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durchgemacht hatten. Denn um seine Gestalt mehr oder weniger in dem allmälig hart werdenden Schlamme abzudrücken, mußten die einzelnen Theile der organischen Körper schon eine gewisse Festigkeit verlangt haben, welche Angesichts der Entwickelungs­theorie nur als nach und nach erworben angesehen werden kann. Wenn daher die Schaufel des Forschers schließlich auf Schichten stößt, wo die letzten Organismen gefunden werden, und wenn dieselben schon einen verhältnißmäßig komplizirten Bau aufweisen, so ist man nicht berechtigt, darin die Stamm- Thiere und Stamm­Pflanzen zu erblicken, vielmehr muß man von diesen aus auf weit unvollkommenere Organismen zurückschließen, von denen einfach deshalb nichts erhalten bleiben konnte, weil sie naturgemäß nur eine geringe Festigkeit in ihren Körpertheilen besessen haben können. Allein wir sind gleichwohl nicht ohne Fingerzeige, welche auf die muthmaßliche Beschaffenheit der frühesten organischen Körper hindeuten. Wie früher bereits bemerkt wurde, beginnt das thierische Leben auch heute noch in einer ganz einfachen Ge­stalt, mit dem Ei, das seiner Form wie seiner inneren Beschaffenheit nach sich als Zelle charakterisirt, womit auch jede Pflauze ihren Lebenslauf geginnt, während andererseits jeder vollentwickelte or= ganische Körper aus einer Summe von Zellen besteht. Dies ist schon eine sehr wichtige Thatsache; wichtiger jedoch ist der Umstand, daß gegenwärtig noch Thiere leben, die noch unvollkommener als einfache Zellen oder Ei'chen ins Dasein treten, sich in mehrere Kügelchen verwandeln, diese einzeln abstoßen, hiermit sich fort­pflanzen und sodann absterben. Es sind dies die Moneren, welche trotz ihrer Kleinheit sie sind nicht größer als ein Stecknadelknopf- großartige Beweismittel für die Naturforschung Es ist gerade, als ob diese harmlosen Wesen nur deshalb

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auf einer so niedrigen Stufe stehen geblieben wären, um uns einen Begriff über das Wesen der Urthiere beizubringen.

So einfach man sich jedoch die ersten Organismen denkt, welche vor Hunderten von Millionen Jahren ins Dasein getreten waren, wird ihre Herkunft immerhin gewöhnlich unerörtert gelassen. Die Trennung der Geschlechter in späterer Zeit und die anfäng­liche allgemeine Zwitterhaftigkeit, ja die Vermehrung durch ein­fache Knospung oder Theilung geben Viele gerne zu, allein bei dem Auftreten der Urorganismen selbst wollen manche sonst ra­dikalen Naturforscher stehen bleiben; aber hiezu ist nicht nur keine absolute Nothwendigkeit vorhanden, sondern es birgt sogar ein solches Haltmachen vor einem dunklen Punkte die Gefahr in sich, daß häufig zu einem Deus ex machina, zu einem Macher, einem Schöpfer Zuflucht genommen wird, so daß im Grunde genommen für den alten Aberglauben eine neue Bahn sich öffnet. Es gibt indeß Dinge, die, so unerklärlich sie scheinbar sein mögen, sich bei einigem Scharfsinn immerhin begreifen lassen, zumal wenn es nur eine einzige Möglichkeit gibt, sie auf natürlichem Wege zu erklären, und wenn aus unzähligen anderen Gründen jede übernatürliche Auskunft abgewiesen werden muß. In unserem Falle bleibt nur die Annahme der Urzeugung, die Entstehung der ersten Organismen aus unorganischer Materie.

Zwischen den Anhängern und den Gegnern dieser Theorie tobt noch immer ein heftiger Kampf, allein die Ersteren gewinnen zusehends an Boden. Die Chemie, bekanntlich eine Wissenschaft, welche sozusagen täglich neue Entdeckungen macht, vernichtet die Unbegreiflichkeiten der stofflichen Welt, gleichviel ob es sich um organische oder unorganische Dinge handelt, mehr und mehr. ( Schluß folgt.)

Ein Märtyrer der Menschheit.

( Siehe das Bild Seite 480.)

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Während der blutigen Maiwoche"- am 26. Mai 1871 wurde zu Paris ein Mann ohne Urtheil erschossen, der trog seiner Jugend er war noch nicht dreißig Jahre alt sich einen glänzenden Namen unter den Vorkämpfern der Revolution erworben, an der Commune­erhebung jedoch keinen Theil genommen hatte. Weshalb tödteten die Agenten der Ordnungspartei den Unschuldigen, der obendrein durch sein Mandat als Voltsvertreter gedeckt war? Die Antwort lautet: Millière, der fühne Mitredakteur der Rochefort'schen, Marseillaise ", hatte in diesem Blatt Herrn Jules Favre , dem gefeierten Helden der Ordnungs­partei, dem frechsten Verleumder der Sozialisten, den Schafspelz der Moralität abgerissen, und den Vertheidiger der Familie" des Ehe= bruchs, den Vertheidiger des Eigenthums" der Erbschleicherei und der Fälschung überführt. Für dieses Verbrechen" mußte Millière sein Leben lassen. Die Gesellschaft" mußte gerettet werden.

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Der Schrift Leben und Thaten des Generals Jaroslas Dom­browski"*) entnehmen wir nachstehenden Bericht über die Ermordung Millière's:

Vor dem Civiltribunal von Versailles spielte am 30. Juli( 1873) ein Prozeß, der einer der scheußlichsten Episoden der blutigen Mai­woche" des Jahres 1871 entwachsen ist. Die Wittwe Millière's, der am 26. Mai, wie kaum zu bezweifeln, auf geheime Veranlassung des von ihm entlarvten Fälschers, Erbschleichers, Ehebrechers und Gesell­schaftsretters Jules Favre ohne Urtheil summarisch erschossen ward, flagte auf Entschädigung gegen den Offizier, welcher den Mord hatte vollziehen lassen den Bataillonschef( Kommandant) Garcin. Lassen wir den Anwalt der Wittwe, Maillard , reden:... Nach dem unheil­bollen Krieg zum Volfsvertreter erwählt, blieb Millière in Bordeaux , so lange die Nationalversammlung dort ihren Siz hatte; und nach den Ereignissen des 18. März erfüllte er in Versailles ununterbrochen sein Deputirtenmandat bis zum 27. April, das heißt bis zu dem Tag, wo jede Kommunikation zwischen Paris und Versailles aufgehoben wurde. Was that Millière vom 27. April bis zum 26. Mai? Gleich einer großen Anzahl von Bürgern, die mit ihm in Paris eingeschlossen waren, dachte er nur darauf, Mittel und Wege zu finden, um Frank­ reich die Schrecknisse des Bürgerkriegs zu ersparen. Abgeordneter von Paris , glaubte er, daß sein Plaz unter seinen Wählern sei; aber auch nicht das leiseste Zeugniß hat ihm Betheiligung an der Insurrektion und an der Commune Schuld gegeben. Niemand hat gesagt, daß er mit der Commune etwas zu thun gehabt habe; Niemand hat ihn in den Reihen der föderirten Nationalgarde kämpfen sehen.

Troßdem bemächtigten sich am 26. Mai, als fast ganz Paris , wie dies aus einer Depesche des Herrn Thiers, Präsidenten der Repu­*) Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei; Preis 75 Pfennige( 169 Seiten in drei Heften, mit Bild und Autograph- Handschrift- Dombrowski's).

blit, an die Bevölkerung der Departements hervorgeht, in der Gewalt der regulären Armee war- trogdem bemächtigten sich am 26. Mai Soldaten, welche Leo Meillet suchten, der Person Millières, auf den sie zufällig stießen. Man hat behauptet, er sei mit den Waffen in der Hand ergriffen worden, allein seine Wittwe stellt dies auf's be= stimmteste in Abrede, und ihre Erklärung kann durch Zeugen be­kräftigt werden. Wie dem nun sei, Millière wird fortgeschafft und nach dem Luxembourg gebracht. Was dort geschah, lasse ich Herrn Garcin selbst erzählen, der vor der Untersuchungskommission über den Auf­stand des 18. März wie folgt aussagte:

Millière wurde gegen 10 Uhr Vormittags in einem Haus, welches, glaube ich, das seinige war, verhaftet. Er hatte dem Sergeant und dem Korporal, welche ihn verhafteten, einen gewissen(!!) Wider­stand entgegengesegt( opposé une certaine résistance); er hatte einen Revolver gezogen, und wurde von zwei sehr übermäßig erregten(! très- surexcités) Personen weggeführt. Die Menge( der Ordnungsfreunde! Andere waren nicht da!) schäumte vor Wuth( était frémissante) und wollte ihn in Stücke zerreißen. Millière wurde vorgeführt. Wir waren beim Frühstück mit dem General( es scheint Cissey gewesen zu sein; genannt ist er nicht) in der Straße Tournon , neben dem Luxembourg . Wir hörten einen großen Lärm und eilten hinaus. Man sagte mir: ,, Das ist Millière!" Ich wachte darüber, daß die Menge nicht selber Justiz übte(!). Er trat nicht in das Luxembourg ein er wurde an der Thür auf­gehalten. Sie sind doch Millière?"" Ja, aber es wird Ihnen auch bekannt sein, daß ich Deputirter bin." ,, Das ist möglich, aber ich glaube, daß Sie Ihre Eigenschaft als Deputirter verloren haben; übrigens ist hier in unserer Gesellschaft ein Deputirter, Herr von Quinsonas, der Sie erkennen wird."

Ich sagte Millière, die Ordre des Generals laute dahin, daß er erschossen werde. Er antwortete mir: Warum?" Ich erwiderte ihm: Ich kenne Sie nur dem Namen nach. Ich habe Artikel von Ihnen gelesen, die mich empört haben; Sie sind eine Viper, die man mit dem Fuß zertreten muß. Sie verabscheuen die Gesellschaft." Ja," unterbrach er mich mit einer bezeichnenden Miene( d'un air significatif) ,,, ja, ich hasse diese Gesellschaft!"" Wohlan, die Gesellschaft wird Sie aus ihrem Busen reißen Sie werden gleich über die Klinge zu springen haben( vous allez être passé par les armes)." Das ist summarische Justiz, das ist Barbarei! Grausamkeit!" ,, und alle Grausamkeiten, die Sie begangen haben, ist das nichts? Doch genug: vom Augenblick an, wo Sie sagten, daß Sie Millière sind, ist nichts weiter zu thun!"

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, Der General hatte befohlen, daß Millière am Pantheon er­schossen würde, und zwar auf den Knieen, um der Gesell­schaft das Schlimme, welches er ihr zugefügt, abzubitten. Ich sagte ihm: So lautet der Befehl: Sie werden auf den Knieen erschossen, und nicht anders!" Er spielte ein wenig Komödie(!!!);