zu wenden. Auch jetzt that er so, ehe er sich für einen bestimmten Plan entschied. Er zog sich von der Welt zurück, wachte und betete um Erleuchtung. Seine Nichten, mit denen er lebte, und die übrigen Hausgenossen, sahen ihn in dieser Zeit oft Thränen vergießen. Ich flehte demüthig zu Gott," erzählte er später im Gefängnisse seinen Freunden, daß es ihm gefallen möge, mich von meinem Vorhaben abzubringen, wenn dasselbe nicht zum Glück meines Vaterlandes gereichen sollte, und mich zu führen, damit ich nichts gegen seinen Willen unternähme. Aber statt eine Aenderung in mir zu spüren, fühlte ich mich vielmehr fortgerissen und wie von einer höheren Macht getrieben." Mit der ihm eigenen Kaltblütigkeit und Umsicht begann er nun seinen Plan und seit dem Anfang des Jahres 1723 deffen Ausführung. Er setzte eine Unabhängigkeitserklärung des Waadtlandes auf, eine Note an den Rath von Genf , worin er diesem die Gründe seiner „ Schilderhebung" darlegte und einen Brief an die Freiburger Regierung, in dem er um freien Durchzug für seine Truppen bat, um Murten und die Grenzen bei Guminen zu besetzen, hoffend, daß die Erhebung der Waadtländer , gegen die unerträg liche Herrschaft Berns" auch deren Verbündete freimachen werde. Der freien Rede unfähig, entwarf er zugleich eine Anrede an die
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Zweihundert von Lausanne und folgendes Rundschreiben an die Städte des Waadtlandes:
,, Edle, berühmte und sehr geehrte Herren!
Es ist nicht möglich, daß ich jeder Stadt oder jedem Einzelnen des Landes die erste Veranlassung zu dieser Schilderhebung, die ich für unsere Befreiung von der Herrschaft Berns unternommen habe, mittheile, wegen des Geheimnisses, das die Seele dieses ersten Schrittes ist. Meine Hauptaufmerksamkeit ist darauf gerichtet, Ihnen Alles mitzutheilen, was geschehen ist, um Ihre Billigung oder besseren Rathschläge zu erhalten, überzeugt, daß unser Aller gemeinschaftliches Ziel unsere so unterdrückte Freiheit ist. Ich habe ohne Verzug Alles gethan, was für die Vollendung des begonnenen Werkes, für das wir den Segen Gottes erflehen, förderlich und wirksam ist. Ich bin 2c."
Das Osterfest nahte. Während desselben fanden in Bern die jährlichen Neuwahlen des Rathes, der Landvögte 2c. statt, weshalb denn alle Amtleute und höheren Beamten wie sämmtliche Mitglieder der Regierung in der Hauptstadt erscheinen mußten. In ihrer Abwesenheit sollte der entscheidende Schritt gethan werden. Der Augenblick war so günstig wie keiner. ( Fortsetzung folgt.)
Pierre Jean Béranger ( sprich: Piärr Schang Berangscheh), der volksthümlichste Liederdichter Frankreichs , wurde am 19. August 1780 zu Paris geboren; die Ereignisse der französischen Revolution brausten, nicht ohne mächtige Eindrücke zu hinterlassen, an dem Knaben und Jüngling vorüber; Beranger blieb sein ganzes Leben lang kind der großen Revolution", wenn auch das Kaiserreich des ersten Napoleon dem leicht erregbaren Chansonnier( Liederdichter) eine, mit den Prinzipien von 1789" nicht völlig im Einklang stehende Bewunderung entTockte. Er widmete sich ursprünglich der schwarzen Kunst", wurde ihr aber bald zu Gunsten einer heitereren Kunst untreu; durch seine gelungenen dichterischen Versuche fesselte er die Aufmerksamkeit eines einflußreichen Mannes, der ihm 1809 eine Stelle im Sekretariat der Universität verschaffte. Von nun an widmete sich Béranger ganz der Poesie; 1821 wurde er von dem Bourbonenregiment, das er in seinen Liedern heftig bekämpft, seines Postens entsegt, was ihm jedoch, da sein Ruf schon begründet war, nicht mehr Schaden bringen, im Gegentheil nur größere Unabhängigkeit gewähren konnte. Er wurde in mehrere Prozesse verwickelt und mehrfach bestraft. An der Julirevolution betheiligte er sich lebhaft, wandte sich aber bald von dem heuchlerischen Bürgerfönigthum ab. Die Februarrevolution erfüllte ihn mit Begeisterung, die jedoch nicht lange vorhielt. Die Junischlacht zerstörte die Hoffnungen des greisen Dichters; der Staatsstreich des 2. Dezember 1851 fand keine mehr zu zerstören. Alle Versuche der„ Dezemberbande" und ihres Chefs, den Verherrlicher des ersten Kaiserreichs zu gewinnen, scheiterten an dem Ekel Beranger's , dessen nagendster Kummer in den legten Lebensjahren es war, daß er durch viele seiner Gedichte die Kaiserlegende gepflegt, der Blut- und Kothwirthschaft des zweiten Kaiserreichs eine poetische Grundlage gegeben hatte. In dem prächtigen Gedicht:„ Der Adler und der Hahn" sprach er sein Verdammungsurtheil aus. Er starb am 17. Juli 1857. Wir werden uns mit Béranger gelegentlich ausführlicher beschäftigen; sein wohlgelungenes Porträt, welches wir heut bringen( siehe Seite 252), ist nach der besten vorhandenen Photographie geschnitten.
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,, Arbeitseinstellung."( S. Seite 253.) Das ist ein Schreckenswort für so viele Selbstsüchtige und Arbeitsscheue, aber oft auch der lezte Versuch des Ueberlasteten, sich seiner Haut zu wehren, und eine gefährliche Waffe für den, der sie führen muß und den, gegen welchen sie gerichtet ist. Wer sie führt, muß mindestens einen so guten Rüdhalt in seinem Rechtsbewußtsein haben, wie unser kleiner Anton auf dem Bilde, wo er der Liesel den Gehorsam kündigt oder er muß auf sonstige gute Bundesgenossen und einige Groschen einzelnes Geld rechnen können, daß er's aushalten kann, wenn sich sein Partner etwa auf die Hinterbeine stellt. Im großen sozialen Leben freilich, da sieht sich das Bild nicht so drollig an, wie es uns der Maler hier aus der " Welt im Kleinen" vor Augen führt. Die Ursachen dieses Strikes sind indeß für die direkt Betheiligten nicht minder schwerwiegend, als für die indirekt Betheiligten, zumal den Herrn Lehrer, der in seiner neuen Amtswohnung mit Ungeduld auf seine Schul- und Hausrequisiten wartet, die ihm die beiden dienstwilligen Geschwister aus der alten Wohnung bringen sollen. Der mit Theekessel, Reibeisen, Schale und einem physikalischen Ständer gekrönte umfangreiche Papierkorb birgt gewiß in seinen
Tiefen noch manch' schweren Gegenstand aus dem Hausrath des alten Junggesellen, und die kluge Liesel hat ihn sorgfältig gepackt, die Geige aber, den Kleiderrechen und die Bierflasche in den Handkorb zu ihrer Rechten untergebracht. Anton hat schon unterwegs seine Betrachtungen darüber angestellt, warum er, als der Kleinere, auch noch die Kutterschaufel und die Mausefalle tragen soll, während doch die Last des großen Korbes sich ohnedies schon so bedenklich nach seiner Seite zog. In der Dorfgasse war er zu stolz, sich als Schwächeren zu zeigen und den Korb abzuseßen, wiewohl er wiederholt der Schwester sein Leid geklagt. Sie will's nicht glauben, hält den„ Dicken" für faul und ist deshalb nicht wenig böse, weil er plöglich vor der Brücke am Bach seine Last niederlegte und mit diplomatischer Berechnung seine beiden Fäuste in die Taschen bohrt. Der Liesel ist's nicht lächerlich zu Muthe, denn Anton hat einen harten Kopf, und wie ein kluger Feldherr hat er auch das Terrain zum Austragen des Kampfes gut ausgewählt. Sie kann den großen Korb nicht allein über den Bach tragen, und vergebens fordert sie ihn auf, die Arbeit wieder aufzunehmen. Der Anton aber bleibt standhaft, denn er behauptet, daß eine Last, an der Große und Kleine tragen, immer den Kleinen am schwersten fällt. Unfre Liesel aber weiß sich endlich zu helfen und verspricht ihm aus der Flasche einen Schluck, wenn sie hinüber sind. Der Anton geht auf den Leim, er trägt wie zuvor, aber nachdem sie hinüber sind, da weiß ihm unsre Liesel unterwegs so rührend von dem„ Eigenthum des Lehrers" und den„ Gefahren des Naschens" zu erzählen, daß es dem Anton ordentlich zu Herzen geht. Als sie dann Abends zu Hause waren, da hat der Anton doch noch einmal recht gründlich über den„ versprochenen Schluck" nachgedacht. Daß ihn die Liesel getäuscht, hat er übrigens lange nicht vergessen können.
Später vollends, als unser Anton beim Handwerk war und er als Geselle in der Stadt bei den Sozialisten so manches von der gerechten Vertheilung der Lasten und Rechte hörte, da fiel ihm oftmals Schulmeisters Umzug ein, wo ihn seine eigne Schwester überlistet und wo er schließlich das Nachsehen hatte. Und als er gar eines Tages mit seinen Kollegen zur Arbeitseinstellung gezwungen war, weil der Minister Camphausen das Rezept von den niedrigen Arbeitslöhnen verschrieben hatte, und als es endlich an's Unterhandeln ging, nachdem man vergeblich getrost hatte, da sagte er: Freunde, seht euch vor, denn wenn auch jezt die Meister Versprechungen machen, weil sie nicht allein über den Bach können, so sind sie doch gewiß nicht dümmer als meine Liesel war, damals, wo ich um einen versprochenen Schluck die Mausefalle und den schweren Korb mittrug und hintennach doch mit Redensarten abgefunden wurde. Jezt haben wir's noch in der Hand, und was hilft der schönste Feldzugsplan und das schönste Versprechen, wenn der Andere die Geige hai , nach der wir doch immer wieder tanzen müssen, sobald ein anderer Wind weht?!"
Arbeitseinstellung!" hieß es hierauf einstimmig, und wenn auch der Anton und seine Freunde feine so dicken Backen mehr hatten, wie als Buben, sie haben ihre Sache doch tapfer ausgefochten, so daß der Anton als siegreiches Deputationsmitglied einem bekannten Meister sagen fonnte: Anton, steck' die Fäuste ein!"
Die Welt im Großen spiegelt sich im Kleinen. Nur daß nicht Alles so harmlos aufgefaßt und abgewickelt wird wie auf unserm Bilde - die ,, Arbeitseinstellung".
p.