sie klettert an ihrem Liede empor, wie der Dichter sehr treffend sagt. Es ist die Lerche, die erste Verkünderin des Frühlings, die in bogenförmigen Windungen lobfingend der Sonne zufliegt. In der Nähe klingt dies Lied freilich etwas schrill und scharf, aber wenn der Vogel hoch oben im Aether schwebt, so ist es wie ein Himmelsgruß, der zur Erde herniedertönt. Kein anderer Vogel, sagt Toussenet, ist im Stande, mit der Lerche zu wett­eifern, sowohl was Fülle und Abwechslung des Gesanges an­betrifft, als in Bezug auf Ausdauer und Stärke des Tones, Geschmeidigkeit nnd Unermüdlichkeit der Stimme. Welch' eine Brust, der mit solcher Kraft während des Hinaufsteigens zu einer Höhe, wo der Vogel nur noch wie ein Punkt erscheint, dieses mannichfaltige Lied entströmt! Stundenlang kann dieser Vogel fingen, ohne daß man bei ihm irgendwelche Anstrengung bemerken könnte. Wirbelnde, ziehende, flötende und lullende Töne ent­strömen der kleinen Kehle. So heiter und rein strömt das Lied in ununterbrochenem Zusammenhange hervor, wie der Aether, in dem der Vogel schwebt. Schwirrende Flöten- und Glockentöne wechseln mit einander ab, hin und wieder fügt der Vogel eine entlehnte Zeile ein, verwebt diese in geschickten Wendungen und Form bildungen zu einem Ganzen, das gewiß in seinen feinen Nüanci­rungen volle Anerkennung verdient. Freilich sind nicht alle Lerchen so vollendete Künstler. Es gibt auch unter ihnen welche, deren Lied nur aus wenigen, sehr kurzen und einfachen Strophen be­steht und mit Recht den Vorwurf der Eintönigkeit verdient, der gewöhnlich dem Lerchengesang gemacht wird.

179

des Wetteifers. Kaum beginnt das Frühroth den Horizont zu vergolden, so erklingen schon die süßen Lieder im Hain und auf der Bergeshalde. Ununterbrochen geht dann der Wirbel fort, bis die letzten Strahlen der Sonne verschwunden, bis die tiefblaue Frühlingsnacht ihren Schleier über die Fluren breitet. Doch wie ein Traum entflieht die Zeit der Liebe. Der Ernst des Ehelebens tritt auch an die Vögel heran und macht manche Kehle fast ganz verstummen. fast ganz verstummen. Nur noch in den Morgen- und Abend­stunden gewinnt der Vogel einige Zeit, um seinem Weibchen einzelne Strophen vorzutragen. Welch' eine einzelne Strophen vorzutragen. Doch bald hört auch dies auf, denn mit den Jungen wächst auch die Arbeit und Mühe. Nun führen die treuen Eltern diese hinaus und stimmen noch einmal ihre Lieder an. Aber die steigende Hitze des Sommers wirkt lähmend auf das Wesen des Vogels und verkürzt den Gesang, so daß eine Kehle nach der andern verstummt. Schen verkriechen sich die Vögel in die dichtesten Gebüsche, um hier die Mauser zu verleben, die sie sterbensmatt und bis zum Tode betrübt macht. 3st sie glücklich überstanden, so stellt sich bei ihnen eine ungeheure Eßluft ein, damit sie die verbrauchten Kräfte wieder ersetzen und neue für den Zug in die weite Ferne sammeln können. Und sie haben sie nöthig, denn schon wehen die Winde so herbstlich über die Halde, der Wald schmückt sich mit bunten Farben, die aber den Kuß des Todes nicht verdecken können. Gemeinsam stellen unsere Sänger Flugübungen an, um die Kraft der Schwingen zu prüfen und zu stählen. Noch einmal kehrt der Staar zu seinem Nest zurück, um dann in schwirrendem Fluge seinen fort­eilenden Brüdern zu folgen. Bald steht der Wald ganz still­und stumm da, sein Kleid ist abgetragen, sein Duft verweht. Er träumt von des Frühlings Wiederkehr, von Blüthendust, Blumen­hauch und von neuen Minnesängern im fünftigen jungen Lenze.

Am schönsten erscheinen uns die Lieder der Vögel im Wonne­gefühl der jungen Minne, wenn das Männchen singend um die Gunst des erwählten Weibchens buhlt. Selbst die minderbegabten werden dann mit fortgeriffen und machen unerhörte Anstrengungen

Ein Pariser Krankenhaus vor hundert Jahren und heute.

I.

Das Hotel Dien vor hundert Jahren.

Von Gustav Rasch .

Im Archiv des Palastes der Armen an der Avenue Victoria, wo die Pariser Centralbehörden für die öffentliche Wohlthätigkeit ihren Sitz haben, wurde mir ein kleines Bildchen gezeigt, welches eine Scene aus einem Krankenjaal des Hotel Dieu darstellt. Das Bildchen, welches einem Manuskript aus dem fünfzehnten Jahrhundert beigeheftet ist, liefert uns einen traurigen Beweis, in welcher Weise Jahrhunderte hindurch mit den Kranken in Pariser Krankenhäusern umgegangen worden ist. Wir erblicken auf demselben vier Betten nebeneinander. Die Bettgestelle stehen auf einem mit schwarzen und weißen Steinen gepflasterten Boden und sind so nahe aneinander gerückt, daß sie sich mit den Rändern berühren. Der Boden ist ein nackter Steinboden ohne Stroh­matten und Teppiche. In jedem Bette liegen zwei Kranke, ganz nackt, ohne jede Bekleidung.

Daß der Maler auf seinem Bildchen die Wahrheit dar­gestellt und nicht übertrieben hat, ist außer allem Zweifel, denn alle Geschichtsschreiber, welche das Hotel Dieu erwähnen, erzählen, daß man dort vier, fünf und auch sechs Kranke in ein Bett legte. Ein solcher Zustand der Dinge, der uns heute empören würde, scheint damals grade keine Entrüstung hervorgerufen zu haben. Sauval, der im siebzehnten Jahrhundert lebte und dem man gewiß keine Herzenshärte vorwerfen kann, begnügt sich, über eine solche Behandlung der Kranken sich in folgenden Worten zu äußern: " Es wäre wohl wünschenswerth, daß man nicht mehrere Kranke in dasselbe Bett legte, schon wegen der Unbequemlichkeit nicht, insbesondere aber nicht, weil es doch etwas sehr Fatales hat, mit vier sterbenden und mit dem Tode ringenden Personen in demselben Bette zu liegen." In dem Jahre, wo Sauval dies schrieb, befanden sich im Hotel Dieu 2800 Krante. Man kann sich bei einer solchen Krankenzahl vorstellen, wie es in den

Krankensälen des Hotel Dieu ausgesehen haben muß, welche zu allen möglichen Dingen gebraucht wurden und wo man unter anderm die Krankenwäsche und die Bettwäsche trocknete. Diesem legten Mißbrauch machte erst eine Verordnung aus dem Jahre 1755 ein Ende.

Erst die großen philosophischen Ideen des achtzehnten Jahr­hunderts brachten die Menschen auf den Gedanken, sich ernstlich mit der Krankenpflege in den Hospitälern zu beschäftigen. Aber leider blieb es bei dem Willen. Als ein großer Theil des Hotel Dieu im Jahre 1772 abbrannte, dachte man freilich daran, das Krankenhaus aus der Cité in die Umgegend von Paris zu ver­legen. Boyet, ein sehr intelligenter Architekt, zeichnete einen Plan zu einem neuen Krankenhause, welches aus einer Reihe von Pavillons bestehen sollte. Aber der Plan wurde zu den Akten gelegt, der niedergebrannte Theil des Hotel Dieu von neuem aufgebaut und in demselben wie früher fortgewirthschaftet.

König Ludwig der Sechzehnte war empört, als er von der Behandlung der Kranken im Hotel Dieu hörte. Drei Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, Tenon, Bailly und Laroche­foucauld- Liancourt, wurden vom Könige im Jahre 1785 beauf­tragt, die Zustände im Hotel Dieu näher zu untersuchen. Was sie fanden, überſtieg Alles, was man über die Zustände im Hotel Dieu in Paris gehört hatte.

Als Tenon das Hotel Dieu besuchte, enthielten die 1219 Betten des Krankenhauses 3418 Kranke. Ein einziger Saal war von 818 Fieberfranken besetzt. Man häufte die Kranken in solcher Weise aufeinander, daß ein großer Grad von Einbildungskraft dazu gehört, sich die Möglichkeit einer solchen Zusammenhäufung zu denken. Um Ansteckung machte man sich keine Sorge. Man vernachlässigte alle Elementarregeln der Gesundheitskunde. Die Verwundeten, die Fieberkranken, die Typhuskranken und die Blatternfranken, die Schwindsüchtigen und die 3ersinnigen, die Operirten und die Rekonvaleszenten, sie alle lebten oder starben