in ein Reiterwamms gesteckt und erhielt ein Schwert an die Seite. Wolf  , ein Knecht des Ritter von Berlepsch, ließ sich die Hände auf den Rücken binden und den Kopf mit einem Sack verhüllen, und so zog man mit den beiden, so lange es Tag war, auf einsamen Waldwegen gegen Brotterode   zu; als es dunkel ward, schlug man die Landstraße ein und machte die Leute, welche die Neugierde herbeilockte, glauben, Ritter Berlepsch habe im Walde einen guten Fang gethan und einen Schnapphahn oder Strauchdieb, der die Landstraße unsicher gemacht, beim Schopf genommen und gefesselt. Um Mitternacht kam man an das Thor von Eisenach   und durchzog die Stadt mit Absicht unter einigem Lärm und Aussehen, sodaß auch hier die Mähr sich verbreitete. Auch der Thorwart auf der Wartburg   war zu schlaftrunken, als daß er in dem Gefesselten seinen alten Kameraden Wolf hätte erkennen können, noch dazu beim schwachen unsicheren Laternenlicht. Der Ge­fangene wurde im Anfange sehr streng bewacht, und nur der Knappe Wolf durfte in sein Gemach. Nur der Kellermeister hatte allerlei Gedanken, was das doch für ein Schnapphahn sein müsse, dem täglich sein Kamerad einen Trunk des besten Weins und Bieres aus dem Keller hole. Luther   mußte so in der Verborgenheit bleiben und durfte nur mit dem Ritter und seiner Gattin, sowie mit dem treuen Wolf verkehren, bis ihm ein stattlicher Bart gewachsen und seine Mönchs­glaze ganz verschwunden war. Dann durfte er als Junker Georg in ritterlicher Kleidung im Schlosse und später auch in der Umgegend sich zeigen, aber allezeit begleitet von dem getreuen Wolf, der Obacht geben mußte, daß der Doktor sich nicht verrieth, und ihn warnte, wenn der gelehrte Theolog zu erkenntlich durch die ritterliche Verhüllung hindurch brach, was besonders zu geschehen pflegte, wenn irgendein Buch in seine Hände fiel. Der Zweck des Ueberfalls ward vollständig erreicht. Allgemein schrieb man ihn den feindseligen Papisten zu und meinte, daß Luther   in irgendeinem Kloster gefangen gehalten werde. Diese Meinung breitete sich bald in ganz Deutschland   aus und erhielt sich ziemlich lange; es dauerte eine geraume Zeit, ehe selbst seine Freunde die Gewißheit hatten, daß er nur zu seiner Sicherheit in Haft gehalten werde. Der Ort seiner Gefangenschaft blieb aber selbst dann noch ein Geheimniß, als die Unverfänglichkeit derselben längst offenkundig war. Es ist bekannt, daß Luther   die erzwungene Muße auf der Wartburg  zur Herstellung seiner berühmten Bibelübersetzung nüßte.

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Die Dardanellen  . Seit Gurko und Radetzky, die Thaten des weiland Hans von Diebitsch in den Schatten stellend, über den Balkan vorgedrungen sind und in Rumelien   die Niederwerfung der Türkei   ent­schieden haben, sieht Europas   Areopag, wenn man die doppelzüngigen Kautschulmänner noch so nennen darf, mit ängstlicher Spannung nach den Dardanellen. Das schwarze Meer ist ein Binnensee und hängt nur im Westen durch den Bosporus   mit dem Außenmeer zusammen; der Bosporus   führt in das kleine Marmarameer, dieses hinwiederum hängt durch die zwölf Stunden lange Dardanellenstraße, den Hellespont  der Alten, mit dem mittelländischen Meere zusammen. Da der Helles­ pont   an seiner breitesten Stelle nicht ganz eine deutsche Meile, an seiner schmalsten nur 375 Klaftern breit ist, so ist es evident, daß, wer diese Wasserstraße im Besiz hat, dieselbe ohne weiteres sperren kann. Das alte byzantinische Reich versuchte dies auch, es gestattete keinem Kriegs­fahrzeug das Einlaufen, aber die Genuesen erzwangen sich die Erlaub­niß. Handelsschiffe durften passiren, mußten aber den byzantinischen Kaisern Wegzoll entrichten. Nach der Eroberung Konstantinopels   durch Enrico Dandolo   hatten Genuesen und Venetianer freie Durchfahrt. Dies alles nahm ein Ende mit Schrecken, als die Türken sich der Siebenhügelstadt am Pont Eugin bemächtigten und die Herrschaft über beide Ufer in der blutigen Eisenfaust vereinigten. Die Dardanellen durfte weder ein christliches Kriegs- noch Handelsschiff passiren. Das Schwarze Meer  , auf dem bis dahin alle Flaggen der italienischen Re­publiken wimmelten, verödete, die Städte an seinen Ufern verarmten und zerfielen. Die Seeräuber hörten allerdings auch auf, weil sie nie­manden zu berauben hatten. Die türkischen Seeräuber zogen hinaus auf's ägäische, in's thrrhenische Meer und plünderten die italienischen und provençalischen Küsten. Das erste Land, das für seine Handelsflagge die Dardanellendurchfahrt erwirkte, war Frankreich  . Es war die Folge des Freundschaftstraftates, welchen die ,, allerchriftlichste" Majestät von Frankreich   mit dem Sultan gegen den römisch- deutschen ,, apostolischen" Kaiser   abschloß. Die anderen Mächte, die froh waren, gegen das all­mächtige Türkenthum ihre Existenz zu wahren, bekamen lange nicht eine gleiche Konzession. Allmählich nur errang sie eine nach der andern unter mehr oder minder beschränkenden Bedingungen; doch blieb lange noch das Recht der Durchfahrt nur auf die Tagesstunden beschränkt. Seit dem Frieden von Passarowiß, der dauernden Demüthigung der Türkei   durch österreichische Waffen, mußten Zugeſtändnisse eingeräumt werden. Rußland, das durch die Eroberung von Asow festen Fuß am Bontus gefaßt, errang für seine Handelsflagge unbeschränkte, freie Durchfahrt. Da fast die gesammte Küstenentwicklung des Schwarzen Meeres sich in den Händen der Türken befand, so war die Fernhaltung der fremden Kriegsschiffe auch nicht unbillig. Im Jahre 1770 drang die russische   Flotte unter der Führung des Engländers Elphingstone

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zum erstenmale in die Dardanellen ein; Admiral Duckworth erschien 1807 mit einer englischen Flotte vor dem Hafen von Konstantinopel  . Beim Durchfahren zwischen den Dardanellenschlössern ließ er sich auf dem Verdeck seines Schiffes Thee kochen, den er im türkischen Kanonen­donner austrank. Im Frieden von Adrianopel  ( 1829) wurde die Meerenge den Handelsflaggen aller Nationen unter gleichen Bedingungen geöffnet; 1841 wurde durch die sogenannte Konvention des détraits deren Schließung für alle Kriegsfahrzeuge neuerdings bekräftigt. Der pariser Vertrag verschärfte noch ,, diese alte Regel des ottomanischen Reiches". Die in diesem Vertrage enthaltene Bestimmung wegen Neutralisirung des Schwarzen Meeres   ist 1871 aufgehoben worden, und staatsrechtlich steht die Sache gegenwärtig so, daß zwar Rußland  auf dem Schwarzen Meere beliebig viel Kriegsschiffe halten, aber mit denselben das offene Meer nicht erreichen kann, weil ihm der Bosporus  , das Marmarameer   und die Dardanellen zu passiren nicht gestattet ist. Umgekehrt kann es aus demselben Grunde seine Ostseeflotte nicht nach dem Schwarzen Meere bringen lassen. Wenn Rußland  , auf's Schwert pochend, für seine Kriegsschiffe die Dardanellendurchfahrt begehrt, so ist das für seine Hauspolitik von Bedentung, hat aber mit der Freiheit der Meere", nichts zu thun, wie uns der alte Fuchs Gortschakoff ein­reden möchte. Es ist einfach eine russische Macht, aber feine inter­nationale Kulturfrage. Daß die Dardanellen   den ,, Weg nach Indien  " beherrschen, ist eine ,, fable convenue". Der erste Napoleon   hat ge sagt, daß die Schlüssel der Weltherrschaft bei Kum Kaleh begraben liegen. Seit der Durchstechung der Landenge von Suez wackelt auch dieses ,, unfehlbare" Axiom. Allerdings kann eine von den Dardanellen auslaufende Flotte den Suezkanal rasch bedrohen, aber England kann ihn von Malta   ebenso rasch erreichen, wie Frankreich   von Toulon   und Italien   von Tarent  . Die Eröffnung der Dardanellen ist dennoch ein poli­tisches Ereigniß ersten Ranges; wir wollen in dieser Beziehung Italiens  größtem Staatsmann, Cavour, das Wort lassen. Derselbe sagte im Januar 1855: ,, Man will wissen, welchen Werth und welche Bedeutung die Existenz der russischen Festungen am Schwarzen Meere für uns hat? Wird diesem Staat gestattet, das Schwarze Meer   in das furcht­barste Seearsenal der Welt umzuwandeln und die Dardanellen zu seinem Ausfallsthor zu machen, durch das sich seine Flotten jeden Augenblick, auch wenn bedroht, unbelästigt wieder zurückziehen, dann ist die Un­abhängigkeit aller Uferstaaten des mittelländischen Meeres bedroht." Die europäische Verlassenschaftskommission für die erwürgte Türkei  , vulgo die Diplomatie, welche sich nächster Tage zur Testamentseröffnung in Lausanne   oder sonstwo versammeln wird, mag zusehen, wie sie mit dem lachenden Erben fertig wird. Hoffentlich wird sich der eiserne" Bundeskanzler von Rußland   nicht warm machen und schmieden lassen. Was diesmal Desterreich gewinnt, ist für die ganze Menschheit ge­wonnen. Die Würfel sind gefallen, die Russen sind in Konstantinopel  . Caveant Consules! Dr. Max Trausil.

Korrespondenz.

Kf. M. N. A. Sie erhalten noch in diesem Monat briefliche Auskunft über den eingesandten dramatischen Versuch.

Leipzig  . Stub. phil. B. A. Ihre kleine Arbeit ist nicht übel, aber doch nicht von jener Reife, die sie für uns verwendbar macht. Mpt remittirt.

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Breslau  . N. N. Sie befinden Sich im Frrthum. Wahrscheinlich bezog sich gar feine unsrer Korrespondenznotizen auf Sie. In jedem Falle mögen Sie versichert sein, daß wir ernstes Streben, wo und wie es uns auch begegnet, ernst zu würdigen wissen. Daß es uns übrigens garnicht darum zu thun ist, uns die Leute, welche mit uns zu for­respondiren Lust haben, möglichst ,, vom Halse zu halten", beweist wohl die Bereitwillig­feit, mit der wir auf jede Anfrage eingehen. 2. K. Wir werden vielleicht in einer der nächsten Nummern Mittheilungen über Leben und Wirksamkeit Pius IX.   bringen. Er war eine interessante Erscheinung und verdient zum mindesten ebensoviel historische Beachtung, als der deutsche Reichshalbgott. F. Rube(?). Sie können Sich ,, unmöglich denten, daß der Redakteur der, N. W.   mit einer Bersönlichkeit gleichen Namens, die sich vor einer Reihe von Jahren in Breslau   durch Boltsaufwiegelungen und Brozesse ( Ein einziger Breßprozeß genügt Ihnen doch auch?) einen wenig rühmlichen Namen gemacht hat, ein und dieselbe Person sei"?? Sie haben wohl gar keine Ahnung, ver ehrter Herr aus Breslau  , daß die ,, N. 5." u. a. der breslauer Wahrheit bem Sozialdemokratischen- voltsaufwiegelnden Blatte als Sonntagsbeilage dient? Kleiner Schäter! Berlin  . F. St. Einen Roman in Bersen können wir nicht veröffentlichen. An solchen Bizarrerien findet das Publikum mit Recht feinen Geschmack. Sie erhalten das Mpt zurück. 2. M. Wir werden sehen, ob sich Ihr Wunsch bezüglich der Arbeiter­marseillaise( diese meinen Sie doch?) erfüllen läßt. Die Reformorthographie Ihrer Zu­schrift hat uns einiges Kopfzerbrechen verursacht. Glauben Sie wirklich, daß der Einzelne berufen und im Stande ist, auf solchem Wege reformirend voranzuschreiten, und daß dieses Ihr System sich die Zukunft erobern könnte?

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Schönefeld  ( bei Leipzig  ). E. P. Gewandtheit im mündlichen und schriftlichen Gedankenausdrucke erlangt man auf dem Wege des Selbststudiums durch fleißiges Lesen, Deklamiren und Auswendiglernen mustergiltiger Literaturprodukte, im Berein mit schrift licher Wiedergabe des Gelesenen nach dem Gedächtnisse und Vergleichung des Reprodu zirten mit dem Original, sowie durch Anfertigung von Auffäßen u. dgl. Als muster­giltig sind in erster Linie die Werke von Goethe und Schiller zu betrachten. Das Deutsch der Zeitungen ist im allgemeinen nur als abschreckendes Beispiel von Werth. Einen wirklich tüchtigen Lehrer tann übrigens auch in Ihrem Falle das Selbststudium nicht

völlig ersehen.

San Francisco  . M. Clewell. Ihre Vorschläge werden für uns ausführbar sein, sobald wir uns in den Befih eines eigenen Telegraphenkabels zwischen Europa   und

Amerika   gejezt haben. Also über ein kleines!

Konstanz  . n- r. Sie sind gewiß nie mit deutschpolnischen Juden in Berkehr gekommen? Das ist schade! Denn sonst würden Sie auf ein Gedicht mit dem Refrain hast du geſehn!" nicht soviel Mühe verwendet haben.

Wegen Raummangels muß der Aerztliche Briefkasten und ein Theil der Redaktions­torrespondenz für nächste Nummer zurückgestellt werden.

( Schluß der Redaktion: Sonnabend, den 9.. Februar.)

Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Leipzig  ( Blagwißerstr. 20).- Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig  .