Dentalis
,, Gewiß. Herr Boulard hat das Haus so reich dotirt, daß feine Gäste an Nichts Mangel leiden. Morgens Kaffee, Milch, Chokolade, eine Suppe, was die Gäste wünschen. Sie brauchen nur zu befehlen. Ein aus zwei Schüsseln bestehendes Dejeuner; das Diner aus drei Schüsseln. Dazu natürlich Dessert und jedesmal eine halbe Flasche guten Bordeaux . Alte Leute brauchen guten, starken Wein. Sie erhalten auch sonst während des Tages Wein, wenn sie wünschen."
,, Es lebt sich wirklich gut in dem Hause des Pariser Arbeiters." ,, Gewiß, mein Herr! Für den Winter sind, wie Sie sehen, alle Räume durch große Defen erwärmt. Alte Leute haben wenig natürliche Lebenswärme. Deshalb legte Herr Boulard auf eine durchgehende Erwärmung des Hauses großes Gewicht. Das
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Haus ist etwas kokett, mit großer Raumverschwendung gebaut und angelegt; aber alle Einrichtungen sind auf Komfort und Behaglichkeit berechnet. Ich werde Ihnen hernach die Kapelle, die Küche, die Badezimmer und das Wäschezimmer zeigen. Vielleicht besehen Sie sich jetzt die einzelnen Zimmer unserer Gäste; sonst möchten Sie die Herren alle im Bett finden."
,, Also Ihre Gäste schlafen nicht in Schlafsälen zusammen?" ,, Gott bewahre! Herr Boulard sagte: In so hohem Alter muß jeder meiner Gäste sein eigenes Zimmer haben.""
Der Mann mit den sieben Aemtern erhielt Befehl, mich in die Zimmer zu führen, und ich stieg mit ihm die Treppe zum oberen Stock hinauf. Zuerst setzte ich ihm seine Militärmütze auf den Kopf. ( Schluß folgt.)
Ein Proletarierkind.
Novelle von M. Kautsky.
Fortseßung.)
,, Warum nicht gar! Sie sind vielleicht müde, hungrig, durstig?"
,, Ich hätte nichts dagegen, einen Bissen noch vor der Ankunft Bruder Hilpert's zu verzehren. Sie gestatten also?" und er legte die Hand auf die Thürklinke. Die Thür war offen und er trat ein.
Alles blieb beim Alten. Marie lief noch immer im grimmigsten Froste oder im strömendsten Regen, niemals hinlänglich vor Kälte und Nässe geschüßt, den Weg in's Atelier und nachy 4 Uhr wieder zurück; kam sie dann nach Hause, da hatten schon die Nachbarsleute allerlei leine häusliche Arbeiten oder weite Laufereien für das flinke Mießerl", wie sie sie dann nannten, aufgespart. Da sich Niemand um sie fümmerte, Niemand sie in ,, Was wird aber Fräulein Fanny-?" hier unterbrach sich seinen Schutz nahm, so ward sie gewissermaßen als herrenloses Mieß selbst mit einem hellen Lachen, und wie ein Blizz kam ihr Gut angesehen, auf das Jeder ein Recht zu haben glaubte, es der übermüthige Gedanke, das Mißverständniß nicht aufzuklären. nach seinem Gutdünken zu verwenden. Man übertrug ihr des- Es erschien ihr so lustig, daß der Denk, der vielverlangende halb gewöhnlich das, was zu schwierig oder zu unangenehm war ,,, Engländer", mit dem Fräulein Fanny sich so pazzig machte, für um es selber zu besorgen. Man hatte kein Erbarmen mit ihr, da sie keines mit sich selbst zu haben schien; sie that ja alles gern und willig, fügte sich allem so geduldig und war dabei das übermüthigste und lustigste Ding von der Welt, das sich für all' die Mühe, die ihm die Leute verursachten, gar oft durch ein Schelmenstückchen bezahlt machte. Man ließ sich das gern ge= fallen, ja man forderte stets gute Laune von ihr. Auch ihr Vater, wenn er einmal, was freilich selten vorkam, des Abends nicht in's Wirthshaus ging, forderte dann von ihr Unterhaltung und Berstreuung, und so mußte dieses Kind, dem Niemand noch etwas Gutes gethan, der Trost, die Freude, die Erheiterung seiner ganzen Umgebung sein.
Seit ihrem Besuche bei Fräulein Fanny war eine Stunde verflossen, es war Abend geworden. Mietz hatte die kleine Petroleumlampe angezündet und den Tisch gedeckt, denn der Vater hatte gesagt:„ Möglich, daß ich heute noch nach Hause komme, richte ein Nachtmahl!" Nachdem dies besorgt, war sie in die Küche gegangen, hatte das kleine Fenster, das auf den Gang ging, aufgemacht und lehnte in demselben. Die Neugierige er wartete Hilpert mit seinem Freunde; fast wurde es ihr zu lange, und sie sing an, ungeduldig zu werden.
Da hörte sie's im Schnellschritt, der vier Stufen auf einmal nimmt, die Stiege heraufstürmen; ehe sie sich's versah, stand ein im Dämmerlichte fast riesengroß erscheinender Mann vor ihr. Er hatte sie bemerkt und grüßte.
,, Wohnt der Schlosser Hilpert hier?"
,, Aha, da haben wir ihn, unsern Engländer, und er hat richtig so lange Beine, wie der meinige," dachte sie, und da es ihr vorfam, als habe er auf die Thüre weiter unten gezeigt, antwortete sie: Freilich wohnt er hier, aber er ist jetzt nicht zu Hause, er ist dem Denk entgegen gegangen, und ich wette, der Dent sind Sie?"
,, Ja, der bin ich, und da Sie so gütig sind, meine Persönlich keit selbst festzustellen, so bitte ich um Einlaß," erwiderte Dent, der wußte, daß Hilpert eine Schwester habe, und infolge von Mariens unklarer Antwort diese für dieselbe hielt.
,, Sie wollen zu mir?"
,, Verlangen Sie, daß ich Hilpert auf der Treppe erwarte?"
den es ihr eine Beleidigung schien, wenn sie ihn mit ihr zusammenbrächte, nun doch mit dem ,, bummen Mädel" zuerst Bekanntschaft machte, und daß sie, während die da drüben briet und sott, um seinen verwöhnten Magen zu befriedigen, diesen mit einigen ordinären Butterbroten vollstopfen wollte. Kommen Sie nur herein, nur herein!" und sie riß, fortwährend lachend, die Zimmerthür auf.„, Gutes friegen Sie nicht, aber viel, und wenn Sie nichts anderes reden wollen, als vom Kongreß, meinetwegen, auf eine politische, Konversion' soll's mir auch nicht ankommen."
Dent, der schon in der Küche seinen Reisekoffer abgeworfen, sah sich in dem kleinen, hell erleuchteten Zimmerchen rasch um, und da Niemand sonst darin war, suchte sein Blick die junge und noch immer kichernde Wirthin, seines Freundes vermeintliche Schwester.
Sie hatte ihm schon einen Sessel hingestellt und sagte recht würdevoll: ,, Setzen Sie sich nur, Herr Dent," dann drehte sie die Lampe so, daß ihr Licht auf ihn fiel und jetzt konnte sie ihn ordentlich betrachten. Ihre Blicke trafen sich.
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Unserer Mietz stockte der Athem, ihre frischen Lippen öffneten sich ein wenig und die Augen blickten unverwandt und immer verwunderter auf das schöne Mannesantlitz des vor ihr Stehenden, der sie seinerseits mit sehr befriedigtem Lächeln ebenfalls musterte. Er glaubte, noch nie ein so lieblich unschuldiges Kindergesicht gesehen zu haben, und streckte ihr herzlich beide Hände entgegen.
,, Sie sind das erste deutsche Mädchen, das mir hier entgegenkommt; lassen Sie mich Ihre Hände drücken; wenn man so lange in der Fremde war, findet man so etwas Verwandtes, Trauliches in der Landsmannschaft."
Er schüttelte treuherzig die kleinen rauhen Hände, die sie ihm willenlos überließ; aber noch immer fam kein Wort, kein Hauch über die sonst so geschwäßigen Lippen, nur die Augen hatten sich tief gesenkt. Ihm selbst mochte das auffallen. Er fürchtete, die Kleine eingeschüchtert zu haben und wollte ihr schnell die frühere Ungenirtheit wiedergeben. Er setzte sich daher und rief mit fröhlicher Stimme:„ Gedeckt ist der Tisch und Brot und Butter im Ueberfluß vorhanden; das soll ein rechter Schmaus werden, denn ich bin, weiß Gott , hungrig wie ein Steppenwolf."