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ist unser heutiger Gesellschaftszustand, in welchem tausende großer und weiter unten: Talente unbemerkt verkümmern.
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,, Wie mancher Milton schritt im Bauernkleid Vorüber, seines Herzens wortlos Sehnen In ruheloser Plag' und Müh' erstickend! Wie mancher Cato aus dem Volk verwandte Des Lebens Kraft, gebrochen und gelähmt, Um Nadeln oder Nägel zu verfert'gen! Wie manches Newtons unbelehrtem Blick Erschienen jene Sphären, die voll Pracht Am unbegrenzten Himmelsdom erstrahlen, Als Flitter nur, am Himmel aufgehängt, Um seines Städtleins Nächte zu erhellen!" Und auch die Sittlichkeit wird durch die unnatürliche Ver theilung der Güter verderbt; denn nicht mehr der Stimme des Gewissens, nicht mehr dem reinen Antrieb der Vernunft, sondern der Aussicht auf Gewinn folgen die bestochenen Menschen. Die Liebe selbst ist käuflich." Shelley's Anmerkungen zu diesen Worten beleuchten die ganzen Schäden des gesellschaftlichen Despotismus, von dessen positiven Verordnungen nicht einmal der Verkehr der Geschlechter befreit ist. Der Dichter tritt hier mit dem heiligen Ernste sittlicher Ueberzeugung gegen die Prostitution in der Ehe auf, welche ein schauerlicher Widerspruch ist gegen die Thatsache, daß die Liebe frei, daß die Leidenschaft unlentsam, und der die Prostitution überhaupt mit allen ihren Leiden folgt. Wie lange sollte denn die geschlechtliche Gemeinschaft währen? Welches Gesetz hätte den Umfang der Leiden zu bestimmen, ihre Dauer begrenzen sollten? Eine Ehemann und eine Ehefrau sollten solange mit einander vereint bleiben, als sie einander lieben; jedes Gesetz, das sie zum Zusammenleben auch nur einen Augenblick nach dem Erlöschen ihrer Neigung verpflichtete, wäre eine unerträgliche Tyrannei." Nicht als ob Shelley mit dieser Ansicht ein Feind des Familienlebens wäre; im Gegentheil, er erkennt dessen Vortheile; aber er weiß auch, daß es nur dann wahrhaft sittlich und segenbringend sein kann, wenn es auf der freien Wahl beruht. Denn was ist die Folge des Zwanges, als Verbitterung und Demoralisation, die der Tod des Familienglücks sind und auch auf die junge Generation forrumpirend wirken! Die Erziehung ihrer Kinder erhält von frühester Zeit an ihre Färbung von dem Hader der Eltern; sie werden in einer systematischen Schule der Verstimmung, Gewaltthätigkeit und Lüge auferzogen."" Ich glaube mit Bestimmtheit," heißt es weiter unten, daß aus der Abschaffung der Ehe das richtige und naturgemäße Verhältniß des geschlechtlichen Verkehrs hervorgehen würde. Ich sage feines wegs, daß dieser Verkehr ein häufig wechselnder sein würde; es scheint sich im Gegentheil aus dem Verhältniß der Eltern zum Kinde zu ergeben, daß eine solche Verbindung in der Regel von langer Dauer sein und sich vor allen andern durch Großmuth und Hingebung auszeichnen würde."
Dann folgt eine vernichtende Kritik des religiösen Aberglaubens. Alle jene Greuel, die ad majorem Dei gloriam*) verübt wurden, alle jene Unthaten, an ganzen Völkern von tyrannischen Fürsten und einer ehrgeizigen Priesterkaste unter dem Deckmantel der Religion begangen, sieht sein entsetztes Auge. Die Barbarei steht wie eine wahnwißige Riesin auf der Erdkugel und plärrt ihren abergläubischen Dogmenschwall in alle Winde, und die Menschen hören es und werden rasend. Mystische Nebel und verwirrte Gehirne; fanatische Wuth und himmlischer" Unsinn; scheußliche Orgien als heilige Opfer; widerliche Unzucht als priesterliches Sakrament das ist die Form, unter der das Gottesgeschenk sich offenbart. Und die Lande, von Religionskriegen verwüstet, elend verkommende Heere schwärmerischer Kreuzfahrer, Scheiterhaufen, in deren Gluth Weise den Opfertod starben, Verfolgung des Denkens fort und fort bis auf den heutigen Tag: das sind die Früchte der heiligen Saat. Ja, du herrlicher Dichter, dessen lautrer Geist aufgeleuchtet im weiten Dunstkreis geistiger Nacht gleich einem einsamen Sterne, auch du bist ein Märtyrer des freien Gedankens gewesen, und der bigotte Pfaffenpöbel hat dir bewiesen, daß du recht geredet. Shelley zerlegt nun das Dogma prüfend in seine Bestandtheile. Gott was ist das?
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Ein Urbild menschlicher Tyrannenherrschaft, Sigt er im Himmel hoch auf gold'nem Thron, Gleich Erdenkön'gen; und sein finstres Schreckbild, Die Hölle, sperrt den Rachen gierig stets Nach des Geschics unsel'gen Sklaven auf, Die er zum Spielwerk sich erschuf, daß er An ihrer Dual sich weide, wenn sie fielen!"
*) Zur Vergrößerung des Ruhmes Gottes.
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Der Name Gottes hat schon jeden Frevel
Mit Heil'genschein umstrahlt, und doch ist er
Nur das Geschöpf der Menschen, die ihn ehren." Endlich wird Ahasveros, von der Fee berufen, zu antworten auf die Frage: ,, Gibt's einen Gott?"
Und er erscheint und offenbart in seiner leidenden Gestalt das Fürchterlichste, was in dem Glauben an einen ewig strafenden Gott enthalten ist. Er spricht vom Tode des Erlösers, der die Sünden der Welt auf sich genommen habe, der ganzen, ganzen Welt; aber seine tieftragische Erscheinung zeigt uns, daß jener Kreuzestod ein Kinderspiel ist im Verhältniß zu der grauenhaften Strafe des ewig ruhelos Gehezten; dieser ist's vielmehr, in dessen Geschick das Tragen alles Weltelends liegt. Ja, Ahasveros ist die Widerlegung Gottes in Form einer demonstratio ad hominem *). Und seine Worte, deren keins ihn leugnet, die vielmehr alle„ verfünden die großen Thaten Gottes", von welchen der Evangelist redet, zeigen, daß die biblische Geschichte, die von der Kirche Offenbarung Gottes, Gottes Wort genannt wird, die schneidigste Selbstverurtheilung derselben ist und einer schreienden Satire gleich kommt.
So lautet denn des Dichters endgiltige Antwort:
,, Es ist kein Gott."
Aber auch hier stellt er dies Resultat seiner Forschungen nicht appdiftisch als Hypothese auf, sondern die dazu geschriebene Anmerkung ist eine Abhandlung, die ein tiefdurchdachtes philosophisches System umfaßt. Grundlage desselben ist ihm die im Weltall herrschende Gesetzmäßigkeit, die den Zufall ausschließt und eine Nothwendigkeit lehrt, der alle Dinge absolut unterworfen sind. ohne sie könnte weder der Geiſt wissenschaftlich betrachtet, noch aus irgend einer Erfahrung ein maßgeblicher Schluß gezogen werden; es gäbe also keine Psychologie und überhaupt keine Wissenschaft. Auch gäbe es ohne sie keinen sittlichen Halt; denn man könnte sein Handeln nicht vorausbestimmen, sondern der Wille würde von jeder Schwankung des Zufalls abgelenkt. Damit fiele die sittliche Verfassung der Gesellschaft.
Diese Nothwendigkeit auf physischem Gebiete leugnet der Denkende nicht; aber auf geistigem hat sie ihre Zweifler. Shelley beweist sie aus der beständigen Verbindung der Dinge mit einander und der folgerechten Entwicklung des einen aus dem andern. Das Resultat ist das des Spinoza, während Kant und Schopenhauer die Lehre von einer metaphysischen Freiheit( d. h. einer nicht die Erscheinungswelt, sondern nur das zu Grunde liegende Wesen beherrschenden, damit aber auch für das Gewissen maßgeblichen) aufstellen.
Diese kommen daher auch auf eine Art von Religion als Schlußstein ihres Systems: Kant auf die Pflicht des Gehorsams gegen Gott, dessen Gesetz der kategorische Imperativ offenbare; Schopenhauer auf die Moral der Willensverneinung. Beide Richtungen übertrifft Spinoza's ethischer Standpunkt, der der Wirklichkeit entspricht, indem er, die Nothwendigkeit unbedingt anerkennend, das Glück, als Ziel der Moral( wie es auch Shelley ansieht), durch vernünftige Unterwerfung des Eigenwillens unter den der Gesammtheit, unter das Gesetz der Natur, auf dem Wege der Erkenntniß verfolgt. Er sucht deswegen auch keine Religion, wie jene anderen; seine Religion ist die Weisheit. Und gleich ihm erkennt auch Shelley in der Nothwendigkeit die Tendenz, die Religion zu zerstören.
Aber, obwohl unser Handeln ihm als nothwendig gilt, mißbilligt er das Laster. Freilich nicht vom Standpunkt einer vorbestimmten Moral, sondern weil es wider die vernünftige Ordnung der Dinge geht; denn nur die Nüglichkeit ist Sittlichkeit; was unfähig ist, Glück hervorzubringen, ist unnütz". Aber seine Stimmung gegen den Uebelthäter hat nicht die Intoleranz des freiheitsgläubigen Pharisäers.„ Ein Anhänger der Nothwendigkeitslehre handelt wider seine eigenen Grundsäße, wenn er sich dem Haffe oder der Verachtung hingibt; zu dem Mitleid, das er mit dem Verbrecher empfindet, gesellt sich nicht der Wunsch, ihm Böses zuzufügen."
So erfahren denn die herrschenden Moralbegriffe vor dem Forum der Nothwendigkeit eine völlige Veränderung. Die geläufigen Ansichten von Gut und Böse sind unhaltbar; es gibt weder Lohn noch Strafe im Jenseits, sondern unsere Thaten *) Beweis am lebendigen Leibe.