des Kommerzienraths eben nicht sehr geistreicher Unterhaltung war. Der Landrath, einer von jenen preußischen Beamten, deren Gesichter eine so große Familienähnlichkeit haben, war ein unter­richteter Mann und der junge Fremde und sein freies, offenes, unbefangenes Wesen sprachen ihn an. Dennoch war er zu sehr Preuße und ehemaliger Offizier, um nicht das Gespräch mit der Frage einzuleiten, ob Wolfgang gedient habe. Dieser erwiderte einfach, daß er allerdings gedient oder besser einen Feldzug mit gemacht habe, aber nicht unter den schwarzweißen, sondern unter den schwarzgelben Fahnen, und der Landrath, der keinen Anflug von österreichischem Dialekt bei ihm entdecken konnte, versezte ihn, neugierig geworden, in die Nothwendigkeit, zu erzählen. Wolfgang war ein geborener Sachse, aber durch seine Mutter, eine Süd­deutsche, früh in gemüthliche Beziehungen zu Desterreich gebracht worden, die sich nach und nach unter dem Einfluß historischer Studien zum Großdeutschthum ausbildeten. Er stand in dem zu raschen Entschlüssen und zu opferwilliger Hingabe an eine Idee geneigtesten Alter, als sich im Jahre 1866 für den Sehenden die Wolken des Kriegsgewitters zusammenzuballen begannen, und wendete sich im Frühjahr nach Wien , um sich unter der Hand darauf vorzubereiten, in Moment der Kriegserklärung sein zwei undzwanzigjähriges junges Leben zur Verfügung zu stellen. Ein Offizier, dessen Bekanntschaft er bald gemacht, drillte ihn, focht und schoß mit ihm, und als ein Aufruf des Kaisers junge Leute aus den gebildeten Ständen aufforderte, als Kadetten auf Kriegs­dauer in die Armee einzutreten, war er einer der ersten, die dem Rufe Folge leisteten. Der General von Gablenz, ein geborner Sachse, bei dem er sich gemeldet hatte, theilte seinen jungen Lands­mann dem 16. Jägerbataillon zu, das seinem Corps angehörte, und Wolfgang hielt sich bei Trautenau so tapfer und entwickelte soviel ruhige, heitere Kaltblütigkeit, daß er nach der Schlacht auf Vorschlag des Bataillons zum Offizier befördert ward. Bei Königsgräß leicht verwundet, sah er sich in der Erwartung, der Krieg werde Jahre währen, nur zu bald getäuscht, nahm un­mittelbar nach dem Friedensschlusse seine Entlassung und ging, unzufrieden mit der Neugestaltung in Deutschland , nach England, halb und halb entschlossen, sich später dort für Ostindien engagiren zu lassen. Statt diesen von Groll und Mißmuth erzeugten Ge­danken auszuführen, hatte er sich in England festhalten lassen, ja, es war sogar zuletzt wie eine Art von Heimweh über ihn gekommen, und als sich ihm Gelegenheit bot, nach Deutschland zurückzukehren, hatten die heimischen Wälder und das Rauschen ihrer Wipfel obgefiegt über die See und über die Donner der Brandung, die ihn so oft in Schlummer gewiegt. Wie lange ihn freilich die See freigab aus ihrem Bann, das ließ sich nicht sagen. Er hatte mit einer gewissen Lebhaftigkeit erzählt, aber einfach und schmucklos und ohne jeden Anflug von Renommiſterei; auch die raffinirteste von allen Formen der Koketterie, die einer studirten Bescheidenheit, lag ihm fern, und der Eindruck, den dieser Bericht hervorbrachte, war ein so günstiger, daß der Kommerzienrath anfing, zu glauben, es sei vielleicht kein Unglück gewesen, daß diese beiden Besuche sehr wider seinen Wunsch durch eine Laune des Zufalls zusammenfielen. Der Landrath konnte trotz seiner tiefen Abneigung wider alles, was Freiwilligkeit hieß, und troß seiner ehrlichen, altpreußischen Verachtung für Freiwillige im Kriege nicht umhin, sich für den jungen, streitbaren Preußenfeind zu interessiren, und seine stolze Frau war sogar so gnädig, einige Fragen an Wolfgang zu richten und machte während der Heim fahrt, wenn auch sehr nachlässig und beiläufig, eine Bemerkung über das angenehme Organ des jungen Mannes und über den merkwürdig einschmeichelnden Tonfall, mit dem er spreche. Die Beobachtungen des Landraths, der Wolfgang in ein lebhaftes Gespräch verwickelt hatte, unter beinahe auffälliger Beiseitelassung des Kommerzienraths, hatten sich natürlich nicht auf solche Neben sachen erstreckt; er hatte über mancherlei englische Verhältnisse Auskunft eingezogen und Wolfgang auf allen Gebieten, die er berührte, wohlorientirt gefunden; unser Freund vermochte genaue, gründliche, ja erschöpfende Mittheilungen zu machen, und der Landrath konnte sich nebenbei überzeugen ,, daß der junge Mann auch auf den Gebieten zuhause war, von denen er nichts ver­stand und die ihm fern lagen. Freilich hatte Wolfgang auch daraus kein Hehl gemacht, daß die preußische Strammheit durch aus nicht überall sein Jdeal sei, der Landrath hatte auf die ziemlich zuversichtliche Frage, ob ihn der große Krieg von 70 nicht mit den allerdings schmerzlichen Verwicklungen von 66 aus geföhnt hätte, eine mehr als reservirte Antwort erhalten, und auch zu den Bewunderern des Kulturkampfs schien Wolfgang

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keineswegs zu gehören; er vermied es fceilich mit artiger Ge­wandtheit, sich auf eine Diskussion über diese Punkte einzulassen, sodaß der Landrath sich in die Nothwendigkeit versezt sah, seinem patriotischen Eifer und seinen heftigen Sympathien und Anti­pathien Zügel anzulegen. Als der Landrath und seine Frau sich empfahlen und ersterer sich von Wolfgang mit einem herzhaften, soldatischen Händedruck verabschiedete, empfand Herr Reischach eine große Erleichterung es war ja augenscheinlich, daß die Anwesenheit seines jungen Mannes" ihm in den Augen des Landraths nicht geschadet hatte. Er geleitete seinen Besuch bis an die Thür und war, als er zurückkam, sehr geneigt, Wolfgang eine Abbitte zu thun: der Landrath hatte ihn auf die Achseln geklopfi und sehr freundlich gesagt:" Sie haben da einen an­scheinend recht intelligenten, kenntnißreichen und brauchbaren jungen Mann, den ich hoffentlich einmal wieder bei Ihnen sehe; er hat etwas sehr englische, radikale und subjektive Ansichten, aber der­gleichen pflegt sich mit der Zeit zu legen und einer reiferen An­schauung Plaz zu machen, namentlich wenn die Leute etwas Ehrgeiz haben und Carrière zu machen suchen. Ich weiß nicht, was Sie mit dem Herrn Hammer vorhaben, aber ich sollte fast meinen, es lohne sich der Mühe, ihn hier auf irgendeine Art zu fesseln und ihn in die Kreise einzuführen, die ihm vielleicht bisher fremd geblieben sind; für einen so klugen Mann, wie der Herr Kommerzienrath es sind, wird es nicht schwierig sein, Mittel und Wege zu finden und dabei so vorsichtig zu Werke zu gehen, daß der junge Mann nicht etwa stußig und topfschen wird; es ist alles daran gelegen, ihn auf eine feine und unverdächtige Art. unmerklich aus seiner zu nichts Gutem führenden Isolirung, her­auszulocken; das Weitere gibt sich dann von selbst, da der junge Kauf­Mann kein Schwärmer und Fanatiker zu sein scheint leute pflegen praktischen Sinn und praktischen Blick zu haben." Der Kommerzienrath fühlte sich durch das seinem Scharfsinn und seiner Gewandtheit von einem so einflußreichen Manne gespendete Lob nicht wenig geschmeichelt, und wenn ihm der Fall auch vor­läufig noch etwas dunkel war, so hegte er doch keinen Zweifel darüber, daß ihm bei einigem Nachdenken ein helles Licht über des Landraths eigentliche Meinung aufgehen werde, und sehr be­friedigt kehrte er in das Zimmer zurück, wo eben der Thee ser­virt worden war; der Landrath hatte so lange nicht bleiben können und die Einladung dankend ablehnen müssen. Inzwischen hatten die Damen, auf welche die Anwesenheit des Landraths lähmend gewirkt hatte, Wolfgang ihrerseits in's Gespräch gezogen, und Herr Reischach vernahm schon im Vorzimmer seiner Tochter helle, fröhliche Stimme; er trat rasch ein, denn er fürchtete, die Kleine Ausgelassene könne sich einen Scherz auf Kosten des Land­raths erlauben. Es wäre nicht das erstemal gewesen; die kleine übermüthige Ballschönheit hatte den Herrn Papa schon manches liebe mal veranlaßt, sich ängstlich umzusehen, ob nicht etwa jemand anwesend sei, durch dessen boshafte oder leichtsinnige Indiskretion diese unverzeihlichen Keckheiten an die falsche( oder eigentlich richtige) Adresse gelangen könnten; er erschrat unfehlbar im nächsten Moment über sich selber, so oft er nicht umhin gekonnt hatte, sich von seines Lieblings satirischer Heiterkeit anstecken zu lassen, und empfand wirkliche Gewissensbisse, wenn der Gegen stand dieser Heiterkeit sein verehrter Gönner, der Herr Landrath von Wertowsky war, durch dessen Verwendung er das so lange vergebens ersehnte farbige Bändchen im Knopfloch endlich erlangt hatte. Fräulein Emmy richtete ihre kleinen, zierlich gefiederten ironischen Pfeile gegen jeden, der nicht durch Jugend und Er­scheinung das günstige Vorurtheil erweckte, ein flotter Walzer­tänzer zu sein, und es wäre kein Wunder gewesen, wenn sie den Landrath zur Zielscheibe ihrer Ausgelassenheit gemacht hätte- hatte er sie doch dadurch gereizt, daß er sie so lange verhinderte, den Protégé der Frau von Larisch ein wenig zu sondiren und sie nebenbei durch die Unterhaltung, in welche er denselben ver­wickelte, auf's äußerste langweilte. Sie hatte wiederholt nur mit Mühe ein Gähnen unterdrückt; konnte es auch etwas Trockneres geben, als eine Debatte über die Aussichten des Getreidebaues in Mitteleuropa , über den konsequenten Raubbau, der das Ver­schwinden des rumänischen Getreides aus dem Weltmarkt ver­schuldet, über die Chancen der Spatenkultur in der Umgebung größerer Städte, über die unverzeihliche Vernachlässigung des Obstbaues u. s. w.? Frau von Larisch durfte natürlich gleich­falls feiner besonderen Sympathien für derartige Gesprächsstoffe geziehen werden, aber die Sicherheit und Schlagfertigkeit des jungen Mannes, dessen äußere Erscheinung ihr so gut gefallen hatte, gereichte ihr zu einer Art von persönlicher Genugthuung,