399

neue Preßprozeß, den er als verantwortlicher Redakteur des ,, Reveil" zu bestehen hatte, setzte sie in neuen Schrecken, ob­wohl wir ihr unaufhörlich wiederholten, daß die Verurtheilung schlimmstenfalls nur eine kürzere oder längere Gefängnißhaft aus­sprechen könne, und daß die Gefängnißhaft im Pavillon der freien Presse" ja zu ertragen sei, sie selbst ihren Sohn ja dort alle Tage, so oft und so lange sie wolle, sehen könne. Die alte Frau war allen diesen Tröstungen fast unzugänglich, besonders an den Tagen,

wo die Prozeßverhandlung gegen ihren tapfern und berühmten Sohn stattfand. Sie erhielt dann alle Stunden aus dem Palais de Justice durch die Freunde ihres Sohnes Nachricht, wie die Sache stehe, bis dann endlich der Trauerbote erschien, der eine neue Verurtheilung meldete.

Als ich jetzt den Pavillon der freien Presse" im Gefängniß St. Pelagie besichtigte, standen seine sämmtlichen Räume leer. Kein" Preßverbrecher" war in denselben anwesend.

VII.

Wilhelm Wolff . Von Friedrich Engels .

Das Sündenregister des schlesischen Adels ist noch immer nicht erschöpft. In der Neuen Rheinischen Zeitung " vom 5. April erzählt Wolff, wie die Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen den Raubrittern eine neue Gelegenheit zur Prellerei des Land­volks geboten.

,, Solange der Zunftzwang dauerte, zahlte der ländliche Hand­werker und Gewerbtreibende für sein Handwerk oder Geschäft eine jährliche, der Regel nach ziemlich hohe, Abgabe an den gnädigen Gutsherrn. Dafür genoß er den Vortheil, daß ihn der Gutsherr gegen die Konkurrenz Anderer durch Versagung der Betriebserlaubniß schützte, und daß der Gutsherr außerdem bei ihm arbeiten lassen mußte. So verhielt es sich namentlich bei den Müllern, Brauern, Fleischern, Schmieden, Bäckern, Kretscham- oder Wirthshaus- Besitzern, Krämern 2c."

an.

Als die Gewerbefreiheit eingeführt wurde, hörte der den privilegirten Handwerkern gewährte Schutz auf, und überall erstand ihnen Konkurrenz. Trotzdem erhoben die Gutsherren die bisher gezahlte Abgabe weiter, unter dem Vorwande, sie hafte nicht am Handwerk, sondern am Grund und Boden, und die Gerichte, ebenfalls vorwiegend im Interesse des Adels, erkannten diesen widersinnigen Anspruch in der großen Mehrzahl der Fälle Damit nicht genug. Mit der Zeit legten die gnädigen Herren selbst Wasser- und Windmühlen und später Dampfmühlen an, machten also selbst dem früher privilegirten Müller eine überlegene Konkurrenz, ließen sich aber trotzdem von diesem die alte, für das frühere Monopol gezahlte Abgabe ruhig weiter zahlen, unter dem Vorwande, es sei entweder Grundzins oder Entschädigung für gewisse unbedeutende, vom Gutsherrn zu lei­stende Reparaturen am Wasserlauf und mehr. So zitirt Wolff eine Wassermühle mit zwei Gängen, ohne allen Acker, die 40 Thaler jährlich an den Gutsherrn zu zahlen hatte, trotzdem daß dieser eine Konkurrenzmühle errichtet, sodaß ein Müller nach dem andern auf der ersten Mühle Bankerott machte. Um so besser für den Gutsherrn: die Mühle mußte dann verkauft werden, und von der Kaufsumme bei jedem Besitzwechsel erhob der gnä­dige Herr vorab 10 Prozent Laudemien für sich selbst! Ebenso mußte eine Windmühle, zu der nur der Boden gehörte, worauf sie stand, dem Gutsherrn 53 Thaler jährlich entrichten. Genau so ging es den Schmieden, die den alten Monopolzins fortzahlen oder ablösen mußten, trotzdem daß nicht nur das Monopol abgeschafft war, sondern derselbe Gutsherr, der den Zins einstrich, ihnen durch seine eigene Schmiede Konkurrenz machte- ebenso den übrigen Handwerkern und Gewerbtreibenden: der Zins wurde entweder per Rezeß" abgelöst oder weiter gezahlt, obwohl die Gegenleistung, der Schutz gegen fremde Konkurrenz, längst weg­

gefallen war.

-

Bis jetzt sind blos die verschiedenen Formen der Ausbeutung betrachtet worden, deren der Feudaladel sich bediente gegenüber den besitzenden Landleuten, Bauern mit zwei und mehr Hufen bis herab zum Freigärtner, Frei- und Auenhäusler, und wie die Leute alle heißen mögen, die wenigstens ein Hüttchen und meist auch ein Gärtchen besitzen. Blieb die zahlreiche Klasse, die weder bei dem gnädigen Herrn in Dienst steht, noch ein Häuschen oder

einen Quadratfuß Landes besitzt. Es ist dies die Klasse der Inlieger, der Zuhauseinwohner, der Inwohner kurzweg, Leute, die bei Bauern, Gärtnern, Häuslern eine Stube, meist ein Hunde­loch, für 4-8 Thaler jährlich gemiethet haben. Entweder sind's Auszügler, d. h. Personen, welche die Wirthschaft an Verwandte übergeben oder an Fremde verkauft und sich in das darin be­findliche Stübchen mit oder ohne, Ausgedinge zur Ruhe gesetzt haben, oder und diese bilden die Mehrzahl- es sind arme Tagelöhner, Dorfhandwerker, Weber, Grubenarbeiter 2c."

Wie diesen beikommen? Die Patrimonialgerichtsbarkeit, jener schöne, jetzt erst durch die Kreisordnung zu beseitigende Zustand, bei dem der Gutsherr die Gerichtsbarkeit über seine Ex- Unter­thanen besitzt, mußte den Vorwand dazu hergeben. Sie brachte es mit sich, daß, wenn der gnädige Herr einen seiner Gerichts­angehörigen ins Gefängniß ablieferte, er auch die Kosten der Unterhaltung wie der Untersuchung tragen mußte. Dafür erhielt derselbe gnädige Herr auch alle Sporteln, die bei der Patrimonial­gerichtsbarkeit abfielen. War der Verhaftete ein Bauer, so trieb der gnädige Herr die Kosten von ihm wieder ein und ließ im äußersten Falle Haus und Hof verkaufen. Damit er aber auch für die Kosten gedeckt sei, die ihm etwaige verhaftete Inlieger verursachen, erhob der Gutsherr von den sämmtlichen seiner Gerichtsbarkeit unterstehenden Leuten dieser Klasse ein jährliches Schußgeld, mit seinem vornehmen Namen Jurisdiktionsgeld getauft.

,, Einige der gnädigen Herren" sagt Wolff( ,, Neue Rheinische Zeitung " vom 12. April) ,,, begnügten sich mit Einem Thaler jähr­lich, Andere erhoben 1½½ Thaler und noch Andere trieben die Unverschämtheit so weit, 2 Thaler jährlich diesem Theil des ländlichen Proletariats abzuverlangen. Mit diesem Blutgeld spielte und b es sich dann um so besser in der Hauptstadt und in den Bädern.

,, Wo durchaus kein baares Geld herauszupressen war, da verwandelte der gnädige Herr oder sein Amtmann das Schutz­geld in 6, 10 bis 12 unentgeltliche Hofetage( die der Inlieger dem gnädigen Herrn unentgeltlich abarbeiten mußte). Baar Geld lacht! Wenn daher der Inlieger nicht zahlen konnte, so wurde ihm gewöhnlich der Exekutor auf den Hals geschickt, der ihm die letzten Lumpen, das letzte Stück Bett, Tisch und Stuhl wegnehmen mußte. Einige wenige unter den gnädigen Herren enthielten sich der Barbarei und forderten kein Schutzgeld, aber nicht weil es ein angemaßtes Recht war, sondern weil sie in patriarchalischer Milde keinen Gebrauch von diesem angeblichen Recht machen wollten.

,, So ist denn, bis auf wenige Ausnahmen, der Inlieger zu Gunsten des gutsherrlichen Beutels jahraus jahrein schändlich geplündert worden. Der arme Weber z. B., den der Fabrikant auf der einen Seite aussaugte, mußte auf der anderen bei einen Verdienst von 3-4 Silbergroschen täglich, bei 12 Thaler Klassen­steuer an den Staat, bei Abgaben an Schule, Kirche und Ge­meinde, auch noch dem gnädigen Herrn 1 bis 2 Thaler Schuß­geld, das recht eigentlich Blutgeld zu nennen ist, entrichten. So der Bergmann, so alle übrigen Inlieger.

,, Welchen Vortheil hat er, der Inlieger, davon? Daß, wenn