Die Ziene Welf

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig.

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Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

No 21, Jabra..

Erscheint wöchentlich.

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1878.

Ein verlorener Posten.

Roman von Rudolf Lavant .

( Fortsetzung.)

Frau v. Larisch war, als sie den Brief ihrer kleinen Freundin Emmy gelesen hatte, keinen Augenblick in Zweifel darüber ge­wesen, daß sie dem Rufe Folge leisten müsse. Sie lächelte über das Beobachtungstalent, welches die Kleine, die doch sonst nicht scharfsinnig genannt werden konnte, bezüglich des Gemüths zustandes Marthas entwickelte, und je weniger sie die Richtigkeit dieser Wahrnehmungen bestreiten mochte, desto prickelnder war das Interesse, welches sie an dem weiteren Verlaufe dieses kleinen Romans nahm. Warum sollte sie sich auch nicht gestehen, daß sie selber eine Art von Unruhe empfand und daß sie Verlangen trug, sich persönlich von dem Befinden des jungen Mannes zu überzeugen, dessen That sie im einen Augenblick ihrer Kühnheit wegen bewunderte, um sie im nächsten verwegen und tollkühn, oder doch unklug und unvorsichtig zu schelten? Es würde ihr doch nicht gleichgiltig gewesen sein, durchaus nicht gleichgiltig, wenn er sich eine schwere Verletzung zugezogen hätte oder gar ein unheilbares Siechthum, und sie hatte aus tiefster Brust er­leichtert aufgeathmet, als sie sich sagen konnte, daß keine Ver­anlassung zu ernsthaften Besorgnissen vorliege. Natürlich hielt sie es für geboten, bei ihrer Ankunft Emmy nach allem anderen früher zu fragen, als nach dem Befinden Wolfgangs, und als Emmy , die dies in ihrer Naivetät unbegreiflich fand, das auf regende Vorkommniß ihrerseits ungeduldig zur Sprache brachte, nahm sie die Sache sehr leicht, suchte ihr eine komische Seite ab­zugewinnen und plauderte mit einer Sorglosigkeit, die für Emmy etwas Verblüffendes, für Martha etwas geradezu Verlegendes hatte, über den ganzen Vorfall. Es war ihr dabei nicht ent­Es war ihr dabei nicht ent­gangen, daß Marthas Gesicht alle Spuren schlafloser und vielleicht sogar verweinter Nächte trug; die bläulichen Ringe unter den müden, fast erloschenen Augen und das kleine, feine Fältchen, das sich von den Mundwinkeln abwärts zog, entwickelten eine stumme Beredtsamkeit, die an ihr nicht verloren ging. Das arme Mädchen that ihr leidsie konnte sich denken, wie ihr zu Muthe war und wie sie in hilfloser Sorge sich verzehrte. És war ein ganz leises, gutmüthiges Spottlächeln, mit dem sie im Geiste zu Martha sagte: Nicht wahr, ich bin recht herzlos, so herzlos, daß selbst du, die ewig Milde, mich nicht in Schutz nehmen magst? Regt es sich nicht in deiner Seele wie ein bittres Gefühl über die Kälte und Fühllosigkeit der Weltkinder, zu denen du Gott sei Dank" nicht wahr? nicht ge­

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hörst? Aber wenn du mich auch jetzt verurtheilst feurige Kohlen auf dein Haupt sammeln und in ein paar Stunden wirst du mir in überwallendem Empfinden dankbar und gerührt die Hand drücken, denn ich bin doch nur gekommen, um dir, die mich so völlig verkennt, in deiner stummen Herzensnoth zu helfen." Als es völlig dunkel geworden war und Emmy sie auf einige Zeit verlassen hatte, forderte sie Martha im gleichgiltigsten Tone auf, sie auf einer kurzen Abendpromonade zu begleiten- Jean könne ihnen ja zu größerer Sicherheit und zur Wahrung des Deforums folgen, und Martha that ihr ahnungslos den Willen; dicht verhüllt, den Schleier vor dem Gesicht, waren die beiden Frauengestalten nur schwer kenntlich, als sie, von Jean in respekt­voller Entfernung gefolgt, durch die Straßen schritten. Vor einem Hause angelangt, das mehrere arme Weberfamilien bewohnten, gab Frau v. Larisch Jean die Weisung, ihre Rückkunft abzuwarten, da sie einen Krankenbesuch abzustatten hätten, und es hatte dies für den eben nicht durch hervorragenden Scharfsinn ausgezeich­neten und alles Nachdenken instinktiv verabscheuenden Burschen durchaus nichts befremdliches, da Marthas Verkehren gerade in den armseligsten Hütten stadtkundig war; nur die Thatsache, daß es ihr gelungen war, auch die lustige gnädige Frau" für diese ihm unerklärliche Passion" zu interessiren, entlockte ihm, als die Damen im Hause verschwunden waren, ein unverständliches Ge­brumm. Frau von Larisch zog ihre sie betroffen ansehende Be­gleiterin, deren Arm sie vertraulich in den ihren gelegt hatte, durch die stockdunkle Hausflur und einen verödeten Hof und stieß dann eine niedrige Thür auf, durch welche sie auf ein dahinter gelegene Straße gelangten. Wenige Schritte und sie standen vor dem Hause der Frau Meiling, und Frau v. Larisch sah mit einem Gemisch von Rührung und Spott, wie eine tiefe Glut die Wangen Marthas überflutete und verrieth, daß sie jetzt erst den Zweck des Ausgangs errathe. Frau v. Larisch ließ ihr keine Zeit zur Ueberlegung und schien es nicht zu bemerken, daß Martha un­willkürlich einen Schritt zurücktrat und unwillkürlich die Hand um ihren Arm schloß, als wolle sie sie zurückhalten; sie war Frau genug, um zu wissen, daß gerade die Zartfühligsten oft zu dem gezwungen sein wollen, wonach sie am meisten sich sehnen, und sie würde sich eine Stümperin gescholten haben, wenn es dieser Schwäche gelungen wäre, sie von der Ausführung ihres Gedankens abzuhalten. Im nächsten Augenblick war ihnen über­

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III. 28 Februar 1878