der Augenblick zum Handeln heran. Unter direktem und indirektem ( durch Lord Palmerston besorgtem) russischem Druck war der erste schleswig- Holstein 'sche Feldzug durch den schmählichen Waffenstillstand von Malmö beschlossen worden. Das Frankfurter Parlament erniedrigte sich dazu, ihn zu bestätigen, und damit offenbar und unzweifelhaft sich von der Revolution loszusagen. Der Frankfurter Aufstand vom 18. September war die Antwort; er wurde niedergeschlagen. Fast gleichzeitig war in Berlin die Krisis zwischen der Verfassungs- Vereinbarungs- Versammlung und der Krone ausgebrochen. Am 9. August hatte die Versammlung durch einen höchst zahmen, ja schüchternen Beschluß die Regierung gebeten, doch etwas zu thun, damit das schamlose Gebahren der reaktionären Offiziere nicht mehr so offenbar und anstößig betrieben werde. Als sie im September Ausführung dieses Beschlusses verlangte, war die Antwort die Einsetzung des direkt reaktionären Ministeriums Pfuel mit einem General an der Spize( 19. Sept.) und die Ernennung des bekannten Wrangel zum Obergeneral in den Marken: zwei Winke mit dem Zaunpfahl für die Berliner Vereinbarer, entweder zu Kreuz zu kriechen oder Auseinanderjagung zu gewärtigen. Die Aufregung wurde allgemein. Auch in Köln wurden Volksversammlungen gehalten und ein Sicherheitsausschuß ernannt. Die Regierung beschloß, den ersten Streich in
254
Köln zu führen. Demgemäß wurden am Morgen des 25. September eine Anzahl Demokraten verhaftet, darunter auch der jetzige Oberbürgermeister, damals als der rothe Becker" allgemein bekannt. Die Aufregung stieg. Nachmittags wurde auf dem alten Markt eine Volksversammlung gehalten. Wolff präsidirte. Die Bürgerwehr stand ringsumher aufgestellt, der demokratischen Bewegung nicht abgeneigt, jedoch das eigne Heil in erster Linie vertretend. Auf eine Anfrage erklärte sie, sie sei da, das Volk zu schützen. Plötzlich dringen Leute auf den Markt mit dem Ruf: Die Preußen kommen! Ruf: Die Preußen kommen! Joseph Moll, der des Morgens auch verhaftet, aber vom Volk befreit worden war, und der grade das Wort führte, rief:„ Bürger, wollt ihr vor den Preußen auseinandergehen?" ,, Nein, nein!" war die Antwort.- Dann müssen wir Barrikaden bauen!" und sofort ging's an's Werk. Der Ausgang des Kölner Barrikadentages ist be= kannt. Durch einen blinden Lärm hervorgerufen, ohne Widerstand zu finden, ohne Waffen-die Bürgerwehr ging vorsichtig nach Hause verlief die ganze Bewegung blutlos im Sande; die Regierung erreichte ihren Zweck: Köln wurde in Belagerungszustand erklärt, die Bürgerwehr entwaffnet, die ,, Neue Rheinische Zeitung " suspendirt, ihre Redakteure genöthigt, in's Ausland zu gehen.
-
Fingerzeige zum gefunden Leben.
2. Unsere Wohnungen.
( Fortseyung.)
Von H. V.
Daß es aber auch bei uns an schreienden Uebelständen nicht fehlt, denen gegenüber das Reichsgesundheitsamt eine segensreiche Thätigkeit entwickeln könnte, und die eine Abhülfe dringend er heischen, dürfte schon aus dem bisher Gesagten zur Genüge zu ersehen sein, und auch von Niemandem, außer vielleicht einigen Häuserwucherern, geleugnet werden. Es ist schon erwähnt worden, daß sich bei der Volkszählung im Jahre 1867 ergeben hat, daß in den großen Städten Deutschlands 10,2 von 100 Wohnungen übervölkert sind, und daß in Berlin allein 12,281 Wohnungen, d. h. 12,1 pSt., ohne eine besondere Küche vorhanden sind. Der Vorsteher der Berliner Stadtverordneten, Herr Dr. Straßmann, entwarf auf dem im September 1874 in Danzig abgehaltenen Kongreß des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege folgendes Bild von den Zuständen, wie sie sich jetzt in Berlin entwickelt haben. Er sagte:
„ Die Aufgabe, welche für den gewöhnlichen Hausbau der Bautechniker jetzt zu lösen habe, gehe einfach dahin, über und neben der gegebenen Fläche möglichst viel Räume herzustellen, die vermiethet werden können. Auf diese Weise seien die Mieths fasernen zum Typus der Berliner Bewohnung geworden. Jahre 1864-67 haben sich die einstöckigen Vorderhäuser in Berlin um 8 pCt., die zweistöckigen um 36 pCt., die drei stöckigen um 112 pCt. vermindert, während die vierstöckigen um 11 pCt., die fünf- und mehrstöckigen um 43 pСt. sich vermehrt haben. Die Vorderhäuser mit Kellerwohnungen haben um 14 p. zugenommen. Noch ungünstiger stehen die Sachen bei den Hofgebäuden. Diese haben sich von 6937 auf 7204, also um nahezu 4 pCt. vermehrt. Innerhalb der einzelnen Klassen haben sich die einstöckigen um 11 pet, die zweistöckigen um 7 pCt., die dreistöckigen um 4 pCt. vermindert, während die vierstöckigen um 8 pCt., die fünfstödigen sogar um 50 pCt. gestiegen sind. Da nun die Wohnungen im Parterre, im ersten, zweiten und dritten Stock als normal, die im Keller und vierten Stock aber als anormal gelten müssen, so wohnen nach der Volkszählung von 1867 83,3 pt. der Berliner Bevölkerung in normalen, 16,2 pt. aber in anormalen Behausungen. Wenn nun auch grade in Berlin oft sehr wohlfituirte Leute, Budiker 2c. in den Kellern wohnen, und es bei der Mortalitäts-( Sterblichkeits-) Berechnung der einzelnen Wohnungsklassen auch auf die Lebens
weise der Bewohner ankommt, so sei doch die Höhenlage der Wohnung immerhin von gewaltigem Einfluß auf die Gesundheit. Thatsache sei, daß sich für Berlin alle günstigen Momente der baulichen Entwicklung vermindert, und alle ungünstigen rapid vermehrt hätten. Leider sei dies namentlich bei den neuangelegten Stadttheilen der Fall. In der Friedrichsstadt außerhalb seien 78 pCt. aller Vorderhäuser mit Kellerwohnungen versehen, während alte Stadttheile nur 16 pCt. aufweisen. Die vier Stock und darüber belegenen Wohnungen weisen noch eine größere Sterblichkeitsziffer auf als die Kellerwohnungen, nämlich 2,6 bis 2,9 pCt. Ein weiterer Uebelstand sei die Größe der Wohnungen. 60,000 Wohnungen können übervölkert genannt werden, und außerdem wohnen noch 290,000 Menschen in Wohnungen mit nur einem heizbaren Zimmer. Die Zahl solcher Wohnungen beträgt 49 pCt. Ganz eminent wirken bei der vorliegenden Frage die traurigen Berliner Be- und Entwässerungsverhältnisse mit.
Die 721 Morgen Wasserfläche der Berliner Rinnsteine dünsten Tod und Krankheit aus. Es sei daher nicht zu verwundern, daß jetzt schon ein Todesfall auf 30,5 Seelen kommt und sich unter allen Gestorbenen des letzten Jahres ( 27,600) zwei Fünftel( 11,000) Kinder befanden."
So schildert der Vorsteher der Berliner Stadtverordneten selbst die dortigen Zustände. Es hat Niemand die Richtigkeit seiner Angaben bestritten. Kellerwohnungen gab es nach den amtlichen statistischen Tabellen in Berlin .
1861 9,654 1864 11,985
1867
14,292 mit 62,000 Bewohnern, 1871 19,240" 85,840 1875 23,200.
" 1
Nahezu der neunte Theil der Bewohner der Residenz wohnt in Kellern, und da 14 pCt. hiervon Restaurateure und Speisewirthe und 20 pCt. Vorfosthändler sind, so verkehrt ungefähr der vierte Theil der Gesammtbevölkerung in Kellern.
Die Höfe, deren Größe und Zustand für die Gesundheit der in den Seitenflügeln und Hintergebäuden wohnenden Menschen von so großer Bedeutung ist, sind meist nur enge Zwischenräume, noch nicht zehn Quadratmeter groß, zwischen dem fünf Stock hohen Vorderhause und dem ebenso hohen rechten und linken Seitenflügel und Hintergebäude. Da dringt weber jemals ein Sonnenstrahl noch ein frischer Lufthauch hinein, da herrscht stets