Afte, kein Gesetz zum Schutz der Frauen, der Kinder. Das arbeitende Volk war dem Kapital auf Gnade und Ungnade über­liefert, und die" Conquistadores", die Eroberer von Meriko und Peru  , haben die Eingeborenen nicht schamloser und grausamer ausgebeutet, als die Conquistadores der neuen Welt der Groß­industrie das ihnen verfallene arbeitende Volk.

-

376

Owen sah mit Entsetzen diese Greuel, er sah aber gleich zeitig, daß durch die Großindustrie die Produktion außerordentlich gesteigert wurde. Die Vortheile waren handgreiflich. Die Nach­theile gleichfalls. Aber waren die Nachtheile nothwendig? War es nicht möglich, der Gesellschaft die Vortheile zu sichern, ohne die Nachtheile mit in den Kauf zu nehmen? Er warf sich mit Eifer auf das Studium des wichtigsten Industriezweigs, der Baumwollfabrikation, und war bald in alle Geheimnisse derselben eingedrungen. Er wollte Baumwollenfabrikant werden. Als ihm aber 1789 ein Mechaniker, Namens Jones, den er kennen gelernt hatte, den Vorschlag machte, gemeinschaftlich mit ihm eine Fabrik zur Anfertigung der neuen Baumwollen- Maschinen zu errichten, griff er zu, kündigte seinem Prinzipal und wurde ,, Maschinen­fabrikant" mit einem Kapital von 100 2. St., die er sich von seinem Bruder in London   geborgt hatte. Jones zeigte sich un­fähig; er wollte auch keinen Rath annehmen, und so hielt es denn Owen nach einigen Monaten für das Beste, seine Theil­haberschaft an einen Kapitalisten, der sich meldete, zu verkaufen. Er kehrte nun zu seinem ursprünglichen Plane zurück. Mit dem empfangenen Gelde miethete er ein Fabrikgebäude, das er zum größten Theil an Untervermiether abließ, und stellte ein paar Spinnmaschinen auf. Die Erfahrungen, die er in seiner kurzen Laufbahn als Maschinenfabrikant gemacht, kamen ihm trefflich zu statten, er erwarb sich in kurzem eine gute Kundschaft; allein Mangel an Kapital trat ihm bei jedem Schritt hindernd in den Weg, und als ihm eines Tages mitgetheilt wurde, daß Herr Drinkinwater, ein reicher Baumwollenfabrikant, den sein alter Geschäftsführer plötzlich verlassen, einen neuen Geschäftsführer suche, faßte er Knall und Fall den Entschluß, sich Herrn Drinkinwater anzubieten. Gedacht, gethan. Herr Drinkinwater maß anfangs das kaum zwanzigjährige Bürschchen, das sich unterfing, einer der größten Fabriken Englands vorstehen zu wollen, mit etwas er­staunten und geringschäßigen Blicken: Sie sind zu jung!"- ,, Vor vier oder fünf Jahren wäre ich es gewesen." Wie oft betrinken Sie sich die Woche?"( Die Frage ist kulturgeschichtlich interessant.)- Ich war noch nie in meinem Leben betrunken."

"

-

,, Welchen Gehalt fordern sie?" ,, Dreihundert Pfund Ster­ling." Die kurzen, entschiedenen Antworten imponirten Herrn Drinkinwater: er erkundigte sich näher, und das Resultat war, daß er Owen engagirte.

Dies war im Jahre 1791. Die französische   Revolution, welche um jene Zeit die Welt bewegte, scheint auf Owen einen geringen Eindruck gemacht zu haben. Politische Fragen hatten stets für ihn nur ein untergeordnetes Interesse. Herr Drinkin­water hatte keine Ursache, seine Wahl zu bereuen. Der junge Geschäftsführer brachte rasch Ordnung in das vernachlässigte Etablissement und vervollkommnete die Maschinerie der­gestalt, daß die Fabrik binnen kurzem anerkanntermaßen das feinste Gespinnst in England lieferte. Dabei wurden die Arbeiter gut bezahlt und human behandelt. Nach Jahresfrist erhöhte Herr Drinkinwater, der sich eine so tüchtige Kraft um jeden Preis erhalten wollte, Owen's Gehalt von 300 auf 400 2. St. und verpflichtete sich kontraktlich, das dritte Jahr 500 2. St. zu zahlen und nach Ablauf desselben den Geschäfts­führer zum Kompagnon zu nehmen. Ehe jedoch der Kontrakt zur vollen Ausführung fam, fühlte Owen sich durch eine, wie er später zugab, falsch von ihm aufgefaßte Handlung des Herrn Drinkinwater beleidigt, entledigte diesen aller Verpflichtungen und gründete in Manchester   eine eigene Spinnerei, jedoch nur für solche Garne, die nicht in der Fabrik des Herrn Drinkinwater angefertigt wurden, da er denselben trotz seiner Differenz mit ihm nicht schädigen wollte. Das Unternehmen gelang und Owen war ein gemachter Mann", von den übrigen Fabrikanten bewundert als Geschäftsmann und belächelt als Sonderling; denn er fand keinen Gefallen an den Vergnügungen, mit denen seine Herren Kollegen ihr Geld und ihre Zeit todtschlugen, sondern führte ein wahres Einsiedlerleben und verließ seine Bücher nur, um in der Literarischen und philosophischen Gesellschaft", die ihn zum Mitglied ernannt hatte, mit Männern zu verkehren, von denen er zu lernen hoffte: Männern, wie Coleridge  , der Dichter, Dalton, der Chemiker, Fulton, der Erfinder, welchy' letzteren er für seine Experimente mit bedeutenden Geldzuschüssen unter­stüßte. Und kam Owen einmal in die Gesellschaft seiner Ge­schäfts- Kollegen, so förderte er( wenn er überhaupt zum Sprechen zu bringen, was nicht leicht, denn er war sehr einfilbig) so haar­sträubende Ideen zu Tage, daß es den Herren Fabrikanten angst und bange wurde- Ideen, die bald Fleisch und Blut werden sollten. ( Fortsegung folgt.)

-

II.

Pariser Maisons de Retraite.

Von Gustav Rasch  .

Das Zufluchtshaus des Pariser Arbeiters. Um unsern Besuch in dem Zufluchtshause des braven Pariser  Arbeiters, des Tapezierers Boulard, zu machen, fahren wir mit einem der am Louvre stationirten Tramwaywagen den Quai hinab, an dem im Wiederaufbau begriffenen Stadthause vorüber, nach der Barriere du Trône, wo während der großen französischen  Revolution eine Zeitlang die Guillotine stand, bis sie nach dem Revolutionsplatz zurückgebracht wurde. Von dort bringt uns derselbe Wagen in zehn Minuten nach St. Mandé, in die schönste, meistens aus Landhäusern bestehende Pariser Vorstadt. In der Mitte der Hauptstraße steigen wir vor dem Gitterthore eines aus einem Mittelgebäude und aus zwei Seitenflügeln bestehenden Landhauses aus. Den Raum vom Gitterthore bis zu den Gebäude­gruppen nimmt ein weiter, mit Blumenparterres, Rasenstreifen und Baumgruppen bedeckter Hof ein. Wir stehen vor dem Zufluchtshause des Pariser Arbeiters, welches derselbe in den Jahren 1825 bis 1830 hier ganz in derselben Gestalt, wie es sich uns heute darbietet, aufbauen ließ und zwölf alten und armen Tapezierern als Zufluchtsstätte gegen Krankheit und Armuth schenkte, welche ihr siebzigstes Lebensjahr hinter sich hatten. Paris  

hatte damals zwölf Arrondissements; aus jedem Arrondissement wählte Boulard einen Tapezierer aus und führte ihn in sein mit Komfort eingerichtetes Landhaus, um ihm ein nach dem großen, die Rückseite des Gebäudes umgebenden Garten gehendes wohn­liches Zimmer, einen Platz im Speisesaal, Lebensunterhalt, Wäsche Seitdem und Kleider für den Rest seiner Tage anzubieten. haben die Gäste des Hauses natürlich oft gewechseltsiebzig­jährige Leute haben nicht viele Jahre mehr vor sich, die Ein­richtung des Hauses ist ganz dieselbe geblieben, wie sie am Boulard hat sein Haus Einweihungstage des Jahres 1830 war. dem heiligen Michael geweiht. Wir lesen deshalb auch die Worte ,, Saint Michel" am Frontispiz des Gebäudes.

Es ging schon gegen Abend, als ich vor dem Gitterthor der Maison de Retraite des Pariser Arbeiters ausstieg. Vor dem Gitterthore gingen zwei alte Männer, mit einander plaubernd, auf und ab, die Abendkühle genießend. Sie mußten zu den Gästen des Hauses gehören; denn sie waren in Hauskleidern. Der Eine trug einen Schlafrock aus einem dunkelrothen, ver­schossenen, sammetnen Stoff; eine Müße aus demselben Stoff bedeckte sein spärliches graues Haar; der Andere war in einem unscheinbaren Hausanzuge. Beide sahen rüstig und frisch aus,