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mag das verdeutlichen. Ein bekannter Held der hellenischen Sage heißt Eteofles, eigentlich Eteokleves, ein sagenhafter Fürst des alten Indiens   Satyagravas beide Namen führen streng gesetzmäßig auf dasselbe ursprachliche Wort zurück: Satyakravas, d. h. Aechtruhm, also auf einen sehr passenden Namen für einen alten Heros. Genügt das nun zu dem Schlusse, das Urvolk habe sicherlich einen Helden Satyakravas gekannt? Durchaus nicht; denn sowohl. im Griechischen, wie im Indischen sind die Theile des Kompositums, hier eteos und kleos, dort satya und gravas als verständliche Vokabeln mit alter Bedeutung vorhanden, bei beiden Völkern konnte man leicht auf den Einfall kommen, einen Sagenhelden Aechtruhm zu nennen, und dann ergab sich hier wie dort eine Wortbildung, die auf dieselbe ursprachliche Form deuten mußte, ohne ihr wirklich zu entstammen. Mithin ist das Vor­handensein eines Helden Satyakravas in der Mythe des Urvolks zwar möglich, aber keineswegs erwiesen. Wenn wir nun aber im Lateinischen   ein Wort Venus, als Namen der Göttin des Liebreizes finden, und im Sanskrit das entsprechende Wort vanas mit der Bedeutung Liebreiz, so ist evident, daß dieses Wort in der Ursprache, in der es ebenfalls vanas lautet, schon existirt und Liebreiz bedeutet hat, da es ein sehr sonderbarer Zufall wäre, wenn Indier und Italiker selbständig ein Wort für Liebreiz ge­formt und unter den zahlreichen Bildungsmöglichkeiten, die ihnen die Ursprache bot, beide genau auf dieselbe verfallen wären.

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Es liegt der Einwand nahe, daß ja Indier und Italiker nach ihrer Ablösung vom Urvolke noch eine Zeitlang gemeinsam als ein Theilvolk hätten bestehen und das fragliche Wort in dieser Periode ausbilden können. Vanas und seine Umgestaltungen finden sich wirklich nur bei diesen Völkern wir Deutsche   haben zwar auch den Wahn, d. h. ursprünglich Wunschbild, und haben denselben, ganz wie Römer ihre Venus, mythologisch personifizirt, sogar doppelt, als Jüngling und Jungfrau bekannt unter den nordischen Namen Freyr   und Freyja   aber dies Wort Wahn stimmt in der Bedeutung nicht genau, läßt nicht mit Sicherheit erkennen, ob es dem ursprachlichen vanas entspricht ( die Endung ist zweifelhaft) und kann sehr wohl eine selbständige Bildung aus demselben Wurzelworte, dem Verbum van, wünschen oder begehren, sein. Damit ist die Frage nach dem Stammbaum der Sprachen und ihrer Trägerstämme aufgeworfen. Sie ist offenbar viel komplizirter als die nach dem Zustande des Urvolts, und noch keineswegs erledigt. Zu ihrer Beantwortung liefert eben die Fick'sche Schrift einen interessanten Beitrag, zunächst an­fnüpfend an eine Polemik gegen die Schrift eines Fachgenossen über dasselbe Thema. Wer die Fick'sche Beweisführung prüfen will, wird dies bei Vornahme seines Buches mit Bequemlichkeit und Genuß thun können; hier genügt es, die Resultate kurz wiederzugeben.

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Das indogermanische Urvolk so belehrt uns Fick hat sich in Sitzen, deren Lokal ganz unbestimmt bleibt vor etwa iertausend Jahren mindestens, wahrscheinlich noch bedeutend früher-in zwei Hauptmassen gesondert, die zunächst jede Füh lung mit einander verloren haben. Von der einen derselben stammen die Inder, Iranier und Armenier, von der anderen die sämmtlichen Kulturvölker des heutigen Europa  , mit Ausnahme der Magyaren und Osmanen. Die erstere Masse, deren alter gemeinsamer Volfsname sich erhalten hat, die Aryer, hatten nach der Trennung ihren Sitz gewiß in Asien  - ob in Nordindien, wie Victor Hugo   in seiner oben erwähnten Auslassung annimmt ( wo er sich diese Gegend als Ausgangspunkt der indogermanischen Menschheit überhaupt denkt), bleibt sehr fraglich. Die zweite Masse saß das beweisen die ihren Tochtervölkern gemeinsamen, aber den Aryern gegenüber besonderen Vokabeln im gemäßigten Mitteleuropa   zwischen Meer und Alpen  . Beide große Volks­massen haben sich schon in alter Zeit mit ihren vorgeschobenen Sendschwärmen nach langer Trennung wieder berührt: von den Aryern waren jene Sauromaten und Skythen   ausgegangen, die bereits um 650 v. Chr. vom Kaspisee her sich in Südrußland festgesetzt hatten und dort um 510 v. Chr. den berühmten Frei­heitskampf gegen die Heere des großen asiatisch- arischen Despoten Dareios I.   bestanden; von dem europäischen   Mittelvolke waren

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jene Phryger Kleinasiens   südöstliche Ausläufer, die uns bereits in der homerischen Sagenwelt, also mindestens um 1000 v. Chr., als Ansässige der Taurushalbinsel erscheinen. Für das Aus­gangsland dieser europäischen   Völkergruppe wird nun dadurch eine bestimmtere Grenze gewonnen, daß die Buche nach Ausweis der Sprache in ihm ein auffälliger Baum gewesen sein muß, und daß ibr Land eine Seeküste gehabt haben muß. Die Buche hat nun die Ostgrenze ihrer Verbreitung als Waldbaum von Danzig  bis zum Asow'schen Meer, ihre Nordgrenze als Waldbaum im südlichsten Skandinavien  . Die Küste des Mittelmeeres in dem so gewonnenen Abschnitt von Europa   bleibt außer Frage, theils weil der gemeinsame europäische   Wortschatz nicht auf diese Länder deutet, theils weil die ältesten historischen Erinnerungen der Hellenen noch auf die Einwanderung von Norden hinweisen.*) Die atlantische Küste von Danzig   westwärts fann also als Küste des fraglichen Landes gelten, und zwar zunächst vielleicht bis Bor­beaux, wo noch in historischer Zeit die nichtindogermanische Be­völkerung Südwesteuropas begann, deren Rest die Basken sind. Aber dies Gebiet wird noch beschränkt durch folgende Wahrneh­mung: Die europäischen   Indogermanen spalten sich wie das Urvolk zunächst in zwei Theile, die eine Zeitlang getrennt von einander, doch ohne weitere Unterspaltung als zwei Völker bestanden haben, eine südwestliche und eine nordöstliche Nation. Von einer trennenden fremden Völkermasse zwischen beiden ist keine Spur vorhanden, so daß die Annahme wahrscheinlich ist, beide Theile seien auf dem gemeinsamen alten Heimathboden in Zwiespalt gerathen und hätten sich durch verschiedenartige Lebensweise, Ein­richtungen u. s. w. allmählig entfremdet und dann nach verschie­denen Seiten ausgebreitet. Danach würde die Grenzlinie beider Theile die alte Heimath durchziehen. Diese Grenze geht nun bei Beginn der historischen Zeit, d. h. für Mitteleuropa   etwa 50 v. Chr., von der Rheinmündung durch die heutigen Lande: Niederland  , Rheinprovinz  , Hessen  , bayrisch Franken und dann auf Erzgebirge  , Sudeten   und Karpathen weiter. Da um diese Zeit der nördliche Stamm gegen den südlichen im beginnenden Vordringen erscheint, ist es klar, daß die Scheidelinie, wenigstens im westlichen Theile, ursprünglich etwas nördlicher ging. Ver­schiebt man sie so bis in's Wesergebirge und den Thüringerwald, so läuft sie grade auf der natürlichen Scheide zwischen Ebene und Bergland entlang und erklärt dadurch ein wenig mit die verschiedene Spezialisirung der Ureuropäer in zwei Hauptgruppen. Viel weiter nordöstlich wird man die Grenze nicht hinaufschieben dürfen, da ein erster vorübergehender Lichtschimmer, der um 300 v. Chr. auf diese Gegenden fällt, uns die niederelbischen Lande schon vom Nordostvolke besiedelt zeigt und nichts dafür spricht, daß damals schon ein Vordringen desselben gegen Südwest be­gonnen habe. An beiden Seiten dieser Linie, und zwar das Meer berührend, lag also das fragliche Land. Niederlande  , Hannover  , Westfalen   waren also seine Theile, vielleicht noch Belgien  , Rheinprovinz  , Hessen  , Franken und die Elbländer. Bon hier aus haben sich dann einerseits die Ahnen der Briten  , Iren, Kelten, Italiker, Illyrier und Hellenen auf die Wanderschaft ge­macht, welche sie nach dem Zeugniß der ägyptischen Denkmäler schon vor 1300 v. Chr. bis an die Küsten des jonischen und ägeischen Meeres geführt hatte andererseits haben sich von hier aus die Germanen zunächst über Nordostdeutschland  , Polen  und Skandinavien   ausgebreitet, und von ihnen haben sich, als ihre nächsten Verwandten, die Lettoslaven nach Osten abgelöst, die Vorfahren unserer Russen, Litthauer, Kurländer, Polen  , Ezechen, Rumänen, Bulgaren  , Serben u. s. w., wahrscheinlich auch der alten Thrafer und Geten. Diese ganze Bewegung ist natürlich als eine sehr langsame, schrittweise Völkerwanderung zu fassen, deren letzte Zuckungen mit den ersten Vorläufern der

*) Höchstens könnte das Küstenland von der Krim   bis zur Donau­mündung in Betracht kommen. Dem widerspricht aber das charakteri­stische Vorkommen der Esche und Linde in dieser Gegend, für welche beiden Bäume kein gemeinsames europäisches Grundwort vorhanden ist. Auch deuten die späteren historischen Ausläufer der fraglichen ureuro­päischen Völkerwanderung auf einen viel westlicheren Strahlenpunkt der Bewegung.