eine dunstige unreine Atmosphäre, und die Menschen, die ver­dammt sind, in einem an einen solchen Hof grenzenden Raum ihr Leben zuzubringen, leiden an fortwährendem Luftmangel und Lufthunger.

Die Defen, die Stuben- wie die Küchenöfen, sind vielfach in einem Zustande, daß es unmöglich ist, in ihnen zu heizen, ohne daß die Bewohner mehr oder weniger von Kohlendunst zu leiden haben. Ueber diesen wichtigen Gegenstand habe ich mich bereits im ersten Aufsatz geäußert.

Die Abflußröhre des Spülwassers und der Klosets sind meist voller Schmus; sie tragen nicht wenig zur Verpestung der Luft wie zur Vermehrung der Ratten und ähnlichen Ungeziefers bei. So ist es in der Hauptstadt des deutschen Reiches, und in den meisten übrigen Städten ist es nicht viel besser.

Die Folgen solcher Wohnungsverhältnisse bleiben natürlich nicht aus, wenn sich auch ein großer Theil der Bevölkerung an das Vorhandensein derartiger Mißstände schon in einem solchen Grade gewöhnt hat, daß er sie gar nicht mehr fühlt und daß es erst eines besonderen Hinweises bedarf, um dieselben zum Be­wußtsein zu bringen. Leider steht auch in dieser Beziehung die Reichshauptstadt oben an.

Nur einige wenige amtlich festgestellte statistische Zahlen seien zum Beweise dafür hier angeführt. Dem verstorbenen Direktor des Berliner   städtischen statistischen Bureaus, Dr. Schwabe, ver­danken wir eine Zusammenstellung der in mehreren Jahren in Berlin   vorgekommenen Todesfälle nach der Lage der Wohnungen der Gestorbenen. Hiernach starben von 1000 Bewohnern 1., 2., 3. Stock 4., 5. Stock 21,4 21,8 22 28,2

1861

1864 1867

im Keller

24

27,1 24,5

23,3 21

31,1

26,7

Wenn also im ersten Stock von einer gewissen Anzahl Menschen in einem gewissen Zeitraum drei Personen sterben, müssen oben vier Treppen auf die gleiche Anzahl Menschen in dem gleichen Zeitraum vier Personen sterben. Diese vierte Person tönnte also am Leben erhalten bleiben, wenn die Bewohner des vierten Stockes unter denselben Verhältnissen lebten, als die in den unteren Stockwerken; sie wird fast allein dadurch hingerafft, daß sie ge­zwungen ist, ihr Leben in der ungesunden Wohnung oben vier Treppen zuzubringen.

Den Kellerbewohnern ergeht es nicht viel besser, und wenn bei den vier Treppen hoch Wohnenden die dürftige Lebenslage bis zu einem gewissen Grade zu ihrer größeren Sterblichkeit auch

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beitragen mag, so ist dies bei den meisten Kellerbewohnern nicht der Fall. Diese sind zum größten Theil Schank- und Speise­wirthe, Vorkost- und Delikatessenhändler, Leute also, die im Allgemeinen keine dürftige Nähr- und Lebensweise führen. Auch bei den Kellerbewohnern nimmt die Sterblichkeit fortwährend zu. Im Jahre 1854 waren unter 100 Gestorbenen 7,5 Keller­bewohner, 1861 8,9, 1871 9,2, 1874 9,5. Die größte Zahl dieser Opfer raffte der Tod schon im zarten Kindesalter hin. Indeß forderten auch Typhus  , Pocken, Cholera, Schwind­sucht und Abzehrung bedeutende und immer wachsende Opfer an Menschenleben, Krankheiten also, die ihre Entstehung hauptsächlich ungefunden Wohnstätten und schlechter Lebenslage verdanken. Nimmt man nämlich die Zahl aller Todesfälle von Keller­bewohnern im Jahre 1854 als Einheit, so starben

1854

1861

1871 1874 an Ansteckungskrankheiten 1000 1718 3876 4882 an Schwindsucht 1000 1659 3304 4990 an Durchfall 1000 2322 7051 8972.

Die Zahl der tödtlichen Krankheiten, deren Entstehung in grober Verlegung der Gesundheitspflege ihren Grund hat, nimmt also in erschreckendem Maße zu. Am grellſten tritt der schädliche Einfluß der schlechten Wohnungsverhältnisse bei der Bevölkerung einiger von berüchtigten Spekulanten erbauten Miethskasernen hervor. Hierüber heißt es in dem amtlichen Bericht der Ver­waltung der städtischen Armenpflege von Berlin   pro 1873 unter Anderem: Im 61. Medizinalbezirk lieferte z. B. das Haus Müllerstraße 31 im Jahre 1873 von 153 Flecktyphuskranken im Bezirk allein 150. Aus dem Hause Gitschinerstraße 17 kamen von den 575 armen Kranken des ganzen 18. Medizinalbezirks allein 117, d. h. 30,8 pt. aller Kranken; davon waren 22 pet. epidemische Krankheiten. Alle sechs in diesem Bezirk unter den Armen vorgekommenen Cholerafälle tamen aus diesem Hause, ebenso 46 pCt. aller Ruhr- und 80 pCt. aller Diphtheritis­fälle. Ebenso lieferte der andere Häuserkomplex desselben Eigen­thümers( R. Bergemann heißt dieser sonst ,, hochangesehene Ehren­mann"), Johanniterstraße 3-5, in dem über 1000 Menschen hausen," 53 pet. aller im 13. Medizinalbezirk behandelten Kranken. Wenngleich eine Verbesserung der Wohnungen im Ganzen an­erkannt wird(?), stieg doch infolge der Ueberfüllung einzelner Miethskasernen und durch Unsauberkeit verpesteter Häuser, wie der vorgedachten, der Prozentsatz der in die Hospitäler zu sen= denden Kranken von 10,5 pCt. im Vorjahr auf 12,7 pct. im Jahre 1873( noch) 1871 betrug derselbe nur 8,7 pct., die fünf Jahre vorher durchschnittlich kaum 7,5 pCt.)."( Schluß folgt.)

Major Davel.

Eine biographische Skizze aus der Schweizergeschichte des vorigen Jahrhunderts. Von Robert Schweichel  .

( Fortsetzung.)

Der Frieden von Aarau  , auch der Westphälische der Schweiz  genannt, hatte Bern   auf den höchsten Gipfel der Macht erhoben. Die allmähliche Umwandlung der demokratischen Verfassung in eine aristokratische ward vollendet. Kaum 80 Patrizierfamilien, aus denen sich, wie in Venedig  , der souveräne Rath der Zwei­hundert rekrutirte, theilten die Republik  , ihre Aemter und Ein­fünfte unter sich. Ueber ein Dritttheil des gesammten Bundes­gebiets erstreckte sich die Berner   Herrschaft. Allein diese Madst hatte ihren wunden Fleck, der Davel feineswegs entging. Luzern  und die kleinen Kantone trugen den Tag von Villmergen in gutem Andenken. Sie warteten nur auf eine günstige Gelegen­heit, den Vertrag von Aarau   zu brechen. Mit diesem Hasse ging der Neid und die Eifersucht aller übrigen Kantone ohne Unter­schied der Konfessionen Hand in Hand. Das durch Bern   ge­störte Gleichgewicht der schweizer   Kantone sollte wiederhergestellt werden, und dieser Wunsch ward von den katholischen Groß­

mächten Desterreich und Frankreich   getheilt und genährt. Wie die Stellung der Berner   Regierung nach außen, so war sie auch nach innen eine völlig isolirte. Das Waadtland, Aargau  , das Oberland, der ganze Kanton Bern   und die von jedem Antheil an der Regierung ausgeschlossene Bürgerschaft der Hauptstadt. selbst waren vom gleichen Geist der Unzufriedenheit durchbrungen. Davel zweifelte nicht, daß sie die erste günstige Gelegenheit be­nutzen würden, um sich zu verkünden, ihre Unabhängigkeit zu erklären, und den Schatz, den die souveräne Stadt aus den unter­worfenen Provinzen aufgehäuft, unter sich zu theilen. So glich Bern   einem Kegel, der auf seiner Spiẞe balancirte. Es bedurfte nur eines kleinen Anstoßes, um ihn aus seinem Schwerpunkt zu stürzen. Alle Verhältnisse weissagten einer Erhebung glücklichen Erfolg und Davel beschloß, zu handeln. Schon in seinen Kriegs­jahren hatte er die Gewohnheit, so oft es sich um eine wichtige Entschließung handelte, sich im einsamen Gebet zuvor an Gott