der Erde weiter schlief. Von Stroh, von Kopfkissen, von Matratzen war für die Mädchen, welche auf der Erde schlafen mußten, gar feine Rede. Im Winter gab man ihnen nur eine Decke, um sich einzuhüllen. Die Säle, wo die Betten standen, hatten nur eine Höhe von fünf Fuß. Die Fenster waren in großen Zwischen­räumen angebracht und auf der einen Seite offen, hatten aber auch nur eine Breite von zwei Fuß, wodurch die Luftventilation sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich wurde. Außerdem waren die Säle so eng, daß, wenn zwei Mädchen auf der Erde lagen, es kaum möglich war, zwischen den Bettreihen durchzugehen. Wie der Geruch in diesen Räumen war, bedarf wohl keiner Er­wähnung. Die Verpflegung war höchst mittelmäßig. Daß man den unglücklichen Mädchen in der Salpetrière die Haare fahl heruntergeschnitten, erklärt mein Gewährsmann für eine Unwahrheit. Eine derartige Behandlung menschlicher Wesen, welche nicht einmal ein Verbrechen begangen hatten, in der damaligen Zeit kann uns aber gar nicht wundern, wenn wir erfahren, wie die Behandlung der franken Mädchen in der Salpetrière war. Noch im Jahre 1700 wurden sie, falls sie Aufnahme gefunden hatten, bei der Aufnahme geprügelt; ebenso bei der Entlassung. Die Prügel spielten damals nicht allein in den Strafgefängnissen, sondern auch in den Polizeigefängnissen und in den Kranken­häusern eine Hauptrolle. Die Prügel waren das einzige Cor­rektionsmittel. Und wen prügelte man? Nicht allein die Straf­gefangenen, sondern auch die Kranken und die Verhafteten, welche noch gar nicht einmal in Untersuchung gezogen waren.*)

*) S. Paris . Par Maxime Ducamp. T. IV. Les Prisons. Baris 1872.

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Den erkrankten Mädchen wurde im Jahre 1775 überhaupt erst seitens der Sanitätsbehörde eine Aufmerksamkeit geschenkt. Indeß was war das für eine Aufmerksamkeit? Die in der Sal­petrière angestellten Aerzte waren autorisirt, die Unglücklichen erst dann zu untersuchen, wenn sich die Spuren der Krankheit auf dem Gesichte zeigten. Dann fand ihre ärztliche Behandlung heimlicherweise in einer abgelegenen Kammer des Zufluchts­hauses statt.

Ich denke, der Leser hat genug an den Zuständen der beiden großen Pariser Zufluchtshäuser im vorigen Jahrhundert und erläßt mir die weitere Schilderung. Und so sind die Zustände in der Salpetrière und in Bicêtre trotz aller Anstrengungen Michael Cullerier's, mit dem eine ganz neue Aera für die an der Syphilis in Paris Erfrankten beginnt, und trotz mehrfacher Versuche des Ministers von Breteuil während der Regierung König Ludwig des Sechzehnten, in den beiden Zufluchtshäusern aufzuräumen, bis zu der großen französischen Revolution ge­blieben! Im Jahre 1792 erschienen Abgeordnete der National­versammlung in Bicêtre und in der Salpetrière, um beide Häuser zu untersuchen. Das Schicksal der dortigen Kranken und Ver­hafteten", heißt es in dent mir vorliegenden Bericht ,,, erschien den Mitgliedern der Nationalversammlung so entsetzlich, daß beide Zufluchtshäuser vollständig geräumt und alle Kranken in das neue Hospital der Capuziner in der Vorstadt Saint Jacques gebracht wurden.

Rinaldowsky.

Eine moderne Räubergeschichte von A. Otto- Walster.

Am Morgen nach seiner Rückkehr in die Residenz finden wir den unglücklichen Offizier voll banger Erwartungen und mancherlei Sorgen in seinem bescheidenen Quartier.

Es ist ein schöner Januarmorgen, denn in der eben ver­flossenen Nacht hatte die Erde ihr Winterkleid erhalten, so daß das Auge kaum den Glanz des Lichtes ertragen konnte, das vom Himmel hernieder auf die Millionen weißer Sterne fiel und von diefen mit jungfräulichem Stolze zurückgeworfen wurde.

Ein solcher Morgen besigt Zauberfräfte, er ruft Hoffnung und Lebenslust in allen Seelen wach, er erheiterte auch die Stirn des einsamen Träumers.

,, Wie es auch kommen mag," rief er sich endlich, sich selbst ermunternd zu, ich bin noch jung und fann bessere Tage mit Geduld erwarten, leuchtet mir doch auch ein Stern, reiner und weißer als dieser Schnee."

Da flopfte es vernehmlich an seine Thüre, und mit diesem Klopfen schien ihm die unselige Wirklichkeit mit allen ihren Leiden und Sorgen zugleich Einlaß zu begehren.

Aber er faßte sich und auf sein entschlossenes Herein" trat eine Ordonnanz des Kriegsministeriums in seine Stube.

So gefaßt er auch auf Alles war, wie er meinte, so zuckte er doch zusammen, als er das verhängnißvolle Schreiben empfing. Man geht aus solchen Verhältnissen nicht ohne sflavische Zuckungen heraus. Sobald er allein war, erbrach er das Schreiben und las mit halb umflorten Augen die Worte:

Se. Majestät haben nach Kenntnißnahme Ihres Gesuches und nach erlangten weiteren Informationen zu befinden geruht, daß Ihrem weiteren aftiven Dienste in der Armee fein Bedenken entgegensteht. Sollten Sie sich dagegen aus Privatgründen ver­anlaßt fühlen, Ihren Abschied zu erbitten, so soll er Ihnen mit allen Ehren und Anrechten bewilligt werden."

Das waren herzerquickende Worte und ein gutes Schutz­schreiben gegen Verleumdungen und Verdächtigungen. Schöner erschien ihm der Tag und die Welt. Er war vor dem Schlimmsten,

IX.

einer Verdächtigung seiner Ehrenhaftigkeit, bewahrt geblieben. Und nun war er gegen Alles gerüstet.

Bald darauf flopfte es von Neuem, und zu seiner nicht ge­ringen Ueberraschung und Verwirrung sah er den Vater seiner Geliebten zu sich eintreten.

,, Ich komme, um zu sehen, wie es denn eigentlich mit Ihnen steht," rief dieser, und ergriff auch alsbald das offen auf dem Tische daliegende Schreiben des Ministeriums, indem er entschul­digend bemerkte: Sie erlauben doch?"

Nachdem er das Schriftstück durchgelesen, legte er es still­schweigend wieder auf den Tisch, setzte sich in den Lehnstuhl und meinte, indem er umständlich eine Prise aus seiner goldenen Dose nahm: Gedenken Sie denn, Herr Lieutenant, im aftiven Dienste zu verbleiben?"

"

Ich glaube nicht, Mr. Burney, es liegt etwas den Menschen zum willenlosen Werkzeug Herabwürdigendes in diesem Institute, welches zwar seiner Bestimmung gemäß zum Schuße des Vater­landes dienen soll, sich aber auch nicht des Gemißbrauchtwerdens im Dienste eines herzlosen Despoten, eines blutdürftigen Tyrannen

erwehren kann."

,, Ja, so steht's bei Ihnen auf dem Kontinente, es ist viel in Ihrem Alter, daß Sie das begriffen haben. Was mich an­belangt, so thut mir das Volk leid, das sich und seinen ganzen Schweiß dem Militarismus aufopfert, ohne dafür Frieden oder Ruhe und Sicherheit im Frieden eintauschen zu können, welches also über furz oder lang materiell und vielleicht auch moralisch zu Grunde gehen muß. Wir werden deshalb nach unserem Nord­amerifa zurückreisen, und da Sie mich wissen ließen, daß Sie dieselbe Reise ins Auge gefaßt haben, so komme ich zu fragen, ob Sie uns begleiten wollen?"

,, Wie, Sir, Sie würden meine Begleitung annehmen?" ,, Warum nicht? Einmal habe ich mich an Sie gewöhnt, und zweitens erklärt meine Tochter, daß sie Ihre Begleitung jeder anderen vorziehen würde."