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und weiht ihrem Andenken ein Denkmal. Merke es dir, Friedrich, wir leben und arbeiten nicht für uns selbst, sondern für die Nachwelt, und die ist niemals ungerecht. Wenn der Wagen des Weltgeschickes, an dem wir ziehen, uns zermalmt, so geschieht dies, weil er schneller vorwärts eilt, als wir es vermögen, und wir seinen Lauf hindern, der über uns hinweg seinem Ziele zurollt. ,, D, Friedrich! wußtest du denn nicht, wie edel eine solche Hin­gebung an das Ganze ist, daß du dich zum Genossen jener Knechtsseelen machen wolltest, welche die Fremden zu ihrer eignen Rettung herbeirufen jener Unseligen, deren Stimme wir ersticken müssen, denn ihr Verbrechen ist schwer;... aber auch ihre Buße wird schwer sein" fügte er mit dumpfer Stimme hinzu und das hattest du nicht bedacht?"

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,, Doch, Danton , doch; eben weil ich deine Hand über ihrem Haupte fühlte, warf ich mich unter fie."

,, Aber du vergaßest die Nachwelt, die ihr Andenken entehren wird!"

,, Wer wird ihre Namen kennen? Das Volksgericht wird sie schnell und unerbittlich treffen, wie der Blitzstrahl."

,, Ja, Friedrich, so wird es sein und es muß so sein!" rief Danton erregt. Es muß so sein, und was ich auf mich nehmen will, ist der größte Beweis einer Hingebung an das Allgemeine, dessen vielleicht nur ich fähig bin. Höre mich, Friedrich! Alle diese Menschen, alle diese Theile einer Hydra, die wir zerstückt haben, können sich zu ihrer Zeit wieder vereinigen. In den Ge­In den Ge­fängnissen haben sie sich zusammengefunden und sind sich ihrer Zahl und Stärke bewußt geworden. Die Hoffnung einer Wieder­vergeltung lebt in ihren Herzen; ihre Brüder, ihre Freunde kämpfen gegen uns in den Reihen der Fremden; mit Jubel nehmen sie die Manifeste Braunschweig's auf, und da sie nicht selbst mit­kämpfen können, konspiriren sie gegen uns. Das Volk weiß dies Alles; wohl erhebt es sich begeistert bei der Stimme seiner Tribunen, um den Feind zu verjagen, aber es zögert, Paris zu verlassen und blickt voll Haß und Angst auf die Gefängnisse, aus denen im Fall einer Niederlage ein erbarmungsloses Heer in ihrem Rücken hervorbrechen kann. Unsere Freiwilligen zittern für ihre Weiber, ihre Kinder und Eltern, die sie schutz- und wehrlos dem Verrath und der Nache preisgeben sollen und stehen festgebannt. Was ist da zu thun? Sollen wir das Vaterland opfern, um jene Verräther zu schonen?"

Friedrich schwieg, denn er wagte nicht, auf diese Frage zu antworten, und Danton fuhr fort:

,, Ganz Europa steht gegen uns und die Sache der Freiheit auf; vielleicht bleibt uns nichts übrig, als uns unter den Trüm­mern von Paris zu begraben. Unsere Generale schwanken, unsere Soldaten weichen; Longwy ist genommen, Verdun wird ebenso­wenig widerstehen; die Aristokraten streuen mit vollen Händen Geld aus, und es gibt Gewissen, die verkäuflich sind, Feigheiten, die sich mit Geld aufwiegen lassen. Die Gefahr ist auf's äußerste gestiegen, und um ihr begegnen zu können, brauchen wir Einheit!" ,, Aber diese Einheit besteht, und einige Wahnsinnige werden sie nicht zerstören können!"

,, Hast du nicht auch gerufen: ,,, Es lebe der König!"" und du warst nicht wahnsinnig. Sieh, die Einheit, die wir brauchen, werde ich schaffen! Da ich nicht will, daß Paris ein Schlachtfeld werde, will ich es zu einer Gruft machen. Habe ich Unrecht?"

,, Aber die Frauen, Danton , die Frauen!"

,, Der Blick eines Weibes genügt, um einen Mann zum räther und zum Feigling zu machen."

,, Danton!"

Ver­

Hast du nicht das Tedeum für die Einnahme von Longwy gesungen? Hast du nicht die Partei der Besiegten verlassen?" ,, Nur, um mit der Geliebten zu sterben!"

Ich möchte nur mit dem Vaterlande untergehen, nur für die Freiheit sterben, Friedrich!"

In diesem Augenblicke hallte Kanonendonner durch Paris und. ließ die Mauern des Kerkers erbeben; die Lampe erblich vor dem hereinbrechenden Tageslicht und das Geläute der Sturmglocke erscholl.

,, Was bedeutet das?" schrie Friedrich.

,, Wenn du willst, daß man Mitleid mit ihr hat, welche du liebst, so sei nicht taub für den Ruf der Sturmglocke!" sprad) Danton langsam und feierlich.

,,, gib mir Waffen, Waffen!" rief der Jüngling außer sich Danton stieß sie auf und zog und stürzte nach der Thür; Friedrich mit sich fort.

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Am Ende des Ganges blieb Danton stehen, schloß eine Thür auf und zeigte auf ein junges Mädchen, das im Hintergrunde einer kleinen finsteren Zelle auf den Knien lag."

,, Marie, Marie!" rief Friedrich und eilte auf die Geliebte zu, die sich schluchzend in seine Arme warf.

Die Sturmglocke ruft!" murmelte Danton . ,, Hinaus, hinaus!" rief Friedrich mit erstickter Stimme und riß sich aus den Armen des bebenden Mädchens.

,, Nicht allein!" sprach Danton , erfaßte Mariens Hand und führte die beiden jungen Leute durch einsame Höfe bis zu einer kleinen Hinterthüre. Vor derselben wartete ein Wagen, in welchem eine verschleierte Dame saß. Danton hieß Marien einsteigen, und ohne ihr Zeit zu lassen, ein Wort des Abschieds zu sagen, gab er dem Kutscher das Zeichen, fortzufahren.

,, Werde ich sie wiedersehen?" fragte Friedrich beklommen. ,, In Arcis sur Aube, in meiner Familie, wird sie Niemand suchen; dort findest du sie wieder," antwortete ihm der Tribun. Aber nun komm und folge mir!" setzte er hinzu, Friedrich's stürmischen Dank abwehrend.

Sie betraten jetzt den großen Vorhof des Gefängnisses; er war mit Bewaffneten angefüllt, und Friedrich stand. schaudernd und wie erstarrt vor dem Schauspiel, das sich seinen Blicken darbot. Leichname lagen unter den Füßen dieser erregten Menschen, deren Hände von Blut troffen. Von Zeit zu Zeit öffnete sich die Thür des Gefängnisses, ein Gefangener trat heraus, ein Name wurde genannt, Säbelklingen blitzten empor, ein erstickter Schrei, ein dumpfer Fall- und Alles war vorüber.

,, Die Geschichte wird den zweiten September mit blutigen Lettern unter meinen Namen schreiben," sagte Danton , düster vor sich hinstarrend; aber Die, welche ihn lesen und mich verdammen und er zeigte auf ein werden, haben dies nicht gesehen..." riesiges Plakat, über welchem eine schwarze Fahne wehte. Auf diesem Plakat standen die Worte:

Bürger, das Vaterland ist in Gefahr!" Friedrich las und die Erstarrung wich von ihm. Stumm drückte er die Hand des Tribunen; er sah wohl noch Vertilger, aber keine Mörder mehr.

Danton zog ihn mit sich fort von der Unglücksstätte. Sie durcheilten die Stadt, bis sie auf dem Marsfelde ankamen, wo man eine Armee von 10,000 Mann improvisirt hatte, aus deren Reihen nur der eine tausendfältige Ruf erscholl:

,, Vorwärts, nach Verdun !"

Friedrich stellte sich in das erste Glied, nachdem er zuvor Danton umarmt hatte, der ihm leise zuflüsterte:

,, Auf Wiedersehen über's Jahr in Arcis sur Aube!" Die Bataillone ordneten sich, die Waffen wurden vertheilt und Danton rief mit donnernder Stimme:

,, Vorwärts, Bürger, vorwärts! Und vergeßt nicht, daß es nicht weiter von Paris nach Berlin , als von Berlin nach Paris ist; vergeßt nicht, daß ihr für Haus und Herd und für die Freiheit streitet!

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Achtzehn Monate später schloß Friedrich, siegreich heimgekehrt, Marie als sein Weib in Arcis sur Aube in seine Arme, aber bie Revolution hatte ihren treuen Danton fand er nicht wieder Sohn getödtet.

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Friedrich von Blainval lebte noch in den vierziger Jahren als pensionirter Hauptmann an der Seite seiner treuen Lebens­gefährtin; aus seinem Munde hörte ich das Vorstehende und durch ihn lernte ich zuerst die Septembertage des Jahres 1792 begreifen.