gerathen, unter allen Umständen einen Prozeß anzufangen. Was er wohl heute sagen würde?
Noch einen letzten Blick warf Egler in die Ebene, ehe sie in den Wald einbogen, und seine Augen suchten im Dorfe das allbekannte Dach seiner Hütte auf. Die Erinnerung an seine Lieben drängte alle anderen Gedanken zurück und der todtkranke Knabe trat wieder vor seine Augen. Er sah ihn lächeln und die fleinen Arme wie bittend erheben, als ob er den Vater an sein Schmerzenslager zurückriefe oder ihm seine letzten Grüße sendete. Fast unwiderstehlich zog es Egler nach Hause zurück, er war der Letzte im Zuge geworden, und wenn sich nicht Neumann wieder zu ihm gesellt hätte, dann wäre er vielleicht doch umgekehrt.
Der Wald nahm sie auf. Die Unterhaltung verstummte und schweigend verfolgten sie ihren Weg. Er führte sie am Forsthause vorüber, einem düsteren Bau, dem Alles abgeht, was sonst den Blick des Wanderers erfreut, der aus dem Halbdunkel des Waldes urplötzlich freundlich und einladend ein Forsthaus vor sich auftauchen sieht. Uralte Bäume umgeben es und breiten eine dichte Kuppel darüber, die kaum das Licht der Sonne zu durchbrechen vermag. Ein hoher Zaun, den Schlingpflanzen fast ganz bedecken, schließt es ein und verhindert in seine Fenster zu blicken. So liegt es schweigsam da, gleichsam ein Räthsel des Waldes, das wohl die Neugier erweckt, nicht aber das Gemüth wohlthuend anspricht.
Die Hunde schlugen an, als die Weber vorüberkamen. Obgleich die Gesichter sich wieder verfinstert hatten, sprach doch Niemand ein Wort. Ueber den Förster Schlegel waltete im Dorfe auch nur eine Meinung; er war als ein harter, herzloser Mensch bekannt und gehaßt.
Zehn Minuten später lag der Wald hinter ihnen. Sie hatten es nicht wahrgenommen, daß kurz hinter ihnen ein Mann ging, der im Leben des Dorfes eine große Rolle spielte. Der Pfarrer Lehnert von Schönenberg ist der Wanderer, der langsamen, bedächtigen Schritts die gleiche Straße verfolgt. Sein mageres Gesicht ist nach der Landessitte glatt rasirt, die Augen sind etwas zusammengekniffen und die Stirn läuft ziemlich winklich zusammen. Ein ewiges Lächeln liegt in seinem Gesicht und macht es widerlich und abstoßend. Es fällt schwer, das Alter des Pfarrers festzustellen; sein Haar ist noch frei von den Zeichen des Alters, doch liegt in seinem Gesicht etwas Abge= lebtes, Altes. Jedenfalls ist er über die Zeit der Jugend längst hinaus. Seine Kleidung ist sorgfältig gehalten, und man merkt es der ganzen Erscheinung nicht an, daß man es mit dem Pfarrer eines Hungerbezirks zu thun hat. Während er geht, bewegen sich seine Lippen wie im Selbstgespräch, ab und zu bleibt er auch stehen und nimmt aus seiner silbernen Dose nachdenklich eine Prise. Nahe dem Waldausgange fuhr er erschreckt zusammen; es raschelte vor ihm im Gebüsch und eine hohe Gestalt löste sich, ihn grüßend, aus dem Dickicht des Waldes. Es war der Förster Schlegel, der vor ihm auftauchte. Nicht ein edler Zug findet sich in seinem Gesichte, Alles ist Härte und Leidenschaft darin. Er trägt einen gewöhnlichen Forstanzug und hat auf der Schulter die Büchse. Ein breiträndiger Hut beschattet sein Gesicht und läßt es noch finsterer, als es schon ist, erscheinen. Kein freundlicher Anflug färbt seine Augen, sie blicken fast drohend auf den Pfarrer.
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,, Sieh da, der Herr Förster !" rief dieser, seinem Gesichte eine noch höhere Freundlichkeit verleihend.„ Gewiß haben die Bauern Sie hierher geführt, die wie eine Gänseheerde vorüberzogen."
Der Förster schüttelte den Kopf. Was kümmert mich das Gesindel!" antwortete er, verächtlich die Achseln zuckend. Nein, Pfarrer Lehnert, nicht den Bauern, sondern Ihnen bin ich nachgezogen. Hatte Sie sprechen wollen."
Mich?" entgegnete verwundert der Pfarrer.
Hatte Ihnen eine Frage vorlegen wollen," sagte der Förster. ,, Sie sind in Waldau bekannt und werden mir Auskunft geben fönnen. Wer ist das Mädchen, das jeden Sonntag im Walde spazieren geht? Schlanke Figur, hübsches Gesicht, schöne Augen!" Die Waldauer sind nicht arm an hübschen Mädchen," antwortete der Pfarrer sinnend.
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,, Sie ist schöner als irgend eins der anderen Mädchen, die ich bisher gesehen. Sie trägt sich auch noch halbwegs anständig- schwarze Jacke und blaues Kleid. Steht ihr Alles sehr gut." ,, Das kann Niemand anders als die Martha Egler sein," sagte der Pfarrer. Ja, ja, so ist es. Mein Küster erzählte mir von ihr. Statt in die Kirche zu kommen, geht sie in den Wald."
,, Das gefällt mir, das gefällt mir!" rief der Förster lebhaft. Haffe die Duckmäuser und Kirchenkriecher, die Gott anwinseln wie meine Hunde."
,, Wer wird so unchristlich sein, Förster Schlegel!" sagte der Pfarrer salbungsvoll. Wer Gott leugnet-"
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,, Wir sind über die Kinderjahre hinaus, Pfarrer," fiel der Förster ihm ins Wort. Wünschte nur, daß mir früher die Augen über den Hokuspokus aufgegangen wären. Wäre vielleicht ein anderer Mensch geworden. Aber das ist vorbei und ich bin auch zu alt, um mich zu dem Unsinn zu bekehren. Sie sollen mir behülflich sein, damit ich das Mädchen bekomme," fügte er nach kurzer Unterbrechung hinzu. Wird mir zu einsam in der Försterei will das Mädchen heirathen."
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Der Pfarrer blickte ihn einen Augenblick sprachlos an und nahm dann, gleichsam um sich zu überzeugen, daß er wache und nicht träume, eine Prise aus seiner Dose.
,, Aber Förster ," sagte er dann, ihn zweifelnd betrachtend ,,, ist denn das Ernst?- Sie, der Menschenfeind
,, Mein vollster Ernst!" entgegnete der Förster. daß ich für kleine Dienste stets erkenntlich bin. werde ich es ganz besonders sein."
Sie wissen, In diesem Falle
" Zweifle nicht daran," sagte der Pfarrer, aber erst muß doch der Bär erlegt sein, ehe man seine Haut theilt, und dann, Förster, bedenken Sie, es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt als Weiber. Es ist nichts als Falschheit unter ihnen, und wenn man glaubt, den Widersacher überwunden zu haben, dann ist der Teufel doch da. Ich sage Ihnen, Förster, es gibt nichts Schlimmeres als Weiber und wie soll hier der Bär erlegt werden?" ,, Das ist ganz Ihre Sache, und daß Sie das Werk ausführen werden, darum ist mir gar nicht bange."
,, Aber die Liebe, Förster, das ist ein böser Punkt." ,, Dressur, Pfarrer, nichts als Dressur!"
Ja, ja, Dressur, das ist das Richtige," bestätigte der Pfarrer kopfnickend. So denke ich auch und das ist mein Trost. Die Dressur muß Alles machen. Aber vom Weibe kommt die Sünde, Förster, und um ihretwillen müssen wir Alle sterben. Laß dich nicht betrügen, daß sie schön ist," sagt die Schrift ,,, und begehre ihrer nicht darum!""
„ Ich habe keine Luft, Ihre Bibelsprüche zu hören, Pfarrer. Die könnten Sie am besten selbst beherzigen. Wie ich weiß, wollen Sie ja auch nächstens in den Ehestand treten."
,, Ja, sehen Sie, Förster," antwortete der Pfarrer, eine Prise nehmend, das ist doch mehr ein Werk der Barmherzigkeit, das ich da übe. Die Marie Köhler hat zwar ein gefälliges Aeußere, aber ihre Seele ist schlecht und die will ich zu retten suchen; und dann ist das Mädchen ganz arm, die Mutter wird alt und hülflos und-"
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,, Was Sie doch für eine barmherzige Seele sind!" unterbrach ihn der Förster. Aber nun ein Ende mit unserem Handel! Wollen Sie oder wollen Sie nicht?"
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" Förster, Förster!" sagte der Pfarrer noch immer bedenklich. Alle Bosheit ist gering gegen der Weiber Bosheit, und wenn Einer ein böses Weib hat, so ist es eben wie ein ungleiches Paar Ochsen, die nebeneinander ziehen sollen!"
,, Ja oder Nein, Pfarrer!" rief der Förster ungeduldig.„ Ich glaube übrigens, daß, wenn von dem ungleichen Ochsenpaar die Rede sein kann, es nur auf Ihrer Seite zu suchen ist. Ich weiß wenigstens Einen, der jedenfalls Hörner tragen wird, Pfarrer! Denken Sie an meine Prophezeiung. Der Blumenthal will sic hier in der Nähe niederlassen."
,, Das darf nimmer geschehen, Förster!" antwortete der Pfarrer bestürzt.„ Er ist ein Aufwiegler, ein Gottloser, er darf hier nicht geduldet werden."