wie möglich, theilweise auch ökonomische Rücksichten; denn außerhalb der Barriere von Paris find wegen Wegfalls des städtischen Octrois alle Lebensmittel billiger. Jedenfalls ist diese Verlegung in jeder Beziehung den alten Leuten zu Gute gekommen. Sämmtliche Maisons de Retraite stehen unter der Verwaltung der städtischen Behörden des öffentlichen Beistandes ,,, de l'assistance publique", welche im ,, Palaste der Armen" an der Avenue Victoria, dem niedergebrannten Stadthause gegenüber, ihren Sitz haben. Der Leser gestattet mir wohl den Ausdruck" Palast der Armen", wenn ich ihm vorher mittheile, daß die Summe, welche jährlich in den Bureaux dieses großartigen Gebäudes für die Pariser Armen verausgabt wird, vierzig Millionen Francs übersteigt, und daß das Personal der Behörden der öffentlichen Wohlthätigkeit einem kleinen Armeecorps gleichkommt, denn es beträgt weit über Tausend.
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Ich habe sie alle nacheinander besucht, die Maisons de Retraite, welche Humanität und Menschenliebe in der Umgegend von Paris gegründet haben, und war erstaunt über Alles das, was ich sah und hörte. Die Maison des petites Menages" in Issy ist ein Palast, von Gärten und Blumenhöfen umgeben, der etwa zweitausend Greisen und Greifinnen eine Zuflucht für das Alter bietet, welcher an Komfort nichts mangelt. Ich fand dort über zweitausend alte Männer und Frauen, von denen der jüngste Pensionär fünfundsechzig, der älteste fünfundachtzig Jahre zählte. Vierhundert unter ihnen waren so alt und gebrechlich, daß sie die meiste Zeit des Tages im Bette zubrachten und von Barmherzigen Schwestern wie die Kinder gepflegt und gefüttert wurden. Die Pensionspreise waren verschieden; der Pensionär konnte auch ein für allemal ein kleines Kapital zahlen und war dann für sein ganzes Leben versorgt, und wenn dies Leben über hundert Jahre währte. Für 300 Francs jährlich oder für eine Kapitalzahlung von 1800 Francs erhielt er ein eigenes Zimmer; für 200 Fres. oder für eine einmalige Kapitalzahlung von 1200 Frcs. mußte er mit mehreren Pensionären zusammen in einem Saale schlafen. Aber die Schlafsäle waren luftig, hoch, trefflich ventilirt; alle Fenster gingen auf die Gärten und Blumenhöfe; jedes Bett war mit weißen Vorhängen umgeben. Gespeist wurde zweimal in den Speisesälen, um elf Uhr und um fünf Uhr, jedesmal mehrere Schüsseln. Daß zu jeder Mahlzeit Wein gegeben wurde, versteht sich in Frankreich von selbst. Früh Morgens erhielt der Pensionär eine Suppe oder Kaffee mit Weißbrot, wie er wollte. Jedes Ehepaar konnte seine ,, eigene Menage" machen, wie man fagt, und erhielt dazu von der Verwaltung des Hauses Alles, was es bedurfte. Wurde ein Pensionär krant, so erhielt er Alles, was er zu seiner Wiederherstellung brauchte, ärztlichen Besuch, Medikamente, Krankenkost und Verpflegung.
Im Hause gab es Gesellschaftszimmer, Rauchzimmer, eine Bibliothek zur Unterhaltung. Jeder Pensionär war in seiner Freiheit ganz unbeschränkt. Er konnte thun und lassen, was er wollte; er konnte gehen und kommen; wenn er nach Tagen und Wochen wiederkam, fand er sein Zimmer in Ordnung und den Tisch gedeckt. Das Haus sorgte für Alles; er hatte für nichts zu sorgen. Der Garten bot ihm schattige Spaziergänge und prächtige Baumgruppen; die in Gärten verwandelten weiten Höfe Blumenduft und Blumengeruch, und bei schlechtem Wetter ging er unter gedeckten Glasgalerien spazieren, welche ringsum die Höfe umgeben. Wollte er baden, so stand eine Reihe von Badezimmern, jedes von dem andern durch eine spanische Wand getrennt, ihm zur Verfügung. Wollte er sein früheres Geschäft fortsetzen, so gehörte der Ertrag ihm. Ich traf einen Schuster, der in seinem Zimmer saß und lustig auf ein Paar Stiefelfohlen loshämmerte. Rings um ihn lag eine Menge Flickarbeit. Der Schuster war fünfundsiebzig Jahre und fühlte sich so gesund und frisch, daß er mir erzählte, er dächte es bis auf hundert Jahre zu bringen, um doch dem Hause einmal einen Pensionär von hundert Jahren vorzuführen.
Issy vereinigt Maisons de Retraite der verschiedensten Art. An die Baumgruppe des großen Gartens des Palastes der Petites Menages schließt sich ein kleiner Park mit Blumen und Schatten. Er bildet die Rückseite eines Landhauses, dessen Fronte und
Seitenflügel ein schön gehaltener Blumenhof einschließt. Das Landhaus führt nach seinem Stifter den Namen ,, Maison Devillas". Devillas war ein reicher Pariser Kaufmann, der das Landhaus im Jahre 1832 mit einer Rente von vierzigtausend Francs den Pariser Armen schenkte. Es bot an hundert armen alten Männern Sie erhielten eine Zufluchtsstätte gegen Alter und Armuth. Alles das, was die Pensionäre der Maison des petites Menages erhielten und zahlten dafür nichts. Die Maison Devillas bietet ihre Gastfreundschaft ganz umsonst. Ihre Pensionäre unterscheiden sich von den Pensionären des anstoßenden Palastes nur dadurch, daß sie einen Geburtsschein präsentiren müssen, der ein Alter von siebzig Jahren bescheinigt.
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Die schönsten Maisons de Retraite befinden sich in dem eine. Stunde von Paris belegenen schönen Villendorfe Auteuil . Auteuil wurde während der letzten fünf Jahre zweimal in Brand geschossen, einmal durch die Preußen, das andere Mal durch die Kanonen der Versailler. Der größte Theil des Ortes wurde in Asche gelegt. Heute ist von diesen Verwüstungen nichts mehr zu sehen. Die geschmackvollsten Landhäuser mit Blumengärten und Parkanlagen voll prächtiger Baumgruppen bedecken die Trümmerstätten. Auteuil ist das schönste Villendorf in der Umgegend von Paris . In der Rue de Mirabeau erblicken wir, von der Straße durch ein langes Gitter getrennt, zwischen stattlichen Baumgruppen, Rasenstreifen und Blumenparterres acht verschiedene zweistödige Pavillons, welche sich rings um einen weiten Blumenhof gruppiren. Eine offene Glasgalerie läuft rings um den äußern Rand des Blumenhofs und streift sämmtliche Eingangsthüren des Pavillons. In diesen Pavillons wohnen die Pensionäre und Pensionärinnen des vornehmsten Pariser Maison de Retraite, ehemalige Beamte und Beamtenwittwen. Das Haus ist der Louvre unter allen Maisons de Retraite; man empfängt dort nur die Aristokratie der Armuth. Die Einrichtung ist fast luxuriös. In feiner Maison de Retraite habe ich mit solchem Komfort eingerichtete Einzelzimmer und Ehegattenzimmer gefunden, wie in dem Hause ,, des heiligen Périne" - diesen Namen führt das vornehmste Pariser Zufluchtshaus für das Alter. Die Gesellschaftszimmer sind mit Lurus auegestattet; Konversationszimmer reihen sich an Lesezimmer und Spielzimmer. Die Rückseite des Pavillons umgibt ein prächtiger Park von 78,651 Mètres, welcher sich bis an die Auteuil durchschneidende Hauptstraße ausdehnt und in einer langen Terrasse endigt, von deren Höhe man auf die Straße schaut. Der Part zeichnet sich durch große, prächtige Baumgruppen, durch schattige Alleen und Laubgänge, durch weite, wohlgepflegte Rasenflächen und durch kleine Blumengärtchen vor allen anderen Parks von Auteuil aus, welche den ältesten Pensionären zu ihrer Unterhaltung überwiesen sind. In den geräumigen Speisesälen wird an kleinen, weißgedeckten Tischen ausgesucht gut gespeist. Die Badezimmer sind mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet. Gemeinschaftliche Schlafzimmer gibt es im Hause des heiligen Périne gar nicht. Jeder Pensionär hat sein eigenes Zimmer mit Alkoven. Wie gesagt, das Haus in der Rue de Mirabeau ist das Louvre unter allen Pariser Maisons de Retraite. Nichts erinnert dort daran, daß man sich in einem Zufluchtshause für arme Leute befindet. Und doch ist der Pensionspreis, wofür die Aristokratie der Pariser Armuth Aufnahme findet, nicht hoch. Er beträgt nur 850 Francs im Jahr. Die Verwaltung leistet dafür Unglaubliches. Die jährlichen Renten, welche das Haus genießt, um das Defizit zwischen der Pensionssumme der Pensionäre und der Gesammtheit der Leistungen der Verwaltung zu decken, müssen bedeutend sein. Ich habe ihre Höhe nicht erfahren können.
Am andern Ende von Auteuil, nahe bei der alten Kirche, finden wir eine zweite Maison de Retraite; ihr Aeußeres ist bescheiden; das vornehme Gepräge, welches die Säle und Gemächer des Hauses des heiligen Périne haben, suchen wir hier vergebens. Neben den Einzelzimmern und den Ehegattenzimmern gibt es gemeinschaftliche Schlafsäle; die Speisezimmer, die Gesellschaftszimmer, die Badezimmer sind bescheidener eingerichtet. Barmherzige Schwestern versehen hier die Dienste, welche in der vornehmen Maison de Retraite durch gemiethete Dienstboten geleistet