396

Der Pariser   Pavillon der Freien Presse.")

Von Gustav Rasch  .

Den größten Theil des Winters und Frühjahrs vor dem letzten Kriege hielt ich mich in Paris   auf, und ein großer Theil der stürmischen Ereignisse zog an mir vorüber, welche den Sturz des zweiten Kaiserreichs einläuteten. Die ganze bonapartistische Wirthschaft war im Zusammenbruch begriffen. Die republikanische Agitation war enorm und unwiderstehlich. Die Armee war un­zuverlässig und wurde mit starkem Erfolge alle Tage bearbeitet. Der ,, Reveil" von Delescluze   und Rochefort's Blatt ,,, Die Marseillaise  ", welche die ärgsten Skandale des zweiten Kaiserreichs aus der Vergessenheit hervorzogen und die Revolution ganz offen predigten, wurden täglich zu Tausenden in den Kasernen verbreitet. Der Feldzug in Mexiko   hatte die Armee vollkommen demoralisirt. Ollivier galt selbst in den gemäßigten Klassen der Pariser   Bourgeoisie für nichts als für einen eitlen Parvenü. Wer überhaupt die französischen   Zu­stände richtig beurtheilen wollte, mußte sich überzeugen, daß Frankreich   am Vor­abend einer neuen Revolution stand und daß die Tage des zweiten Kaiserreichs gezählt waren. Das zweite Kaiserreich wäre auch ohne den Krieg gefallen, wenn es sich auch vielleicht um einige Monate länger gehalten hätte.

zweiten Hälfte der dreißiger Jahre stehend, von hoher, schlanker, ich will lieber sagen, magerer Gestalt, von südfranzösischem Typus und von vornehmen Manieren, vereinigte er mit dem französischen  Seigneur, wie er uns in den Dumas'schen Romanen entgegen­tritt, den glühenden Revolutionär, der ohne alle Rücksicht seinen | politischen Feinden zu Leibe geht und unaufhörlich Angriff auf Angriff folgen läßt, immer bereit, mit der Pistole auf der Mensur seiner Feder zu sekundiren. Von der Häßlichkeit, womit man damals sein Bild ausstattete, fand ich auf seinem Gesichte nichts. Seine Gesichtszüge hatten den charakteristischen Ausdruck, der sein inneres Wesen abspiegelte, und wurden durch ein paar prächtige, schwarzdunkle Augen beleuchtet, welche wie Feuerflammen brannten,

Der Reichstagsabgeordnete Valentin. ( Nach einer Photographie gezeichnet und geschnitten.) Siehe Seite 404.

sobald er von der Schändlichkeit der bonapartischen Wirthschaft sprach. Von den Verleumdungen, die damals über Rochefort's Charakter durch bonapar­tistische Lohnschreiber in die Welt ge= streut wurden, war nichts wahr, als daß Rochefort viel Geld ausgab, welches er sich durch seine angestrengte publi­zistische Thätigkeit erwarb, daß er ein Freund des Spiels und der guten Tafel war. Das ist zu tadeln, aber im bonapartischen Solde verdiente er das Geld nicht. Meine erste Frage, als ich den Konsul der preußischen Ge­sandtschaft, Dr. Bamberg, besuchte, der durch seinen langen Aufenthalt und durch seine persönlichen und politischen Verhältnisse alle die Persönlichkeiten, welche damals beim Zusammenbruch des zweiten Kaiserreichs auftraten, genau kannte und ein ehrliches Urtheil hatte, war: Was ist an den Verleumdungen wahr, die in so massenhafter Weise über Rochefort in die Welt gestreut werden?"

Er antwortete mir: ,, Nichts! Prin­zipielle Verleumdungen bonapartischer Lohnschreiber. Rochefort ist ein Lebe­mann, das ist Alles! Wir kennen ihn ja Alle. Er war ein kleiner Beamter auf dem Stadthause. Haußmann hat fich Mühe genug gegeben, als Rochefort, damals als Publizist kaum bekannt, mit solchem Erfolge die journalistische Laufbahn betrat und seine Angriffe auf die bonapartistische Wirthschaft immer wuchtiger wurden, ihn durch Geld und Versprechung glänzender Karriere für das Kaiserreich zu gewinnen. Alle Versuche des mächtigen Seinepräfekten scheiterten an Rochefort's Muth, Ehre und Charakter."

Während dieses interessanten Win­ters lernte ich einen großen Theil der Persönlichkeiten kennen, welche damals in Paris   mit Energie und Kühnheit am Sturz der bonapartistischen Wirth­schaft arbeiteten, und von denen Viele bald ein so schreckliches Ende finden sollten. Der idealste von ihnen war Gustave Flourens  , Professor an der Sorbonne, Sohn eines früheren Pairs von Frankreich  , noch sehr jung, feurig und stürmisch, ebenso gelehrt, wie tapfer; der charaktervollste und gediegenste Charles Delescluze  , damals Redakteur des ,, Reveil", ein alter Kämpfer der radi­falen Republik, im Jahre 1848 Prä­fekt des Norddepartements, ein unver­söhnlicher Feind Bonaparte's. Er hatte bereits neun Jahre in Cayenne   zugebracht und viel gelitten. Trotz seiner vierundsechzig Jahre war er in seiner Kraft und in seiner politischen Ueberzeugung ungebrochen und sprach mit mir von dem Siege der Republik  , als wenn derselbe unzweifelhaft wäre und in den nächsten Monaten erfolgen würde. Vermorel war eine schwankende Persönlichkeit, aber ein Mann von Talent und Muth. Die beiden Fonvielle's, welche bei der Erschießung Victor Noir's   in den Vordergrund traten, waren Männer von Muth und Charakter, wenn auch ohne große geistige Begabung. Einer von ihnen hatte schon neun Jahre in den afrikanischen Straf­kolonien zugebracht. Weit bedeutender war Paschal Grousset  , der nachherige Minister der Commune, in dessen Auftrage sie Peter Bonaparte forderten. Der interessanteste von Allen war damals? Der interessanteste von Allen war jedenfalls Henri Rochefort  , auch der gefährlichste Feind der bonapartistischen Wirthschaft. Seine Erfolge in der Presse und in den Klubs waren ebenso groß wie sein Muth. Aus einem alten, vornehmen legitimistischen Geschlecht, der Grafen von Rochefort- Lucay, stammend, war er der populärste Mann unter den Massen. Ich glaube, er wäre allein im Stande gewesen, das morsche Gebäude des zweiten Kaiserreichs in Trümmer zu legen.

Rochefort war auch in seinem Aeußern die interessanteste Per­sönlichkeit unter den damaligen Pariser   Revolutionären. In der *) Nachdruck verboten.

Auch Rochefort erwartete zuversichtlich den Zusammenbruch des zweiten Kaiserreichs, welches er täglich durch seinen sarkasti­schen Hohn, durch die beißendsten Angriffe und durch die Auf­deckung unerhörter Standale am meisten untergrub.

Wo waren sie jetzt alle, die Freunde und Bekannten von damals? Im Café Madrid  , wo ich sie gewöhnlich vor dem Diner traf, faßen an den gewohnten Tischen andere Personen, die mich gar nicht interessirten; in den beiden Stockwerken des schmalen Hauses in der Montmartrestraße, wo ich Delescluze und Rochefort so oft auf den Redaktionsbureaux ihrer Zeitungen be­sucht hatte, wohnten mir unbekannte Leute; Delescluze's   Mutter, eine steinalte Frau, sollte noch leben; ich konnte sie aber nicht auffinden; ihr Sohn war an einer Barrikade auf dem Quai Voltaire bei dem Sturm der Versailler Truppen auf Paris   er­schossen worden; Gustave Flourens   war im Handgemenge von