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Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
1878.
No16.Jahrg..
Erscheint wöchentlich.
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Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
( Fortsetzung.)
Bis zum nächsten Abend war er sich indessen klar geworden,| bisher überstandenen Liebschaften dreiundzwanzig, wobei kleine in welchem Geiste der Brief weitergeführt werden mußte. Der sich ergebende Schluß lautete folgendermaßen:
" Sonstige Bekanntschaften gemacht?" fragst Du. Leider ja. Ich habe die ersten Tage im Gasthof essen müssen, und wenn ich auch entschlossen war, mir die Leute, mit denen ich an der Tafel zusammenfam, zehn Schritte vom Leibe zu halten, so hatte ich dabei ohne die desperate Hartnäckigkeit gerechnet, mit der gesellschaftsbedürftige Menschen, die in kleinen, todten Städten leben müssen, jeden einigermaßen gebildeten Menschen attakiren, der ihnen aufstößt, und ohne die Liebenswürdigkeiten, mit denen sie ihn überschütten. Sei noch so ablehnend und lakonisch, sie machen Dich mürbe und es ist rührend, wie sie Dir alles an den Augen abzusehen suchen. So ist es mir denn mit zwei Chemikern gegangen, die in den beiden unweit der Stadt gelegenen Zuckerfabriken arbeiten, seltsamer Weise auch beide Alfred heißen und dem„ ewig Weiblichen" zeitlebens unterthan sein werden. Im übrigen sind sie die reinen Antipoden; der eine Alfred ist lang und schlank und ziemlich blaß, trägt eine sehr scharfe Brille, vor die er oft auch noch den Klemmer hält, ist stets säuberlich rasirt und in seinem ganzen Wesen ruhelos, unstet, beinahe zerfahren; er hat in Prima eine Anzahl Sonette verbrochen und erwähnt dieselben, und namentlich die überaus originelle Wendung:
" Wie eine Rose trittst Du mir entgegen"
so oft, daß man in Zweifel geräth, ob er wirklich nur bestrebt ist, sich selbst zu ironisiren oder ob ihm die Thatsache, daß er Sonette zu schmieden versteht, nicht doch vielleicht überaus mit theilungswerth erscheint und geeignet, ihn in eine interessante Beleuchtung zu rücken. Er hat, ohne Humor zu besitzen, eine höchst drollige Art, kindliche, schmollende, zimperliche Accente anzuschlagen und Scharfsinn genug, einen Wortwizz zu Tode zu hehen. Da er ein Mensch von vielseitiger Bildung und im Grunde eine wackre Natur ist, so verzeiht man ihm seine erstaunliche Vergeßlichkeit und seine Unzuverlässigkeit, die so konsequent ist, daß sie zuletzt nur noch komisch wirkt. Hat man sich für 8 Uhr Abends mit ihm versprochen, so kommt er im günstigsten Falle um 9 Uhr angaloppirt, wie eine von Leoparden verfolgte Giraffe, wirft sich erschöpft und schnaufend in einen Stuhl und hat die allertriftigste Entschuldigung in petto. Darf man seinen Verficherungen Glauben schenken, so beträgt die Zahl der von ihm
"
Plänkeleien selbstverständlich nicht mitgerechnet sind, und er gefällt sich darin, die Sache so darzustellen, als sei es sein Fluch und eine große Unbequemlichkeit für ihn, allüberall die armen Mädchen magnetisch an sich zu ziehen; er gibt sich gar keine Mühe um sie, er ärgert sich über seine Schwäche, sich nicht zu kühler, artiger Ablehnung aufraffen zu können, aber wenn sie ihm entgegenkommen, dann erwacht in seinem weichen Herzen das Mitleid und halb zog sie ihn, halb sank er hin" und ein Kuß bildet das Finale. Diese eigenthümliche Spielart der Gattung" Don Juan " ( ich vergaß ganz zu sagen, daß er ein recht hübscher Bursche ist, der dem Geschmack der Frauen, wie sie durchschnittlich sind, ganz gut entspricht) ist nämlich von sehr moralischen Grundsägen geleitet und geht nicht auf den Ruin der Opfer seiner überwältigenden Liebenswürdigkeit auser ist damit zufrieden, ihnen einen Tribut in Form eines Kusses aufzuerlegen und über den leichten Grad von Immoralität, der auch hierin liegt, weiß er sich durch die Erwägung hinwegzusetzen, daß dem Glück gegenüber, von dem hübschen, schlanken Sonettendichter Paul geliebt worden zu sein, ein so kleines Opfer garnicht in die Wagschale fallen dürfe, und daß im äußersten Falle jede einzelne eine ansehnliche Zahl von Leidensgefährtinnen habe, mit denen sie sich trösten
könne.
Im übrigen singt er recht hübsch, interessirt sich lebhaft für die schöne Literatur und hat in ästhetischen Dingen ein gesundes Urtheil; ich plaudre ganz gern mit ihm, und wenn er jeder Dame, die das zweifelhafte Glück genoß, seine Aufmerksamkeit zu fesseln, ein überschwängliches Beiwort verleiht, wenn er die Eine eine Juno, die Zweite eine Diana, die Dritte eine Madonna, die Vierte eine reine Elfe sein läßt, so lacht man ihn eben herzhaft aus. Er hat die Schwäche, jedem Recht zu geben nur in zwei Punkten hat er seine eigene, unbeugsame Meinung. Als( selbstverständlich materialistischer) Naturforscher hat er einen wahren Haß wider alles, was Religion heißt und speziell gegen das Christenthum, und wenn jemand Richard Wagner für einen Musiker hält, so kann er wild und bitter werden.
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Der andre Alfred ist eines Kommerzienraths Sohn, Doktor durch die kostspielige Gnade der Universität Jena und obendrein Reserveoffizier, welcher lettere Umstand ihn jedoch nicht hindert, den vielverheißenden Bauch fast demonstrativ vor sich her zu
III. 19. Januar 1878.