Hm, fort ist sie." Ich hätte Arbeit für sie." Arbeit? Eine Näthcrei oder Strickerei, nicht?" Denk nickte; der Andere fuhr, einen zänkischen Ton anneh- mend, fort:Daß mir das Mädel wieder Tag und Nacht dabei sitzt, und sich um mich alten kranken Mann so viel wie nichts kümmert, und dann erst nur ein paar lumpige Groschen dafür kriegt! Nein, ich danke Ihnen schön, die Marie braucht das nicht, sie hat, Gott sei Dank, was Besseres gefunden. Adies." Er hatte die letzten Worte sehr hochmüthig herausgestoßen und drehte sich gegen die Wand. Denk war verabschiedet, aber um keinen Preis wäre er jetzt gegangen. Die Andeutungen des Alten hatten einen Sturm von Gefühlen entfesiclt, er mußte klar sehen, er mußte vollständige Gewißheit über Mariens Thun und Lasten sich verschaffen, ehe er dies Haus, vielleicht auf immer, verließ. Eine Pause trat ein, er mußte sich sammeln. Dann beugte er sich abermals über den Kranken. Herr Eder," Denk's Stimme zitterte ein wenig,es ist ein Freund, der Sie aufsucht, ein wahrer, auftichtiger Freund. Ich hörte von Ihrem unverschuldeten Unglück, von Ihrer Krankheit, die Sie arbeitsunfähig nnd völlig hülflos macht; ich fand Ihre Lage entsetzlich und ich beschloß, Ihnen zu helfen. Ich will Sie in jeder Weise unterstützen, Herr Eder, mit gutem Rath, mit Geld..." Der Alte richtete sich fast konvulsivisch in die Höhe, er faltete seine mageren Hände, die jetzt in erkünstelter Weise zitterten. Ach, du mein Herr Jesus , so hast du doch deinen elenden Knecht nicht ganz verlasten," und, zu Denk gewendet:Sie wollen mich also unterstützen, mir Geld, Geld geben? Und Sie sind wegen mir heraufgekommen?" Gewiß, aber Sie müssen Vertrauen zu mir haben, Sie dürfen mir nichts verhehlen; soll ich helfen, muß ich Ihre Lage vollständig kennen lernen." Ach, guter Heiland, es ist eine schreckliche, eine erbarmungs- würdige, ach, lieber Herr, wenn Sie alles wissen, werden Sie Mitleid haben mit einem armen, kranken, ganz verlassenen GreiS." Der Alte schluchzte, und da ihn das Mitleid mit sich selbst zu überwältigen schien, begann er zu weinen. Denk fuhr ihm tröstend über die eingefallenen Wangen. Beruhigen Sie sich, es soll Ihnen an nichts mehr fehlen." O, o!" rief der Alte, noch immer unter Thränen,Sie haben Mitleid, ja, das fühlt sich, Sie sind gut gegen einen ge- schlagenen Mann, aber sonst Niemand." Sie haben eine Tochter, ich hoffe, sie sorgt in kindlicher Liebe für Sie!" Ja, sie sorgt, aber wie? Schlecht! Sie ist ein eigen- sinniges Ding. Ich kann nicht gesund werden, ich muß mich täglich krank mit ihr ärgern." Denk hatte einen Stuhl genommen und sich an das Bett gesetzt. Er ergriff die Hände des Alten und, sie streichelnd, bat er sanft aber dringend:Erzählt doch; als Ihr krank geworden, was fing sie an, um Geld zu verdienen?" Nichts, so viel wie nichts; sie wollte sich im Stricken und Nähen üben, das dumme Mädel, sie konnte es nicht treffen; was eine Andere in zwei Tagen zusammenbringt, dazu brauchte sie acht Tage. Das bischen Geld, daö ich mir mühsam zu- sammengespart hatte, ging so darauf, sie hat mich darum ge- bracht. Bis zur Pfändung hat sic's kommen lassen, wir hatten nichts mehr zu leben. Ich sagte ihr, du gehst zu meinem frühern Chef, und. bittest für mich um eine Unterstützung. Glauben Sie, sie ging? Nein, und nein! Sie fing wieder mit ihrer Nätherei an, die eigensinnige Kreatur. Ich schrie, ich fluchte; da machte ste so ein Modell, so eine Thonfigur, und mit der ging sie in das Atelier meines frühern Herrn. Er war verreist; ein junger Bild- Hauer, der Stepmeier, ich kenne ihn gut, sah das Ding und gab ihr fünf Gulden dafür; er sagte ihr, sie solle ihm alle Wochen so ein«, aber versteckt, bringen, er werde sie immer bezahlen. Denk drückte in freudiger Bewegung die Hände des Alten. Das war also der geheimnißvolle Verdienst! Marie war in

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seinen Augen glänzend gerechtfertigt.Sie hat durch ihre Kunst euch erhalten, Eder, daö muß euch doch mit Stolz erfüllen." Mit Galle über ihre Dummheit. Es war ein gutes Ge- schüft, es ist wahr, und sie that's auch gerne; aber hat sie sich's zu erhalten gewußt? Nein! Weil der Stepmeyer sie einmal in die Wangen gekneipt und sie küssen wollte, lies sie davon und ließ ihm die Arbeit und das Geld. Die dumme Gans, das Geld auch! Und gar nicht mehr hingehen wollte sie mir, sie wartete, bis wir nichts, nichts mehr zu beißen hatten, dann ging sie doch, aber aus war's! Der Stepmeier schickte sie fort sammt ihrer Lehmpatzerei. Er wisse nicht mehr, was er mit der un- nützen Spielerei anfangen solle, sagte er ihr, ein Almosen war's, was er ihr zukommen ließ, weiter nichts. Jetzt gehe er nach Rom , und jetzt dürfe sie nicht mehr hinkommen, die Anderen würden sie höchstens auslachen." Und was geschah nun?" rief Denk, kaum im Stande, seiner Entrüstung Herr zu werden. Er hatte die Hände des Alten längst losgelassen, und drückte die Nägel seiner geballten Faust in's eigene Fleisch. Und nun kam die schrecklichste Zeit." Der Alte begann abermals zu schluchzen.Ach, ich kann's nicht erzählen, was ich gelitten, Hunger und Kälte im Uebermaß." Aber sie auch, sie auch, die arme Mietz." Sie auch, weiß Gott , sie auch, aber nicht so wie ich, nicht so wie ich, glauben Sie mir. Sie hat nicht geweint, sie hat nicht gebetet, ich allein habe den Himmel erweicht, er hat uns endlich Rettung, Hülfe geschickt." Seine Stimme ging aus dem Weinen in ein Frohlocken über.Seit drei Tagen haben wir wieder zu leben, er hat gleich 20 Gulden im voraus gezahlt." Wer er?!" Der Alte lächelte es war ein unheimlicher Anblick.Die Mietz ist schön geworden, sehr schön; Niemand weiß das so wie ich; trotz allem Elend ist ihr Körper voll und rund. Ein Maler, ich glaube, es ist ein berühmter, der hat gute Augen gehabt, der ist ihr auf der Straße begegnet, und ist ihr nach- gegangen bis zu uns herauf, und hier hat er mir 20 Gulden ausgezahlt, und noch viel mehr versprochen, wenn ihm das Mädel Modell sitzt; so einen jungfräulichen Körper, meinte er, finde er nichr bald wieder." Eine glühende Röthe färbte Denk's Antlitz, die im nächsten Augenblick wieder vvn einer auffallenden Blässe verdrängt ward. Und Ihr, der Vater, Ihr habt eingewilligt?!" schrie er. Es ist ja nichts Schlechtes daran, er malt sie ab, weiter nichts." Denk taumelte fast.Weiter nichts, weiter nichts, als daß Ihr die Scham in Eurem Kinde erstickt, das heiligste Gut, daS Höchste für Geld ausbietet; was hindert sie noch, daS Niedrigste zu werden?!" Er bedeckte einen Augenblick sein Gesicht mit beiden Händen, dann trat er dicht an den Alten heran.Aber sie hat nicht ein- gewilligt, ich kenne sie, sie hat nicht eingewilligt." Sollte sie mich verhungern lassen?" stammelte dieser;und der Zins ist auch vor der Thüre sie hat eingewilligt, sie hat." Es war Denk, als müsse er sich auf den Alten werfen und ihn erwürgen; er faßte ihn heftig an. Thun Sie mir nichts, Gottes Barmherzigkeit! Ach, das Elend ist so hart, so hart!" Er brach in lautes Weinen aus. Denk ekelte es vor dieser Jämmerlichkeit, und er ließ ihn mit einer verächtlichen Gcberde auf die Kissen zurückfallen. Der Alte, dem die Verzweiflung Denk's so ziemlich dessen wahre Absicht verrathen hatte, wimmerte fort. Ich dachte, es sei nichts Schlimmes, ich habe sie nicht ge- zwungen, sie ging, ohne ein Wort zu sagen." Sie ging, wann ging sie das erste mal zu ihm?" Heute um halb EinS." Ich hätte es hindern können, ich Unglückseliger! Vielleicht kann ich es noch, wo wohnt der Maler?" Ich weiß nicht." Wie heißt er?"