halbdunkle Treppen hinauf- und hinabzuklettern, die zugige Gatter­brücke des heiligen Karl zu überschreiten und mich auf die andere Seite der Seine   zu begeben. In einem mit Baumgruppen be­deckten Hofe eines alten Gebäudes des Krankenhauses, welches heute zur Aufnahme der kranken Frauen und Mädchen dient, stand ich endlich vor dem urältesten monumentalen Bauwerk der Stadt Paris  , einem düstern, halbruinenhaften Gebäude. In der Revolution wurde das Portal zerstört und die Flammen ver­zehrten die hinteren Räume. Alles ist im Innern dieser Kapelle uralt und düster, solide, frostig und massiv; doch kann man sich des Eindrucks der Erhabenheit und der Größe nicht erwehren. Das Mittelschiff erscheint in seinen Bogen, welche von dicken, unschönen Pfeilern getragen werden, etwas gedrückt; die Pfeiler der Seitenschiffe sind von schlankerer Konstruktion und die Bogen von sogar schöner Rundung. Wohin man in diesen, durch Fenster mit köstlicher Glasmalerei erleuchteten Raum blickt, erinnern ein gemauerte Steine und Statuen an eine Zeit, die von der un­srigen durch mehr als ein Jahrtausend getrennt ist; der Kron­leuchter ist von geschmiedetem Eisen und tausend Jahre alt. Sollte das alte Hotel Dieu in Jahr und Tag von der Erde verschwinden, so wäre es wohl wünschenswerth, daß man dies urälteste monumentale Gebäude der Stadt Paris  , woran sich die Erinnerungen an Gregor von Tours   und an Dante knüpfen, vor der Zerstörung bewahrte.

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Heute wird in dieser uralten Kapelle des Hotel Dieu der arme Stranke eingesegnet, wenn ihn der Tod von allen Leiden der Armuth und der Krankheit erlöst hat. Er hat am Morgen des Frühlingstages, der ihn zum letzten Male aus den mit dem ersten Grün geschmückten Wipfeln der Bäume angelächelt hat, welche durch die hohen Fenster in den Krankensaal hineinschauen, seinen letzten Seufzer ausgehaucht. Zwei Stunden hat der Körper noch auf dem Bette, welches ihm als letztes Schmerzenslager diente, gelegen, damit die Aerzte den wirklichen Tod konstatiren konnten. Dann kommt ein Wärter, der sich mit den Todten in den unterirdischen Räumen des Krankenhauses beschäftigt, hüllt die Leiche in ein Tuch und trägt sie in die ,, Salle de repos", um sie einem Manne zu übergeben, den man ,, le garçon d'amphithéatre" nennt und der sich mit den Gestorbenen beschäftigt, bis sie zur letzten Ein­segnung in die uralte Kapelle und zur Bestattung auf den Fried­hof gebracht werden. Welche schreckliche Beschäftigung, jahrelang Leichen zu schleppen, zu waschen und in die Särge zu legen! Ein einflußreiches Mitglied der Commune rettete sich dadurch vor dem gewissen Tode, daß es sich nach Beendigung der siebentägigen Pariser Massenschlächterei die Stelle eines garçon d'amphithéatre"

im Hospital des heiligen Ludwig zu verschaffen wußte. In den Todtenkammern des Krankenhauses suchten ihn die Henkersknechte der Versailler gewiß nicht, welche nach ihm ganz Paris   durch­stöbert haben..

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In Begleitung des Wärters, der die Todten aus den Kranken­sälen in die Salle de repos" trägt, stieg ich in die düsteren, unterirdischen Räume des ältesten Pariser   Krankenhauses hinab. Sie gehörten noch seiner ältesten Periode an. Die Treppe und die Gänge waren eng und dunkel, durch Gaslicht erleuchtet. Der Weg wurde immer unheimlicher. Dann gelangte ich in die Salle de repos". Es war ein fellerartiger, oder eigentlich zwei tellerartige, niedrige Räume feucht, durch mattes Tageslicht er­leuchtet, welches durch kellerartige Fenster an den feuchten Wänden hinabglitt. Dort werden die Leichen gewaschen, auf Steinbetten niedergelegt und mit runden Zinkdeckeln bedeckt, um sie gegen die Ratten zu schützen. Ich sah fünf Leichen unter den Zinkdeckeln liegen. Mein Begleiter hatte sie sämmtlich am heutigen und gestrigen Tage aus den Krankensälen hinabgeschleppt. Aber einen Leichengeruch verspürte ich nicht in dieser schrecklichen ,, Salle de repos"" Saal der Ruhe" in Deutschland   würde man | Leichenkeller" oder Leichenkammer" sagen; die immer arbei­tende Dampfmaschine hatte sogar den Verwesungsgeruch aus diesen schrecklichen unterirdischen Räumen entfernt.

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3m ,, Salle de repos" bleibt die Leiche vierundzwanzig Stunden auf ihrem steinernen Ruhebett, mit dem Zinkdeckel, dem Schutz gegen die Ratten, bedeckt. Die Familie des Todten wird benachrichtigt, sie sendet das Leichenhemde und eine weiße Mütze von Baumwolle, um die Leiche mit der Kleidung im Sarge zu versehen. Dann wird sie in einen Sarg von Tannenholz gelegt und in die Kammer der Todten getragen, von wo ihr letzter Weg auf der Erde in die uralte Kapelle und auf den Friedhof geht. Auch in die Todtenkammer führte mich mein Begleiter, ein alter Soldat, der schon seit zehn Jahren im Hotel Dieu die Leichen schleppt. Es war ein düsterer, kellerartiger Raum, der auch noch den älteren Zeiten des Hotel Dieu angehört. Die Wände waren mit schwarzen Draperien bedeckt; der niedrige Raum, dessen Decke ich mit der Hand erreichen konnte, durch zwei in mattgeschliffenen Gläsern brennende Gasflammen matt erleuchet. Zwei Feldbetten standen, die nächsten Särge erwartend, in den Ecken des Gemachs. Für heute waren sie leer. Ein großes Kruzifir von weißgestrichenem Holz schaute von der Hinterwand auf die beiden leeren Feldbetten, welche ihre Särge erwarteten, hinab. Das war mein letzter Anblick in dem ältesten Pariser  Krankenhause, welches nun bald von der Erde verschwinden wird!

Danton  .

Episode aus dem Jahre 1792. Frei nach dem Französischen von D... P...

( Schluß.)

Nach und nach wurde er jedoch ruhiger, sein Bewußtsein fehrte zurück und er versant in einen Zustand halbwachen Traumes. Blöglich wurden seine Augen von einem grellen Lichtschein geblendet, er fuhr empor - eine Lampe stand auf der Erde, und an der Thür lehnte Danton   und blickte ihn mit seinen mächtigen Augen forschend an.

Kommst Du, um einen Verbrecher zum Tode zu führen?' rief Friedrich aufspringend!

" Darüber sollst Du selbst entscheiden, Friedrich," sprach der Tribun ernst. Ich kann und mag noch nicht glauben, daß ein Ehrenmann so plötzlich zum Feigling und zum Verräther werden

fann."

" Zum Verräther und Feigling?" wiederholte Friedrich langsam. Er hob die Briefe vom Boden auf, zerriß den für Marie bestimmten und reichte Danton   den andern. Dahin alfo," sagte dieser trübe, nachdem er gelesen,, dahin führt uns die Liebe zum Weibe? Das Herz wird eigensüchtig und verlernt für die großen Güter der Menschheit zu schlagen, der Wahnsinn schleicht sich

in's Gehirn, die Stimme der Ehre verstummt; das Gewissen schlummert ein, alle edleren Gefühle werden durch diese tolle Leidenschaft erstickt, die den stärksten edelsten Mann zum Sclaven eines Weibes macht, dessen Eitelkeit allein unserer Liebe antwortet, das nicht einmal die Größe der Opfer begreift, die wir ihm

bringen."

,, D, Danton  !" rief Friedrich vorwurfsvoll.

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,, Wenn es nicht wahr ist warum entschwindet denn die Liebe so oft in der Ehe? Kind, glaube mir, nur eine Liebe ist immer edel und groß nur eine ist reich an Freuden, ohne Bitterkeit: Die Liebe zum Vaterlande- und diese Liebe wird nie ver­schmäht und niemals mißverstanden."

Niemals mißverstanden?... Danton  , ist denn das Volk nicht auch undankbar?"

,, Nein! das Volk irrt bisweilen, es folgt mitunter Denen, die es mit fortzureißen verstehen und wirst seine Freunde zu Boden die es lieben sollte; aber wenn sein Rausch verflogen ist, wenn seine Vernunft zurückkehrt, dann begräbt es trauernd die Gefallnen