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historisch bekannten sog. großen Völkerwanderung sich bis zur Ununterscheidbarkeit berühren in den Keltenzügen des 6. bis 3. Säkulums v. Chr. Die ersten Regungen sind gewiß bis gegen 2000 v. Chr. hinaufzuschieben, wenn nicht noch weiter. Der Zustand nationaler Gesammtentwicklung aber, der vorherging, hat nach Obigem in Deutschland stattgefunden zu dem man geographisch wie ethnologisch ja selbstverständlich die Niederlande rechnen muß, ohne sich dadurch irgendwelches Chauvinismus schuldig zu machen. Deutschland kann also in der That den Ruhm, Völkermutter zu sein, in einem noch viel höheren Grade beanspruchen, als Victor Hugo es zu ahnen vermochte.
Seine Bedeutung erlangt dieser Ruhm" aber erst durch die Beobachtung dessen, was der europäische Stamm auf diesem Boden gewonnen oder, falls er den Anlauf dazu schon während des Herzuges aus der unbekannten Urheimath genommen hatte, was er auf diesem Boden ausgereift und befestigt hat. Darin liegt dann wirklich ein Stück deutscher Kulturgeschichte, und wenn wir ,, der Väter werth" werden wollen, sollen wir uns vor allen Dingen bestreben, diese alten Errungenschaften nicht zu vergessen. Wir erkennen sie, indem wir das Bild des indogermanischen Urvolkes mit dem seines Kindes, des europäischen Urvolkes vergleichen. Fick hat diesen Vergleich selbst angestellt und wir folgen ihm, indem wir uns-wie schon geschehen ist bemühen, einige Züge beſtimmter zu fassen und womöglich zu vervollständigen.
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Zunächst also unser Urvolk in der unbekannten Heimath. Mit Affenmenschen haben wir es natürlich auch schon hier nicht mehr zu thun. Die Naturwissenschaft hat uns ja längst darüber belehrt, daß der Entwicklungsgang vom Gorillavetter zum modernen ,, Kulturmenschen" sehr viel mehr Zeit brauchte, als nach der vulgären Annahme seit Adam verstrichen sein soll. Ein Volt, wie das fragliche, das vor etwa 5000 oder 6000 Jahren oder sind es einige Jahrtausende mehr gewesen seine Eigenart zur Geltung brachte, hatte schon die wahrhafte Kulturarbeit vieler hundert Generationen hinter sich. Das lehrt uns die Geologie und Paläontologie, und das bestätigt im vorliegenden Falle die Philologie auf's Beste. Von einem Jäger- und Fischerleben ist keine Rede mehr. Buntwild und Hase kommen als jagdbare Thiere vor, Wolf und Bär als reißende, von Wasserthieren sind nur Flußkrebs und Muschel zu bemerken. Der geringe Wortvorrath, der sich auf diese Seite des Lebens bezieht, zeigt ihre geringe Bedeutung für jenes Volk.
Die materielle Hauptgrundlage des Lebens ist dagegen die Viehzucht. Das Wort Vieh steht gradezu für Vermögen, wie sich das noch im bekannten lateinischen Worte pecunia, Gelb, von pecus, Vieh, nachfühlen läßt. Merkwürdigerweise bedeutet das Wort Paku, Vieh, eigentlich den Fang und zeigt so deutlich, wie die Viehzucht aus der Jagd hervorgegangen ist in einem Lande, in welchem unsere jetzigen Hausthiere ursprünglich als Wild lebten, also wahrscheinlich in Centralasien oder am Kaukasus. Es sind noch heut dieselben Arten, wie schon in jener Zeit: das Stämmige, Staura, das Rind; als Brüllerin, Gau , die Kuh, und als Befruchter, Uksam, der Stier; ferner das Fruchtbare(?), Su, das Schwein; das Ereilende, Akva, das Pferd; das Blökende(?), Avi, das Schaf; das Bewegliche oder Hüpfende, Aga oder Staga, die Ziege; das Starke, Kuan, der Hund; das Maulaufsperrende(?), Ghansa, die Gansnur die Ente, das Huhn und die Katze fehlen. Den Esel erwähnt Fick nicht, doch scheint er vorhanden zu sein( Griechisch Killos Sanskrit Kharas?). Von der Biene bleibt es ungewiß, ob man sie zog oder sich mit Wildhonig begnügte.
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Das Leben dieser Hirten war nun ferner tein schweifendes Nomadenthum, sondern ein ansässiges, inmitten ausgedehnter Weidegebiete, die als Trift mit demselben Worte, Agra, bezeichnet werden, das später zu Acker wird, und andererseits auf das Hervorgehen des Hirtenthums aus dem Jägerleben zurückweist, da es nur durch eine geringe Endungsverschiedenheit von
dem Worte für Jagd, Agrah*), absteht, das wohl auch Jagdflur bedeutet haben mag. Als man auf der Agrah, Jagdflur, den Fang, Baku , nicht mehr schlachtete, sondern zum Vieh, Paku, machte, da wurde die Agrah zur eigentlich gleichbedeutenden Agra, die sich dann in späteren Jahrhunderten bei fernerem Kulturfortschritt die weitere Umdeutung in Saatland mußte gefallen lassen. Ein solches, ein Saatland, hat nun freilich auch unserm Hirtenvolke nicht mehr ganz gefehlt, das zeigt die ursprachliche Verwendung des Wortes Wolf , Barka, eigentlich Zerreißer, für einen Pflug oder eine Karst, und weniger sicher. das Vorhandensein von Ausdrücken für Halmfrucht, Sichel, Zerstampfen und Zermalmen der Körner und Mehlkuchen. Das Wort Yava, Halmfrucht, steht ähnlich neben Yavasa(?) Futtergras, wie Agra neben Agrah, und deutet ähnlich wie jenes die Entstehung der Naturpflege aus der einfachen Naturbenutzung an. Jedenfalls spielten diese Anfänge des Ackerbaues nur eine Nebenrolle.
Als
Die nährenden Erträge dieser einfachen Wirthschaft nun genoß man besonders als Milch, Kochfleisch, Röstfleisch, Fleischbrühe ( Yusa, unser modernes Jus) und Mehlkuchen und zwar mit Salz. Daß die Milch als Käse, Butter oder sonstwie verarbeitet. wurde, läßt sich erkennen, aber nicht auf welche Weise. geistigen Süßtrant" statt aller Weine, Biere, Schnäpse, Kaffees, Thees, Chokoladen u. s. w. hatte man den Madhu, unsern altehrwürdigen Meth, der unseren Ahnen so trefflich gemundet hat, daß ihre Nachkommen auf Island wie auf Ceylon ihre Götter sich daran ergötzen ließen, und selbst der Nektar der Hellenen nur ein ästhetisirtes Honigbier ist. Beeren und Baumfrüchte spielten gar keine Rolle es fehlt ganz an ursprachlichen Bezeichnungen für sie: wir haben es eben nicht mit Kindheitsmenschen auf seligen Inseln à la Otahaiti zu thun, sondern mit einem mühegewohnten Volke, das offenbar in einem rauben, falten, armen Lande seine mannhafte Kraft geltend macht.
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Die Bekleidung besteht aus gewebter Wolle und Thierfellen und wird zusammengenäht. Um die Mitte des Leibes gürtet man sich, die Füße scheinen beschuht zu sein, doch noch nicht mit Leder, das Haupt dagegen unbedeckt; am Halse tragen wenigstens die Frauen und Mädchen einen Schmud.- Die Wohnung besteht aus behauenen Balken von Fichten, Birken und Weiden und hat ein festes Fundament, Dach, Pfeiler, Kammern, Thüren und einen eingehegten Hofraum. Ställe und Hürden befinden sich in der Nähe. Streu und Polster bieten einige Bequemlichkeit.
Neben der Kunst des Hausbauens erscheint auch schon die des Metallarbeiters, Wagners, Schiffbauers und Töpfers. Doch ist das Fahrzeug nur noch ein geruderter Nachen. Seltsamerweise fehlt der Steinarbeiter- wohl nur ein zufälliger Mangel unsrer Ueberlieferung. Ebenso fehlt Eisen, während Gold, Silber und Kupfer da sind. Die Art ist da war sie von Kupfer, so mußte sie sich sehr leicht abnutzen. Sehr wahrscheinlich wurden neben ihr Steinwerkzeuge gebraucht, für die nur der Name in den meisten Sprachen vergessen ist vielleicht unser Sachs, lat. saxum. Ein von Fick bei seiner Kulturschilderung übergangenes Wort Kankana scheint uns zu beweisen, daß auch schon eine Klingel oder Schelle angefertigt wurde( vgl. Fick, Wörterb. der indog. Grundspr. pag. 25). Töpfe, Kessel und Becken werden gefertigt und mit Henkeln versehen; auch Dreifuß und Dreizack finden sich gleichlautend in entfernten Tochtersprachen, können aber leicht eine täuschende Einheit darstellen, wie die oben angeführten Vokabeln Eteofles und Satyakravas.
Die Anfänge der Wissenschaft zeigen sich in der Ausbildung des dekadischen Zahlsystens bis hundert, der Eintheilung des Jahres in drei Jahreszeiten( Herbst fehlt) und zwölf Monate, und in einem gewiß noch recht rohen Heilverfahren, das wenigstens auf drei Uebel Rücksicht nahm: die Verwundung, die Schwindsucht und die Hautflechte. ( Fortsetzung folgt.)
*) Nicht anlautendes h ist in der Umschreibung fremder Vokabeln stets als Dehnungszeichen gebraucht. Nur bei Eigennamen ist davon Abstand genommen.