begegnet sein sollten, zu erzählen, daß sie an der Richtigkeit seines Verstandes zu zweifeln anfingen. Andere glaubten, er habe diese Erzählungen nur ersonnen, um seinen Nichtern durch eine göttliche Mission zu imponiren und auf diese Weise vielleicht sein Leben zu retten.
Es liegt kein stichhaltiger Grund vor, die von Davel mit getheilte Begegnung der Unbekannten lediglich als Ausgeburt einer
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erhitzten Einbildungskraft zu betrachten. Gibt es doch noch in unsrer Zeit Betrüger oder Betrogene genug, die sich die Gabe der Prophezeiung zuschreiben und die leichtgläubige Menge verblenden. ,, Wir sind so klug und dennoch spukt's in Tegel ." Die Zeit, in welche nach Davel jenes Ereigniß fällt, das Jahr 1687 oder 88, war aber solchen Erscheinungen besonders günstig. ( Fortseßung folgt.)
Ein Briefdieb.)
Eine wahre Erzählung von Emil König.
Unter denjenigen Verletzern des Briefgeheimnisses, welche nicht in höherem Auftrage, sondern lediglich um sich zu bereichern, ihre Amtspflicht verlegten, nimmt der berüchtigte Briefbieb Karl Kalab eine so hervorragende Stellung ein, daß wir es uns nicht versagen konnten, eine Schilderung jenes österreichischen Musterbeamten zu geben, dessen Prozeß seinerzeit so gerechtes Aufsehen erregte, weil grade die Vergehen dieses Mannes beweisen, welche ganz unberechenbaren Folgen die Entheiligung des Briefgeheimnisses seitens der Postbeamten nach sich zieht.
Im September 1872 brachten österreichische Blätter folgende Mittheilung:
,, Kalab frei. Der Kaiser von Oesterreich hat dem berüchtigt gewordenen ehemaligen Postbeamten Kalab vier Monate seiner Strafe nachgelassen. Derselbe soll bereits die Strafanstalt Suben verlassen haben. Unter anderm Namen will er nun reblich sein Brot erwerben. An den Namen dieses Mannes knüpfen sich für die österreichische Postanstalt die unerquicklichsten Rückerinnerungen. Es ist nicht zu beschreiben, was damals das österreichische Postinstitut und seine Beamten zu leiden hatten, bis endlich die Entdeckung gemacht wurde, daß es nur ein Einziger war, der die Anstalt so diskreditirte."
Und dieser Einzige hat seinerzeit zur Evidenz bewiesen, wie leicht es ist, einmal in Gnade stehend, zu sündigen.
Auf unzählige Beamte hatte man lange Zeit hindurch Verdacht gehabt, nur auf Kalab nicht, der mit jesuitischer Verstellung den Verdacht gegen Andere rege machte.
Allerdings waren seine Manipulationen manchem seiner Mitbeamtem aufgefallen; aber Kalab galt als das Muster eines Beamten; wie konnte man gegen einen solchen nur einen Verdacht aussprechen?
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Dem damaligen Postkontroleur Stückler hat man und nicht mit Unrecht seine Sorglosigkeit vorgeworfen; leider zu spät. Tausende von Briefen waren bereits verbrannt oder in die Donau geworfen, nachdem sie Kalab ihres Inhalts und der Marken beraubt hatte.
,, Nehmt euch ein Beispiel an Kalab," waren des alten Stückler's Worte jüngeren Beamten gegenüber;„ das ist das Muster eines
Beamten!"
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von hinnen schied?
Ob Kalab nach seiner Entlassung aus dem Kerker wohl hingegangen sein mag nach St. Mary zu dem Grabe jenes vertrauensseligen Kontroleurs, der ihm seine Manipulationen so lange ermöglichte und dann, als die Entdeckung folgte, vielleicht aus Kummer über seine Täuschung " Unterschlagen gewesen und zu Stande gebracht!" Diese Worte konnte man Mitte April 1862 auf Tausenden und aber Tausenden von Briefen lesen, die damals von der alten Kaiserstadt an der Donau aus in alle Welt versendet wurden.
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Unterschlagen gewesen und zu Stande gebracht!" Das mußte vielen Hundert Personen die Erklärung dafür sein, daß sie mit Bestimmtheit, oft mit heißer Sehnsucht erwartete Briefe erst nach Jahresfrist erhielten.
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,, Unterschlagen gewesen und zu Stande gebracht." Diese Devise durchlief ganz Europa ; sogar jenseits des Ozeans, in Amerika , erfuhr man ihre Bedeutung.
*) Nachdruck nicht gestattet.
In Wien selbst gab sie einem Lustspiele den Titel und im Prater und in den Vorstädten scherzte man noch lange hernach darüber, daß die Oesterreicher etwas zu Stande gebracht" hätten.
Aber nicht blos jenes geflügelte Wort, jene landläufig ge= wordene Phrase ist Jedermann in Wien bekannt geworden, alle Zeitungen erzählten ihren Lesern vom Briefdiebe Kalab, von Kalab, dem Briefmarder. Man bildete aus seinem Namen sogar ein neues Zeitwort ,,, kalabisiren", das sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat und mit welchem man in Wien Postdiebstähle, Briefgeheimnißverletzungen und Spoliirungen bezeichnet. Und in der That, die ungeheure Verbreitung der Folgen der von Kalab verübten Verbrechen, der großartige Maßstab, den sie angenommen, der bedeutende Gewinn aus den Unterschlagungen, die eigenthümliche Haltung des Thäters, gegenüber den Tausenden von stummen und doch so beredten Zeugen, endlich die Frage: wie war es möglich, daß jahrelang eine so tolossale Veruntreuung von Briefen fortgesetzt und verborgen bleiben konnte?- das Alles rechtfertigte das ungewöhnliche Interesse, welches dieser Prozeß erregte.
Wir sind in der Lage, eine erschöpfende Darstellung dieses merkwürdigen Straffalles geben zu können. Durch die Güte des betreffenden Untersuchungsrichters am t. t. Landgericht zu Wien gelangten wir indirekt in den Besitz des vollständigen Aftenmaterials.
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Karl Kalab wurde 1830 zu Olmüß geboren, wo sein Vater Lotteriekollekteur war. Lotteriekollekteur war. Schuldenhalber mußte Kalab's Vater seine Kollekte niederlegen, worauf er mit seiner Familie nach Wien zog. Karl, der älteste Sohn von sieben Geschwistern, besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt, wo er für einen mittelmäßigen Kopf galt. Seinen Plan, sich den Studien zu widmen, gab er auf und ging zum Postfach über. Zuerst praktizirte er in Olmüz. Nach glücklich bestandener Prüfung wurde er nach Napagedt in Mähren , später auf einige Monate nach Grammetneusiedel in Ungarn als Expeditor versetzt, und im Jahre 1853 siedelte er nach Wien über.
Sein Vater hatte auch hier eine Lotteriekollektur gepachtet, er sah sich indessen wiederum bald genöthigt, das Pachtverhältniß mit einem nicht unbedeutenden Defizit aufzulösen. Im Herbste 1859 erkrankte er an einem Augenleiden, infolge dessen er unfähig ward, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen und auf bie Unterüßung seiner Kinder angewiesen ward.
Die Töchter nährten sich kümmerlich mit Nähen und Lottoschreiben, ein Sohn diente als Soldat und ein anderer besuchte die Schule noch, mithin war es grade der älteste Sohn Karl, auf welchen die Eltern am meisten rechnen mußten.
Karl Kalab wurde zunächst bei einer Vorstadt- Postanstalt gegen einen allerdings sehr geringen Monatsgehalt von 20 Gulden beschäftigt. Er wohnte bei seinem Vater in einer der nahen, außerhalb der Linie belegenen Ortschaften, wo sich wenig bemittelte Familien der größeren Billigkeit wegen niederzulassen pflegen. Er theilte mit den Seinen die Sorge um das tägliche Brot, war mäßig in seinen Bedürfnissen, bescheiden in seinen Ansprüchen. Pünktlich im Dienst, zuvorkommend gegen das
Dr. 32, 1876.