit dem natürlichen Verhältniß weit weniger auf gespanntem Fuße; so zählt die mythische Geschichte der Chinesen gegen 130,000 Jahre und die Babylonier schrieben ihren zehn ältesten Patriarchen ein Alter von zusammen 432,000 Jahren zu!

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Das

In den angeschwemmten Schichten famen im Laufe der Zeit ganz merkwürdige Dinge zu Tage. So fand man gelegentlich eines Eisenbahnbaues am Genfer See einen durch Ablagerungen eines Flüßchens gebildeten Schuttkegel, der sozusagen drei ver­schiedene Kulturschichten aufeinander gethürmt darstellte. In einer Tiefe von wenigen Fuß fanden sich römische Münzen, Ziegel 2c., etwa zehn Fuß tiefer waren Bronze- Werkzeuge aus vorhistorischer Zeit eingebettet; und abermals zehn Fuß tiefer stieß man auf rohe Topfscherben, Holzkohlen, Thierknochen u. s. w.! Alter des ganzen Schuttkegels ist auf etwa 10,000 Jahre be­rechnet worden. Am Züricher See entdeckte Dr. Keller im Winter 1853-54 die ersten Spuren jener sonderbaren Arten menschlicher Baukunst, die inzwischen unter dem Namen Pfahl­bauten bekannt geworden sind, und die man nun schon in großer Anzahl in vielen Seen aufgespürt hat; auch in den Torfmooren Pommerns und Mecklenburgs wurden derartige Bauten entdeckt, und unlängst sogar im Flußbette des Rheins. Ohne Zweifel dienten die vielen in Reihen eingerammten Pfähle einst zur Stüße von Hütten, welche ins Wasser hineingebaut waren, wahrscheinlich, um vor den Angriffen von Feinden und wilden Thieren besseren Schutz zu gewähren, als beim Wohnen auf dem Lande möglich gewesen wäre. Diese Bauart scheint lange Zeit üblich gewesen zu sein, da man in ihrer unmittelbaren Nähe außer den steinernen auch bronzene und eiserne Geräthschaften fand; die Geschichte er­wähnt der Pfahlbauten jedoch nicht, ein Beweis dafür, daß sie der vorhistorischen Zeit angehören.

Eine weitere merkwürdige Erscheinung sind die Kjökken­möddings( Küchenabfälle, Unrathhaufen), die man in Dänemark am Meeresufer fand. Dieselben dehnen sich zum Theil bis auf 1000 Fuß Länge und 100 bis 200 Fuß Breite aus und er­reichen eine Höhe von 5-10 Fuß. Ihre Hauptbestandtheile sind Muscheln, die unverkennbar geöffnet worden sind, um ihres Inhalts beraubt zu werden. Dazwischen gelagert finden sich Werk­zeuge aus Stein, Knochen u. s. w.; Kohlen, Asche, rohe Topf­scherben u. dgl., jedoch keine metallenen Gegenstände. Ihre Auf­häufung durch Mens henhand steht außer allem Zweifel. Aehnliche Muschelhaufen hat man neuerdings auch in Amerika entdeckt.

Endlich sind als Ueberreste der urweltlichen Kultur noch die Tumuli oder Hünengräber und die Dolmen oder Stein­tische zu erwähnen. Erstere hielt man früher für die Grab­stätten eines ausgestorbenen Riesengeschlechts, was jedoch ein