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Banquier Reinhold Margentheim wird zeigen, daß er in seinem Hause Herr ist!" Und dann jagte er über die Schwelle. Auf den Dielen des Zimmers aber lag Gertrud, und mit gewaltsam hervorbrechenden Thränen kniete die ganz in Schwarz gekleidete Mutter neben ihr und mühte sich, die Bewußtlose emporzurichten, eine erschütternde Scene! Pah! er ist der Banquier Reinhold Margentheim! Was gilt eure Arbeit, was gilt euer Herz, was gilt eure Liebe? Zuerst ich und meine Launen! Wenn ich lache, könnt ihr weinen, wenn wir leben, könnt ihr sterben!
Viertes Kapitel. Bisher hatte Gertrud noch nicht zu Johannes von der Ab- ficht ihres BaterS, sie an den Grafen Feldersberg zu verheirathen, gesprochen. Sie wollte dem Geliebten nicht voreilig Befürchtungen ausdrücken, von deren Begründung sie durchaus noch nicht über- zeugt war. Der Vater mußte sich ja schließlich durch ihr Herz bestimmen lassen, so hatte sie bis jetzt gemeint, und nur manchmal, wenn sie, in Seligkeit versunken, an der Brust des Geliebten geruht, war ihr ein kalter Schauer durch die Glieder gegangen, es gibt solche Schauer, wenn eine bange Ahnung plötzlich in der Seele emporzuckt. Seit letztem Sonntag wußte nun Gertrud, wie recht sie mit ihrer Ahnung gehabt. Und nun war er nicht einmal bei ihr, der, dem sie so gern ihr übervolles Herz ausgeschüttet hätte: eine Berufsreise hielt ihn voraussichtlich noch wochenlang von Berlin   fern. Und ach! auch keine Blumen standen mehr auf dem Fenstertischchen des beschei- denen Zimmers; der böse Herbst hatte sie alle dahingerafft, und sie hatte ihnen doch jetzt so viel, so sehr viel zu vertrauen gehabt! Herr Oberlieutenant   Graf Fritz von Feldersberg wurde immer artiger, immerliebenswürdiger"; er brachte sogar bei seinen wiederholten Besuchen und sie wurden in jenem Hause der Vorstadt wiederholt! der Tochter des Hauses zuweilen ein prächtiges Blumenbouquet mit. Nun konnte sie den Blumen etwas sagen, das schöne, schlanke Mädchen; aber, es war ihr, als dürfe sie diesen Blumen nichts vertrauen. Auch die öfteren Einladungen zu Spazierfahrten, die der Graf an sie ergehen ließ, und welche Herr Margentheim stets mit Vergnügen annahm, er saß ja dann neben Seiner Er- laucht dem Grafen Fritz von Feldersberg, und konnte stolz unr sich her blicken! glaubte Gertrud zurückweisen zu müssen. Wie der Graf übrigens dazu kam, plötzlich und nachdem er so lange in gar keine Berührung mit ihr gekommen, eine so starke Zuneigung zu Gertrud zu empfinden, das vermochte weder diese, noch deren Mutter zn begreifen. Der Graf konnte sich das wohl auch selbst sagen, er war darum um so liebenswürdiger in seinem Auftrete». Aber schließlich mochten auch Gertrud seine plötzlichen Besuche, seine so schnell zu Tage tretende Zuvor- kommenheit beftemden, was lag im Grunde daran? Aus etwas mehr oder weniger Frechheit kommt es bei Leuten von der Art des Grafen von Feldersberg nicht an, er wußte ja, mit wem er verkehrte: mit der Familie eines heruntergekommenen Banquiers, mit einem schwachen Mädchen. Wenn er nur zu seinen: Ziele gelangte: das war die Hauptsache! Eines TageS schwebte ein kleiner, reizender Fuß über die Schwelle des Zimmers, in welchem die beiden Frauen emsig arbeiteten, es war die Tochter des Geheimraths von Ennsbeck, welche Gertrud besuchte. Wie sich das arme Mädchen freute! Ludmilla war früher, als das Haus Margentheim und Kom- pagnie noch in vollem Glänze prangte, stets Gertrud's liebste Freundin gewesen, weil sie nicht den affektirten Stolz so vieler Anderer zeigte, sondern etwas von der Einfachheit der Natur bewahrt zu haben schien. Und nun kam Ludmilla, um die Jugend- freundin, wie sie sagte, einmal wiederzusehen. Merkwürdig, welch' vornehme Gesellschaft jetzt wieder bei Margentheim's Besuche machte. Aber Gertrud war viel zu arglos, um an diesem
plötzlichen Entschluß Ludmilla's etwas Befremdliches zu finden. Wie sollte sie auch? Du weißt, Gertrud, man ist gar zu viel in Anspruch ge- nommen, man hat gar zu viele Gesellschaften zu besuchen, und Mama gibt so gerne Soireen, und dann haben wir oft Besuch gehabt, einen vier Wochen lang, du weißt ja, Gertrud! O, wie gern hätte ich dich schon längst wiedersehen mögen!" Und dabei fiel das muntere Mädchen Gertrud immer wieder um den Hals, und plauderte so fröhlich, daß der schönen Ein- siedlerin das Herz aufging vor lauter Lust und Wonne. Und dann sagte Ludmilla, es müsse doch gar zu schön sein, wenn Beide nach so langer Zeit im Opernhause neben einander sitzen würden. Gertrud, willst du nicht ein Billet von mir annehmen?" Und warum sollte Gertrud dieses Anerbieten zurückweisen? Nicht nach Ball und rauschendem Glanz hatte sie sich gesehnt, aber ach, in's Opernhaus wäre sie schon längst gern wieder ein- mal gegangen. Zudem konnte ihr etwas Zerstreuung grade jetzt sehr nöthig sein. Donnerstag abends war's, Punkt sechs Uhr, als des Geheim- raths Equipage vor den kleinen Schnittwaarenladen in der ab- gelegenen Straße rollte, und eine leichte Gestalt, in kostbares Pelzwerk gehüllt, das Gesicht von einem blauen Schleier umwebt, hüpfte in die Flur, um balv ein zwar einfach, aber sehr geschmack- voll gekleidetes Mädchen an den Schlag des Wagens zu führen, welchen ein Livrnediener öffnete: Ludmilla und Gertrud fuhren in die Oper. Der lichterfüllte Raum, der Glanz der Toiletten, die heiteren, lebensprühenden Melodien von Mozart'sFigaro  " übten nach so langer Entbehrung einen mächtigen Reiz auf Gertrud aus, und als sie dort in einer der schönsten Logen ihren Vater an der Seite von Feldersberg's sah, da war ihr's, als schwebe ein lichter Traum längst vergangener Tage in ihrer Seele herauf, als würde alle die frühere Herrlichkeit wieder vor ihren Augen empor- gezaubert. Minnie Hauk   sang, die damals durch den wunderbar weichen Klang ihrer Stimme und durch deren eminente technische Aus- bildung alle Herzen gefangen nahm. Als der letzte Akt verrauscht und Gertrud mit Ludmilla, die von ihrem Vater empfangen wurde, aus der Loge trat, erwarteten sie an der breiten, teppichbelegten Treppe ihr Vater und Fritz vonsFeldersberg, und sie wußte nicht, wie ihr geschah, hatten die fröhlich quellenden Töne oder der Glanz und Schimmer der vielen Lichter, der Goldleisten der Logen, hatte der Reichthum der Toiletten sie berauscht: sie fand es ganz selbstverständlich, daß ihr der Graf jetzt den Arm bot und sie den ihren sanft in den seinen legte. Ihre ganze Seele war wie geblendet, und sie dachte nicht an den kleine» Schnittwaarenladen in der Borstadt, und an das bescheidene, nach dem Hofe zu gelegene Zimmer, in welchem jetzt das Herz eines bleichen WeibeS für das Wohl ihrer Tochter bangte. Dennoch zuckte Gertrud, als sie das Ende der Treppen erreicht hatten, einmal jäh zusammen, als ob sie sich bewußt werde, an wessen Arm sie jetzt dahinwandelte. Das ging schnell vorüber. Nicht wahr, Gertrud, du wirst uns noch in das Hotel"""* begleiten?" fragte grade Ludmilla, und das klang wieder wie aus einem lichten, längst verschwebten Traume. Denn so hatte Ludmilla einst stets zu Gertrud gesagt, wenn sie in der Oper gewesen waren. Und sie pflegte darauf mitPapa" undMama" fast immerJa!" zu antworten. Gnädiges Fräulein, Papa wird mir ebenfalls die Ehre er- weisen, mich in meiner Equipage nach dem Hotel*** zu be- gleiten. Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen?" Das waren die im Tone verbindlichster Höflichkeit gesprochenen Worte des Grafen, und ein Diener hatte schon den Schlag ge- öffnet, und ehe sie sich's versah, wiegte sie sich in den weichen Sammetpolstern an der Seite des Grafen. ES war, als wäre sie von selbst in die Equipage gekommen. Ludmilla's silberhelles Lachen schlug noch au Gertrud's Ohr, dann sausten die beiden prächtigen Schimmel davon, um nach