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dessen Vortheilen genau bekannt sind! Instinkt" kann sie so Etwas nicht gelehrt haben, sondern nur Erfahrung; und die regelmäßige Verwendung dieser zufällig gemachten Erfahrung zu einem vortheilhaften Zweck kann nur Folge eines bewußten Ueberlegungsaktes sein, der sich bei einzelnen Stämmen nach und nach zu einer erblich gewordenen geistigen Gewohnheit umgebildet hat. Moggridge fand in einzelnen Ameisenneſtern, welche er öffnete, Vorrathskammern mit darin enthaltenen Körnern oder
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Kornspeicher von der Größe einer Taschenuhr, und es gelang ihm auch, geheime Diebsgänge zu entdecken, welche die Ameisen zur Plünderung nahe gelegener menschlicher Kornspeicher angelegt hatten. Um die kleinen Räuber zu täuschen, legte ihnen Moggridge kleine Porzellanperlen von der Größe und Farbe der Getreidekörner in den Weg. Wirklich wurden diese auch Anfangs aufgenommen und fortgeschleppt. Bald aber sahen die klugen Thiere ihren Irrthum ein und ließen die unbrauchbaren Perlen liegen. ( Fortseßung folgt.)
( Schluß.)
Ueber die Zulassung der Kranken zur ärztlichen Behandlung sagt der schon einmal erwähnte, in Bicêtre angestellte Schreiber: ,, Die für Frauen bestimmte Abtheilung hieß der Saal der Barmherzigkeit"", ohne Unterschied nahm man dort Alles durch einander auf: Ammen, verheirathete Frauen, junge Mädchen, Prostituirte, welche aus der Stadt oder aus der Salpetrière | tamen. Alles, was in der Salpetrière die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte, wurde nach Bicêtre gebracht; aber dort erfolgte die Zulassung selten sofort. Man schrieb die Kranken ein, und nun mußten sie mit ihrer Aufnahme so lange warten, bis die Reihe an sie kam. Das Recht, ihre Zulassung zu verlangen, hatten sie erst nach Ablauf eines ganzen Jahres. Aber es kam auch vor, daß achtzehn Monate, zwei Jahre oder gar eine noch längere Zeit verlief, bis ihnen die ärztliche Hülfe geleistet wurde; indessen bevorzugte man doch die Ammen, für welche der Polizeipräfekt eine gewisse Summe bezahlte, und auch Diejenigen, welche auf einer Bahre herbeigetragen wurden, wegen der Schwere ihrer Krankheit."
Die Behandlung aller Kranken war in Bicêtre ganz dieselbe und dauerte sechs Wochen, nicht fürzer und nicht länger. War die Zeit um und waren die Kranken auch nicht geheilt, so mußten sie Bicêtre jedenfalls verlassen; noch weiter dort zu bleiben, hatten sie keinen Anspruch."
Wurde die Zahl der Kranken, welche auf ärztliche Behandlung warteten, zu groß, oder wurden ihre Klagen zu laut, so bewilligte man ihnen ausnahmsweise zehn, zwölf oder fünfzehn Tage ärztliche Behandlung; aber nach Ablauf dieser zehn, zwölf oder fünfzehn Tage wurden sie ohne allee Erbarmen wieder zurück geschickt, um anderen Kranken Platz zu machen, welche man ebenso behandelte. Nach acht oder zehn Tagen kamen die ersten Kranken dann wieder an die Reihe; aber man berechnete ihnen bei ihrer neuen Behandlungszeit ganz genau die Tage, welche sie schon früher im ,, Saale der Barmherzigkeit" gewesen waren.
Der Platz der Chirurgen in Bicêtre war ein sehr gesuchter; denn außer den Privilegien, welche die Stellen an sich hatten, waren dieselben eine fortdauernde Quelle aller möglichen Einfünfte, ganz abgesehen von den drei Goldstücken, welche jeder Kranke bezahlen mußte, der schleunigst ärztlich behandelt werden
wollte.
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Ich erwähnte die Salpetrière . Die Salpetrière war das zweite große Pariser Zufluchtshaus, welches während der Regierungszeit König Ludwigs des Vierzehnten durch Parlamentsbeschluß erbaut wurde. Die beträchtliche Vergrößerung der fran zösischen Hauptstadt während der Periode König Ludwigs des Dreizehnten und die bürgerlichen Unruhen während der Minderjährigkeit seines Nachfolgers hatten Massen von Vagabunden, Bettlern, Abenteurern und Armen aus allen Theilen Frankreichs nach Paris geführt. Die Zahl der Pariser Bettler wurde von Geschichtsschreibern damaliger Zeit auf nicht weniger als 40,000 angegeben für die damalige Größe der Stadt eine ungeheure Summe. Der Zustand wurde alle Tage unerträglicher. Abhülfe mußte geschafft werden. Herr Pomponne de Bellire, damals erster
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Präsident des Parlaments, ein Mann voll Eifer für das öffentliche Wohl, schlug deshalb vor, ein großes Zufluchtshaus zu erbauen. Am 16. Juli 1632 beschloß das Parlament die Gründung eines solchen Hospitals. Die Ausführung dieses Beschlusses zog sich indeß bis zum Jahre 1656 hin. In diesem Jahre wurde der Bau des neuen Zufluchtshauses in Angriff genommen. Das Gebäude, welches früher an der Stelle stand, wo jetzt die Salpetrière steht, diente zur Bereitung des Salpeters. Der Palast, der dann aus jenem Gebäude emporstieg, hat den Namen nach dem ursprünglichen Zwecke des Gebäudes erhalten. Am 7. Mai 1657 wurde die Salpetrière als Zufluchtshaus eröffnet und in ganz Paris an demselben Tage die Bettelei verboten.
Im Anfange müssen die Zustände in der Salpetrière erträglich gewesen sein, obschon man auch dort in den verschiedenen Gebäuden Kranke, Arme, Irrsinnige und liederliche Mädchen zuſammenhäufte. Eine wunderbare Ordnung und Aufsicht", erzählt Herr von Saint Victor in seinem interessanten Buche,„ herrschte in diesem Hause. Mehr als 7000 Arme und Unglückliche jeden Alters und Geschlechts fanden dort Aufnahme. Sie wurden mit solchen Arbeiten beschäftigt, welche ihrer Individualität und ihren Fähigkeiten angemessen waren und mit allen Lebensbedürfnissen versehen, welche sie brauchten. Ein zweiter Hof wurde für leichtsinnige Mädchen und Frauen, welche eine Zufluchtsstätte suchten und einen andern Lebensweg einschlagen wollten, eingerichtet. Ein dritter Hof wurde für die Tollen und Blödsinnigen bestimmt."*)
Aber lange muß die ,, wunderbare Ordnung" in der Salpetrière nicht gedauert haben; auch verschweigt mein Berichterstatter ganz, wie man in dem für die Prostituirten bestimmten Hofe mit den unglücklichen Mädchen umging, die aus dem damals in einem Winkel der Straße St. Martin befindlichen Polizeidepot dorthin gebracht wurden. Diese Mädchen wurden auf Grund eines Lettre de cachet nach der Salpetrière gebracht und dort infolge dieses Lettre de cachet drei, sechs, neun, manche sogar mehr als fünfzehn und zwanzig Jahre festgehalten. Man kann sich über einen solchen Mißbrauch der Lettres de cachet gar nicht wundern, wenn man weiß, daß Diejenigen, welche wegen Vergehen und Verbrechen zur Strafarbeit verurtheilt waren, nach Ablauf der Strafe noch vier bis sechs Jahre auf die Galeere geführt wurden ,,, wenn die Marine Arme brauchte." Grade während der Regierung des " guten" Königs Heinrich des Vierten, des Königs mit dem Huhn im Topfe" und seines in Europa so viel gerühmten Ministers Colbert stand dieser Mißbrauch der Lettres de cachet in vollster Blüthe.
Aber schauen wir uns die wunderbare Ordnung" im Hofe der Prostituirten nur weiter an. Ein bekannter Pariser Arzt schildert uns in seinem Werke über die Prostitution**) die Zustände in diesem Hofe. Die Betten waren dort immer für sechs Personen bestimmt. Da die Betten aber immer nur für vier Personen Raum hatten, so waren zwei Mädchen gezwungen, auf der bloßen Erde zu schlafen, bis für sie im Bette Platz wurde. Die vorletzte kann dann in das Bett, während die andere auf
*) Tableau historique et pittoresque de Paris . 1807. Paris . **) La Prostitution dans la ville de Paris par A. J. B. Parent Duchatelet . Paris 1857.