Die Zene Bell
No 17.Jahrg.lll.
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
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Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
So glatt, als unser junger Freund gewähnt, sollte die Sache aber doch nicht ablaufen. Noch war keine Woche seit dem Abend verstrichen, an dem die Damen im Boudoir plauderten und Wolfgang an seinen einzigen Freund in England schrieb, als ihm die Nuglosigkeit seines Ausweichens in unerwarteter Weise nachgewiesen ward. Er hatte seinem Chef eine Anzahl Briefe zur Unterschrift in dessen Privatcomptoir gebracht, als dieser mit einer gewissen steifen und von ihm für würdevoll gehaltenen Förmlichkeit die Aufforderung an ihn richtete, an einem der nächsten Abende eine Tasse Thee bei ihm einzunehmen, damit er Gelegen heit habe, ihn seinen Damen vorzustellen. Je schwerer ihm die Nothwendigkeit einer solchen Einladung, die ihm von Frau von Larisch vorgestellt worden war, eingeleuchtet und je mehr Ueberwindung es ihn gekostet hatte, aus Artigkeit gegen diese eine private Berührung zu vermitteln, die er für durchaus unstatthaft hielt, desto mehr pikirte ihn die ruhige Gelassenheit, mit der Wolfgang diese Gunst aufnahm. Statt in freudige Verwirrung zu gerathen, erwiderte jener mit einer artigen Verbeugung, daß er für den kommenden Abend verhindert sei, jedoch nicht verfehlen werde, den Damen am nächsten Abend seine Aufwartung zu machen, und schien sehr wenig von der gönnerhaften Herablassung seines Chefs gerührt zu sein. Herr Reischach hielt es für angezeigt, dem jungen Manne zur richtigen Würdigung der Bevorzugung zu verhelfen, die ihm durch die Einladung widerfuhr, und er fügte also hinzu, daß die jungen Leute in seinem Comptoir aus nothwendigen gesellschaftlichen Rücksichten bis her nie in seine Familie eingeführt worden seien, daß er aber gemeint habe, zu Gunsten seiner eine Ausnahme machen zu müssen. Wolfgang erwiderte mit leichter Fronie, daß er zu viel Welterfahrung besize, um in der freundlichen und von ihm nicht erwarteten Einladung mehr als die Beobachtung einer Förmlichkeit zu sehen, und daß er die Zeit der Damen sicher nicht ungebührlich in Anspruch nehmen werde, und der Kommerzienrath, der diese Antwort etwas außer Fassung brachte, besann sich nicht früher auf eine den Umständen angemessene Replit, als bis Wolfgang an seinen Platz zurückgekehrt war. Der Kommerzienrath war in diesem Augenblick sehr unzufrieden mit sich selber und noch unzufriedner mit Frau von Larisch, ja auch mit Emmy und Martha, denn die junge Wittwe, die ihn so ziemlich zu allem zu bringen verstand, hatte ihn absichtlich in Zweifel darüber gelaffen, ob sie
III. 26. Januar 1878.
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nur für sich selber sprach oder die Wortführerin für das weibliche Kleeblatt machte.
Auch unser Freund Wolfgang befand sich durchaus nicht in rosiger Stimmung; er mied neue Bekanntschaften planmäßig, suchte sich nach Kräften aller gesellschaftlichen Verpflichtungen zu erwehren und sah sich nun genöthigt, eine der ihm am meisten verhaßten, rein konventionellen Visiten zu machen! Zudem war seine ganze Natur so sehr auf Klarheit und inneren Einklang gerichtet, daß alles Verworrene, Unflare, Widerspruchsvolle und Zwiespältige ihn peinigte und in ihm herrschte Zwiespalt. Er konnte sich nicht verhehlen, daß auf dem Grunde seiner Unruhe und seines Unmuths eine geheime, scheue Freude darüber lag, daß er die Dame wiedersehen sollte, die er unter so eigenthümlichen Verhältnissen kennen gelernt hatte; wäre er minder darin geübt gewesen, den Schleichwegen des eigenen Herzens nachzugehen und seine tausend kleinen Listen sich zu enthüllen, so würde es dieser Freude wohl gelungen sein, sich ihm zu verbergen, ihm seinen eigentlichen Gemüthszustand zu verschleiern und ihn über denselben zu täuschen. Genug, Wolfgang war nicht so ruhig, wie sonst, als er sich beim Kommerzienrath melden ließ; dieser war über die" romanhafte" Idee der jungen Wittwe womöglich noch verdrießlicher, als vorher, denn Wolfgangs Besuch fiel unglücklicherweise auch noch mit einem solchen des Landraths v. Wertowsky und seiner adelsstolzen Gemahlin zusammen, und es war wohl zweifellos, daß die letztere sich in ihrer spizzen, beißenden Weise über die Leute mokiren würde, die man bei ihm zu treffen Gefahr liefe. Für Wolfgang und Martha dagegen war die Anwesenheit dieses Besuchs eine willkommene; sie half ihnen über die Klippe hinweg, die darin lag, daß sie einander vorgestellt werden sollten und sich doch schon kannten, und daß beide nicht wußten, ob sie jene Begegnung erwähnen oder ganz mit Stillschweigen übergehen sollten. Nun vollzog sich die Vorstellung in flüchtigster und formellſter Weise, und es gehörte Frau von Larisch's scharfes Auge und ihr weiblicher Scharfblick dazu, zu erkennen, daß die beiden sich ihrer älteren Bekanntschaft vollbewußt waren und sich zu sagen schienen:" Lernen wir uns auch zum Schein jetzt erst kennen, so wird doch innerlich dieser Abend nur eine Fortsetzung unserer ersten Begegnung sein." Im nächsten Augenblick sah sich Wolfgang vom Landrath in Anspruch genommen, für den er eine willkommene Erlösung von banalem Frauengeplauder und von