,, Und ich kam erst nach seinem Tode in den Kampf, gewiß, erst nach seinem Tode, Marie!" rief Friedrich, zitternd, daß der blutige Leichnam des Vaters sich als unübersteigliche Schranke zwischen ihn und Marie stellen werde; aber Marie hörte nicht auf ihn; vom Schmerze gebrochen, wankte sie und sank starr und thränenlos in einen Sessel.

Friedrich beugte sich zärtlich zu ihr und preßte ihre kalte Hand an seine Lippen. Dann zog er ein zusammengefaltetes Papier aus dem Busen und reichte es Paul, ohne die Augen von der Geliebten abzuwenden.

Hier ist ein Paß!" sprach er langsam. Reisen Sie mit Gott und vergessen Sie nicht, daß wir Zwei in Paris zurück­bleiben, um für Sie zu bürgen."

,, Ich werde meinen Vater rächen!" sagte Paul finster. ,, Unsinniger!" rief Friedrich lebhaft. Auch auf den Straßen schreit man nach Rache; auch an deinem Degen klebt Blut.. wer sagt dir, daß nicht auch du Waisen gemacht hast?- Ver­gib, auf daß dir vergeben werde!"

,, Und wer wird meine Schwester beschützen?"

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,, Ich gehe nicht nach Koblenz !" antwortete Friedrich. ,, Nun, wohlan denn! Wir sehen uns wieder. Lebe wohl, Marie!" rief Paul und wandte sich zum Gehen; aber ein Schreckensruf entrang sich seiner Brust, denn die Thüre war zum zweitenmale durch einen Feind versperrt, der mit einem einzigen Blicke beide junge Leute unbeweglich auf ihrem Platze festhielt. ,, Danton!" riefen Beide wie aus einem Munde. ,, Wer einem Emigranten zur Flucht verhilft, ist dem Tode verfallen!" sprach Danton langsam, Friedrich starr anblickend. Hierauf hob er Paul's Degen vom Boden auf und zerbrach

ihn, riß den Paß aus den Händen des jungen Mannes, der wie betäubt stand, und zerriß ihn in Stücke, indem er sagte: Sie kommen von Koblenz , aber Sie werden nicht dahin zurückkehren!" Im selben Augenblicke drang die Volksmenge, gleich einem entfesselten Strome Alles vor sich niederwerfend, in den Palast. Das verhängnißvolle ,, Ça ira" ertönte wie ein Grabgesang, und hundert Föderirte, die rothe Müße auf dem Haupte, stürzten in den Salon und schrien: ,, Nieder mit den Aristokraten!" Aber Danton streckte ihnen abwehrend den Arm entgegen, und an diesem mächtigen Damme brach sich der Strom.

Hier ist der Verhaftsbefehl für diese ganze Familie!" sprach der Tribun, indem er einen Föderirten zu sich heranwinkte. Dieser gehorchte, empfing seine Verhaltungsbefehle, wählte unter seinen Begleitern die stärksten Männer aus und ordnete aus ihnen ein Peloton, welches bis in die Mitte des Saales vorschritt.

Paul nahm seine Schwester bei der Hand und stellte sich mit ihr in die Mitte dieser neuen Garde. Marie war bis zu diesem Augenblicke theilnahmslos für Alles geblieben, was um sie her vorging; aber jetzt, als sie sich von all diesen fremden, unheimlichen Männergestalten umringt sah, streckte sie, wie un­willkürlich, ihre freie Hand nach Friedrich aus und dieser durch­eilte den Saal und stellte sich neben seine Geliebte. ,, Was thust du?" rief Danton .

,, Auch ich gehöre zur Familie!" war Friedrich's Antwort. ,, Vorwärts denn!" rief Danton scharf, und die kleine Ab­theilung der Sansfülotten geleitete seine Gefangenen ohne An­fechtung durch eine, noch vor wenig Augenblicken nach Rache lechzende Menge, welche die Macht eines einzigen Menschen be= ruhigt hatte. ( Fortseßung folgt.)

Abgerissene Bilder aus meinem Leben.

Von Joh. Ph. Becker.

I.

Der Demagogenwolf, Verhaftungs-, Gefängniß- Scenen und ein Fremdwort, das Tod oder lebenslängliches Zuchthaus bedeutet. ( Fortsetzung.)

,, Nur ruhig verhalten einstweilen, es wird bald etwas Besseres| zu thun geben," antwortete ich laut, Allen vernehmbar. Dennoch ging ein Lehrjunge mit einem Haumesser auf den Gensdarm los, so daß ich ihn am Arm packen und zurückziehen mußte, worauf ich mich sogleich zum Umkleiden nach meiner Wohnstube begab, in die mir der Brigadier auf dem Fuße folgte und dadurch sofort ein lautes Wehklagen meiner hochschwangern Frau und unserer Kinder hervorrief.( Ich war damals 23 Jahre alt und Vater von 2 Kindern, eines Knaben von 5 Jahren, der 1847 als Leutnant des 12. Berner Bataillons den Sonderbundskrieg, 1849 als Generalstabshauptmann die süddeutsche Mairevolution und 1860-1864 als Oberst des 28. Ohioregiments den nord amerikanischen Krieg gegen die Sklavenhalterstaaten mitmachte und dabei mit Hinterlassung von Frau und 3 Kindern umkam, und eines Mädchens von 1 Jahr, das jetzt Mutter von 3 Söhnen von 25, 23 und 21 Jahren ist.) Indessen vernahm ich einen ungeheuren Lärm auf der Gasse, der mich einen neuen Krawall, vermehrte Unannehmlichkeit für mich und nachtheilige Folgen für die allgemeine Sache vermuthen ließ. Als ich dann nach herz zerreißendem Abschied von meiner Familie mit meiner freiwilligen Leibgarde die Stiege hinunter gekommen war, fand ich den Haus gang, obgleich die Haus- und Hofthüren von doppelt bewaffneten Gensdarmen besetzt waren, derart mit Menschen überfüllt, daß ich mich nur mit vieler Energie bis zum Ausgang durchbrücken fonnte. Von hier aus weiter zu kommen, war wegen des wach senden Auflaufs und der gereizten Stimmung der Massen einst weilen gar nicht möglich. Meister, Gesellen und Lehrlinge in Hemdärmeln und Arbeitsschürzen, Weiber und Gassenjungen brängten sich immer näher an mich heran. Da hieß es unter betäubendem Durcheinandergeschrei: Dableiben Jean Philipp, die

Gensdarmen sollen sich zum Teufel packen." Dazwischen ver­nahm man von links- und rechtsher überlaute einzelne Stimmen: Die Freiheit soll leben!" Hoch, die Republik !" Ale für Einen und Einer für Alle!"" Fort mit den Fanghunden!" Nieder mit dem Demagogenwolf!" Jetzt arbeitete sich der unter­setzte, kräftige Wirth der Weißen Taube", Löw, Stadtrath und Freund meines Vaters, durch die kompakte Menge bis nahe zu mir heran, mir gleichsam gebieterisch zurufend: Jean Philipp, Du gehst mir nicht aus Deinem Haus heraus, sonst hab' ich gar keinen Respekt mehr vor Dir" und sich dann gegen die Gensdarmen wendend: Und Ihr, Polizeimänner, könnt heim­gehen und Eurem Herrn sagen, daß wir in Frankenthal keinen ehrlichen Bürger einsperren lassen."" Bravo , Bravo , so ist's recht!" erscholl es von allen Seiten; dann stieg die Aufregung und die Menge von Sekunde zu Sekunde. Nur mit der äußersten Kraftanstrengung und dem vollsten Aufwand meiner Stimme gelang es mir endlich, mir Gehör zu verschaffen und die guten Leute durch Klarlegung der Sachlage zu ernüchtern und zu be­schwichtigen. Vor Allem muß ich euch sagen," begann ich ,,, daß ich fest entschlossen bin, dem mir überreichten Verhaftsbefehl Folge zu leisten; denn wenn ich nicht mitginge, so müßte ich mich ent­schließen, landesflüchtig zu werden, was ich aber um jeden Preis vermeiden will, denn es gibt bald sehr viel in Deutschland für Volkswohl zu thun, und da möchte ich doch für mein Leben gern dabei sein. Wenn ich hätte fliehen wollen, so wäre ich mit dem Brigadier in meinem Hause oben allein fertig geworden und über alle Dächer hinaus jetzt schon auf freiem Felde angelangt, und zwar ohne irgend einen meiner Freunde und Mitbürger zu kompromittiren. Allerdings könntet ihr jetzt leicht, wenn ich zu­stimmte, gegenüber den wenigen Gensdarmen, die gleichsam jetzt