ein Nachen, der nur mit Rudern auf Binnengewässern fortbewegt wird. Auch die Reitkunst fehlt noch immer. Die nothwendig gewordene Wahrung des Besitzes deutet be- reits auf Umgestaltung des alten patriarchalischen Zustandes hin. Die Archäologie zeigt uns, daß Mitteleuropa vor der Besiedelung durch die Jndogernianen bereits eine Bevölkerung hatte. Daß diese bei der Eroberung des Landes ganz ausgerottet oder ver- trieben wurde, ist an sich nicht wahrscheinlich und wird es noch weniger durch das Vorhandensein einer großen Klasse unfreier oder halbfreier Leute in diesen Landen beim Beginn der Geschichte. Vennehrte man durch Einführung des Ackerbaues die Arbeitslast, welche mit jeder Wirthschaftsführung verbunden war, so lag es nahe, Bezwungene, vielleicht anfänglich nur in Sümpfe oder Berg- schluchten zurückgedrängte Reste der Urbevölkerung zu fangen und mit dieser Last zu bepacken. Auch die sehr vermehrte Industrie lud dazu ein. So mag es sich erklären, daß ein neues Wort für quälen aufkommt: mal, eigentlich mürbe machen, also wohl überarbeiten, abrackern. Bei einer so vermehrten Nachfrage nach Arbeit mußte das Unpraktische der oben von uns vermutheten grausamen Behandlung der Gefangenen einleuchten. Zwar fehlt noch immer ein Ausdruck für Sklaverei, aber auch ohne einen solchen Begriff konnte man durch regelmäßige Frohnden— wofür sich eine Bezeichnung vom ursprachlichen rabch,„anpacken, sich anstrengen", leicht ableiten ließ— den Zweck erreichen; freilich nur bei der nordöstlichen Hälfte der Europäer findet sich das fragliche Wort: es ist das slavische Rabota, das lettische Rabata, das deutsche Arbeit. Vielleicht ist die südwestliche Hälfte, die Vorfahren der Kelten, Römer und Hellenen, damals noch diesem Verfahren fern geblieben; vielleicht haben sich zwei Bezeichnungen für diese Frohnden gebildet, von denen die eine bei dem Südweststamm vergessen ist, die andere beim Nordost- stamm; während sie sich im Südwesten als das lateinische Inbor (aus rabor) erhalten hat. Thatsächlich findet sich bei beiden Hälften eine sehr häßliche Vokabel, die jedenfalls das Auftreten einer enterbten, unterdrückten Volksklasie im Gegensatz zur Urzeit beweist: Kasyah, lüderliches Weibsbild, abgeleitet von kas, „kratzen". Daß bei so bewandten Umständen die juristischen und sitt- lichen Begriffe sich vervielfältigen müssen, ist klar. Das Gesetz taucht auf als Lagha, das Niedergelegte, Festgesetzte. Sehr bezeichnend erscheinen gleichzeitig Aita, der Eid, und Menta, die Lüge. Auf ein bewegteres Seelenleben deuten Uaka und Ghlauya, Scherz, und Ghramada, Geknirsch. In der Welt- anschauuug scheint der Optimismus dem Pessimismus zu weichen. Der Mensch als solcher nennt sich GH am an, der Irdische. Wahrscheinlich verfinstert sich auch die Göttervorstellung— doch geht Fick auf diese Fragen nicht ein und so mögen sie auch hier beiseite bleiben. Erwähnung finde nur ein neuer Gottesname, ber griechische Theos(altnord. Diar, Plur.), der den„Erblicker" bezeichnet und auf das Erwachen des bösen Gewissens zu deuten scheint. Scheint es danach fast zweifelhaft, ob wir dem ökonomischeu und technischen Fortschritt zulieb uns über diese ersten Neugestal- tungen auf deutschem Boden befriedigt fühlen können, so wird doch alles Unliebsame daran reichlich überwogen durch den Ge- Uniin auf politischem Gebiet. Der alte Agrarkommunismus wird nicht nur fortgehalte», sondern gekräftigt durch die Zusammen- gliederung der einzelnen Gemeinden zu einem größeren Staats- Wesen. Das Wort Kantaria, Hundertschaft, Departement, beweist diesen Vorgang, dessen Wirkungen wir ja auch thatsächlich bei allen Zweigen dieser Gesammtnation finden, sobald das erste Licht der Geschichte auf sie fällt. Erleichtett wurde dieselbe offenbar durch das engere Zusammenwohnen, das mit dem Vor- wiegen des Ackerbaues gegeben war. Darauf deutet auch der beginnende freundschaftliche Verkehr zwischen verschiedenen Haus- halten, der sich wiederspiegelt in den Ausdrücken Svesarihna, Schwestersohn, und Galvas, Manncsschwester,— daß die letztere weist auswärts verheirathet war, erklärt daS bisherige Fehlen des Ausdrucks für sie; daß man nun auch mit der auswärts Ber - heiratheten häusig zusammenkam, erklärt die Bildung eines solchen. Auch die Vokabeln Ghasti, Gast, und Ghaspati, Wirth, deuten! auf dasselbe Zusammenrücken der Höfe. Damit war nun auch i die Ausbildung eines Gemeingefühls ermöglicht, und das offenbart sich kräftigst dadurch, daß neben das alte patriarcha- � lischc Königthum als wahre, souveräne Staatsgewalt eine demokratische Volksgemeinde tritt— die erste Regung der Republik , von der wir wissen, und zugleich! das erste politische Ereigniß auf deutschem Boden. Allerdings besteht die alte patriarchalische Fürstenwürde fort, aber ihre Bezeichnung muß sich einer andern Endung bequemen, wo- durch das Wort entsteht, das wir im lateinischen rox und alt- I deutschen reiks(unsere Namensendung rich) wiederfinden. Nur die Damen, wie immer konservativ, retten den alten Titel in weiblicher Form für die regina, reine. Diese gemeinsame Aenderung deutet schon auf eine Abschwächung der alten Gewalt; daß dann bei den Einzelvölkern der Hellenen, Slaven , Letten, Germanen u. s. w. ganz neue Fürstentitel aufkommen, weist auf fernere Umgestaltungen des Staats. Aber schon vor der curo- päischen Völkertheilung ist die durchschlagende That geschehen. Das beweisen die gemeinsamen Ausdrücke Kaiva, Staatsbürger (altdeutsch Hihva, lateinisch eivis, woher civitas, cit6, city, citoyen), Parka*), Volk(altdeutsch Folk, hellenisch sDial.j Polchos, eigentlich Polkos, slavisch Pluku, litthauisch Pulkas) und Tautah, souveränes Volk(altdeutsch Thiuda, sabinisch Touta, oskisch Tauta, lettisch Tauta— dazu die illyrische Königin Teuta und vielleicht die großen Revolutionäre gegen den König Zeus , die Titanen). Die erste dieser wunderbar redenden Voka- beln bedeutet ursprünglich den„trauten Genossen" und deutet dadurch an, wie gemeinsame Interessen unsere Väter vor vier- tausend Jahren ohne äußeren Zwang dahin geführt haben, erstens die trennende Besonderheit der alten kleinlichen Staatswesen zu überwinden, zweitens sich zur genieinsamen Leitung ihrer Ange- legenheiten zu verbinden. Für die zweite, Parka, weiß Fick im Wörterbuch, wo er sie bespricht, nur die unbrauchbare Ableitungs- Möglichkeit von prak, flechten, anzudeuten. Er scheint dabei zu übersehen, daß prak auch bedeuten kann„fordern", und daß das Volk, insofern es nicht als regierendes konstituirt ist, eine for- dernde Menge heißt. Was gefordert wird, ist bei der agrar - kommunistischen Organisation jener Gesellschaft sehr klar. Gewährt aber wird die Befriedigung dieser Forderung durch die Tautah, d. h. die Machthaberin, die Versammlung aller freien Männer, die sich selbst als höchste Gewalt bezeichnet, vor der der„König " Reiks nur als Ehrenpräsident und Oberopferer»och eine Be- deutung hat, wie wir es im alten Germanien wirklich bei Beginn der Geschichte finden, und wie es also auch die europäischen Brudervölker als politisches Vermächtniß von uns mitbekommen haben. Und nun gewinnen wir noch ein neues Recht, hier von unserer alten Geschichte zu sprechen, deim vom Worte Tautah kommt der Name der Teutonen, das Adjektiv thiudisk, hoch- deutsch Diutisk, nach dem wir uns Deutsche nennen, wie unser Nationalheld Dietrich, Thiudareiks, den Präsidenten der Thiuda, Tautah bedeutet. Dürften wir also nicht mit vollem Recht das Wort Deutsche mit Demokraten übersetzen und, wenn! man die ökonomischen Zustände jener Urdemokratie berücksichtigt, mit Sozialdemokraten? Haben wir nicht ein volles, wissen- schaftliches, durch einen konservativen, royalistischen Göttinger i Professor verbürgtes Recht," jeden Nichtsozialdemokraten für einen schlechten Deutschen , einen Verräther an der altheiligen Tradition unseres Baterlandes zu erklären? Die Gegend zwischen Niederrhein und Niederelbe hat ihre demokratische Fruchtbarkeit behalten. Hierher gehören ja beson- ders die berühmten Schilderungen des Tacitus — nicht zu gedenken der so vielfach gemißbrauchten Teutoburg(der Burg des' Tautah!); hier, an der Weser bei Markloh, tagte, zuletzt 772 nach Christus, jenes Altsachsenparlament, das uns zum erstenmal in der Weltgeschichte eine geregelte Volksvertretung zeigt; an dieser Küste haben die Friesen und Strandsachsen *) ist zu bemerken, daß Fick in der„Sprachcinheit" diese Vokabel ubergeht,— es ist uns unbekannt, aus welchen Gründen.
Ausgabe
1 (21.5.1876) 21
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