,, Aber jeder Protest gegen eine Gewaltthat muß das Rechts­bewußtsein im Volfe wecken!"

,, Gewiß! Von diesem Standpunkte aus bin ich für eine Anklage; der Mann selbst kann nichts für seine Rohheit, die ist ihm beim Militär anerzogen, wo Rohheit gegen Untergebene und Wehrlose als Tugend gilt. Und aus der Blüthe der Rohheit wählt ja der Staat seine gefügigsten Kreaturen."

,, Aber was haben Sie mit dem Gensdarmen gehabt?" fragte Blumenthal.

Berner berichtete, was vorgegangen, häufig von Ausrufen der Entrüstung Blumenthal's unterbrochen.

-

,, Ich fürchte, Sie gehen Gefahren entgegen, was kann der Gensdarm nicht alles gegen Sie aussagen?" sagte Blumenthal besorgt. Dann wandte er sich im herzlichsten Tone an Berner. ,, Es beseelt mich schon lange Zeit ein Wunsch, Freund Berner. Kehren Sie der Gegend den Rücken, wo Sie doch nichts Er­sprießliches wirken können, wo Sie von Gefahren bei jedem freien Schritte umlauert werden, kommen Sie mit uns in unser sonniges Rheinland ein glückliches Leben winkt uns dort. Vereinigen Sie sich mit uns, zu denen Sie ja mit Leib und Seele gehören welch' glücklicher Familienkreis müßte das werden!"

-

Er reichte ihm beide Hände dar.

Berner schüttelte den Kopf. Will man einen Baum ver­pflanzen, dann muß man es thun, so lange er noch jung ist," fagte er. ,, Und wären es die glücklichsten Verhältnisse, denen Sie mich entgegenführten, ich würde doch nicht glücklich darin sein, sondern nach dem Unglück Heimweh empfinden, mit dem ich so innig verwachsen bin, nach meiner großen Familie, nach meinen armen Nachbarn, nach all' den Siechen und Krüppeln und nach den unglücklichen Kindern daheim. Das Alter hat mich egoistisch gemacht, lieber Freund," sagte er scherzend ,,, ich möchte mich nicht gern des letzten Abendsonnenscheins berauben lassen. Sie blicken mich zweifelnd an?" fuhr er ernster fort. Mein Wirken an dieser Stelle ist mir zur lieben Gewohnheit geworden, ich fühle innere Befriedigung dabei und glaube, ich würte unglücklich sein, wenn ich auf diese Gewohnheit verzichten müßte. Daß es mir auf der andern Seite recht schwer wird, Sie und meine Lieben scheiden zu sehen, das können Sie sich denken. Nein, lassen Sie mich in meinem Boden ich würde welken und sterben, wenn Sie mich in einen andern verpflanzen wollten." Er drückte dankend dem Freunde die Hände und bat ihn, seine Weigerung nicht falsch aufzunehmen.

-

-

Nur ungern verzichtete Blumenthal auf die Erfüllung seines Wunsches, aber er sah wohl ein, daß Berner seinem liebgewor­denen Wirkungskreise erhalten bleiben mußte.

Berner lenkte bald von diesem Punkte ab und erzählte Blumen­thal das, was er von Konrad über die Erbschleicherei erfahren, und Blumenthal berichtete wiederum seine Erlebnisse in der Stadt.

-

,, Das ist fast des Guten zuviel!" rief Berner aus, als er Alles vernommen. ,, Man hat wirklich Mühe, die Augen, die so lange nur das Dunkel des Elends gesehen, an das blendende Licht des Glücks zu gewöhnen. Daß auch Martha noch ein Glück beschieden, daß sie die Wiederkehr Büttner's erleben würde, das hatte ich mir nicht träumen lassen. Ist das nicht heller Sonnenschein, der da in den Abend meines Lebens fällt? Wie glücklich mich diese neue Botschaft macht, ich sehe den Himmel voller Geigen."

-

-

,, Wie ich von rosigem Hauche gefärbt den meinigen erblicke," sagte Blumenthal. Fast könnte ich den Neid der Götter fürchten." ,, Keine unnützen Sorgen!" entgegnete Berner. Den haben Sie nicht zu fürchten. Selbst haben Sie Ihr Glück sich ge­schmiedet und in Ihrer Hand liegt es allein, den selbst gewölbten Himmel sich immer klar und heiter zu erhalten."

,, Das will ich, an Kraft gebricht es mir nicht, und wenn auch eine rauhe Luftströmung Wolken emporwirbelt, dann werden wir sie schon zu verscheuchen wissen."

,, Nun, dann seien Sie unbesorgt und freuen Sie sich des Lebens. Die Krystalle, die sich zusammengefunden, werden un­beugsam den Stürmen des Lebens trotzen...."

395

,, Bis der König der Welt, Freund Sensenmann, die stolzen Krystalle zu den gewöhnlichen Steinen wirft," ergänzte Blumenthal ernst. Was mir übrigens gar nicht gefallen will, Freund Berner," fügte er heiter hinzu. Ist das Vernunft in unserer lieben Schöpfung, daß wir Menschen, die wir denken gelernt und Augen gewonnen, welche in die Wunder und Geheimnisse des unbegrenzten Weltalls sich versenken können, auf immer verlöschen sollen? Wie ärmlich ist die Unsterblichkeit des Ruhms, der durch den Schleier der Vergessenheit bringt, in den der Tod die Erdenwanderer hüllt? Mich könnte er gar nicht trösten für das Leben, das mir dereinst genommen wird, und das ich so gern lebe."

Berner nickte lächelnd mit dem Kopfe. So spricht die Jugend, die in der Fülle der Lebenskraft steht, der Mensch wie der Baum und die Blume, und so habe auch ich einst gesprochen, lieber Blumenthal, als ich noch in der Blüthe des Lebens stand und den Himmel mit lauter Geigen schmückte. Wie Ihr Ver­stand, so empörte sich auch der meinige gegen den unheimlichen Schatten, der das lichtvolle Bild der Jugend trübte, und die Lebenskraft schäumte auf gegen das ewige Naturgesetz. Aber wie den Blumen und Bäumen ist es mir ergangen,- mit dem Herbst erblaßte die Jugend, und jener Schatten, von dem ich fröstelnd mich abwandte, wurde freundlicher. Mit dem Herbste stellt die Ermüdung sich ein, und wenn der Tod mir einst winkt, dann werde ich wohl in ein lächelndes Antlitz sehen und gern dem neuen Leben, das um mich her ersprießt, Platz machen."

-

In Berner's Gesicht spiegelte der harmonische Frieden sich wider, der ihn beseelte, und mit heiteren Augen blickte er zu Blumenthal auf, der gedankenvoll schwieg. Sehen Sie, lieber Blumenthal," sagte er, das ist das Traurige in unserm heutigen Leben, daß die große Mehrzahl der Menschen in frühem Alter schon dem Tode in die Arme getrieben wird, der selbst nur wider­willig die unreifen Garben empfängt. Könnten die Menschen ein glückliches Dasein führen und ein Alter erreichen, das die Natur ihnen als Regel bestimmt, dann heben mit den wachsenden Jahren von selbst die Zweifel sich und beruhigen sich alle Stürme, die im jugendlichen Herzen toben. Es verliert der Tod sein schreckhaftes Bild und ohne Murren beugt der Mensch sich dem unabänderlichen Gesetze der Sterblichkeit. Ja, was ist der Nuhm, lieber Blumenthal! Weil wir in der Dämmerung leben, erscheint ein kleines Flämmchen uns als mächtiges Licht, wie wir die alten Weisen von ihrem schwarzen und finstern Hintergrunde sich strahlend abheben sehen. Aber es kommt die Zeit, in der soviel Licht auf Erden sein wird, daß man die Flämmchen nicht mehr zu sehen vermag. Dann ist es mit dem Ruhm vorbei, und wenn man in seiner Geschichte blättert, wird man finden, daß sie eigentlich die Geschichte der menschlichen Kindheit ist.- Aber ein Todeskapitel, wo wir uns des Lebens freuen sollten. Sie sehen, ich bin unverbesserlich. Doch lassen Sie sich jetzt auch etwas Erfrischendes, etwas durch und durch Lebensvolles erzählen, von Waldau und seinen glücklichen Menschen."

Und in begeisterten Worten schilderte er das erwachende Leben in Waldau, die Freude und den überschwänglichen Jubel, welche die Entdeckung des Vertrages erweckt. Sie sprachen von Doktor Wieser und Egler, vom Schlosse und von Jörg.

,, Ich fürchte die Schleicher nicht," sagte Blumenthal ,,, mögen sie mich immerhin hassen, wenn sie mich nur hassen, und das sollen sie schon in den nächsten Stunden."

,, Seien Sie nur recht vorsichtig," sagte Berner. Da fällt mir noch etwas ein. Haben Sie schon jemals etwas von einem Maler. Schmidt gehört?"

Blumenthal verneinte; er muß nicht aus der Gegend sein, der Name ist mir ganz unbekannt."

,, Mir auch. Nun hören Sie, was mir mit einem Maler Schmidt begegnet ist." Er erzählte dem Freunde seine Begegnung mit dem Maler.

,, Da werde ich ja auf meiner Hut sein müssen," sagte Blumen­thal nachdenklich. Das kann sehr wohl ein Polizeispion sein." ( Fortsegung folgt.)