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Bravo in dem lauten Beifall unterging, in den die Hörerschaft ausbrach, als Wolfgang geendet hatte. Der Rektor beging die denkbar größte Unklugheit, indem er auf Wolfgang's Ausführungen antwortete; er war gereizt und das heftige Verlangen, sein gefährdetes Ansehen zu wahren, ließ ihn hizig, bitter und ausfällig werden und riß ihn zu gewagten Behauptungen hin, die er mit kaltem Blute gewiß nicht aufgestellt haben würde. Der Versuch, Wolfgang von obenherab mit feiner Fronie zu widerlegen und den Ton der wissenschaftlichen Ueberlegenheit dem Laien gegenüber, den Ton eines leichten, spöttischen Mitleids anzunehmen, mißlang ihm auf's fläglichste; die Zuhörer hatten sämmtlich das Gefühl, einen hochmüthigen, dünkelhaften Schulmeister vor sich zu haben, der sich auf den Sand geſetzt sieht und der sich durch Grobheiten und Anzüglichkeiten für den seinem Ansehen versezten Stoß zu rächen sucht und sich immer mehr in die Hize redet, ohne den Eindruck der Worte seines Gegners verwischen zu können; der Herr Rektor war ihnen nie kleiner und unwürdiger erschienen als in dieser Stunde, und es war höchst ergöglich, auf Krone's Gesicht sein inneres Wüthen und Toben gegen den anmaßenden Ignoranten sich spiegeln zu sehen; der Zorn und die Entrüstung über ein so unwürdiges Benehmen würgten ihn ab und er hätte in diesem Augenblick viel darum gegeben, nur die Hälfte von Wolfgang's klassischer Ruhe zu bejizen, um dem Reftor nach Gebühr antworten und ihm auf gut deutsch die Wahrheit sagen zu können. Wolfgang erhob sich jedoch selbst zur Abwehr des durch nichts gerechtfertigten persönlichen Angriffs, und er hatte, als der Beleidigte und Herausgeforderte, bei seinen Hörern von vornherein gewonnenes Spiel. Ebenso ruhig und gelassen, als der Rektor eifrig und gereizt gewesen, zerpflückte er das Wenige, was derselbe an Argumenten noch vorzubringen vermocht hatte, und als er dann, seiner sonst sonoren, angenehmen Stimnie die kalten, harten und scharfen Accente vornehmer Verachtung für einen brutalen Angriff abgewinnend, seinen Gegner in die Schranken zurückwies und sich für die Zukunft eine Behandlung ausbat, wie sie unter gebil deten Gegnern Sitte sei, und den Herrn Rektor daran erinnerte, daß er keinen Schulknaben vor sich habe, sondern einen Mann, der ihm wahrscheinlich auch noch auf andern Gebieten des Wissens überlegen sei, als ihm gelang, was jener nur angestrebt hatte: den Ton der bewußten Ueberlegenheit zu treffen, die über den Gegner mit einem feinen Spottlächeln die Achseln zuckt und es verschmäht, ihn ernsthaft zu nehmen und schweres Geschütz gegen ihn aufzufahren, da schlug nicht blos Krone, unfähig, seinen Herzensjubel über die Niederlage des verhaßten Feindes zu unterbrücken, mit strahlendem Gesicht die Faust auf den Tisch, daß sie ihm schmerzte, sondern man kam auch von allen Seiten und drückte Wolfgang die Hand, und mehr als ein älterer Bürger, der bisher in seiner arglosen Gutmüthigkeit den Herrn Rektor für einen Ausbund von Gelehrsamkeit und für alles Wissens unerschöpflichen Born gehalten hatte, schüttelte den Kopf und meinte: Heute hat der Rektor aber unrecht gehabt und der Herr Hammer hat es ihm ordentlich gegeben; der hat Haare auf den Zähnen und vor dem mag der Rektor sich nur in Acht nehmen." In noch viel entschiedenerer Weise äußerten sich die Sympathieen der Jugend, auf die das leise, grollende Vibriren der Stimme und der Zug und Schwung, der durch die ganze Erklärung ging, elektrisirend gewirkt hatten; bei manchem, der der Feuerwehr an gehörte, hatte der entschiedene, freimüthige Sprecher bereits ein günstiges Vorurtheil für sich gehabt und der Rektor, dessen so unverhüllt zu Tage tretende Selbstgefälligkeit gerade die schlich testen und wackersten Naturen verlegte, war nie so recht populär gewesen, und die Zahl derer, welche ihm die Abfertigung von Herzen gönnten, war feine geringe. Der so unerwartet aus dem Sattel Gehobene ließ sich durch den Anblick der seinem siegreichen Gegner entgegengebrachten warmen Sympathieen um den letzten Rest von Besonnenheit und Würde bringen. Glut und Blässe wechselten jäh auf seinem Gesicht, und der verletzte Schulmeister hochmuth unterdrückte jede andere Rücksicht und selbst die Er wägungen der einfachsten Klugheit; er stieß die Erklärung hervor, die Selbstachtung verbiete ihm ein Weiterwirken in dem Verein, .in dem er in so unerhörter Weise beleidigt worden sei, und der Tag sei hoffentlich nicht fern, an dem die Mitglieder zu der Ueberzeugung gelangen würden, daß sie undankbar gewesen seien und obendrein einen wenig vortheilhaften Tausch gemacht hätten. Wenn er glaubte, mit dieser in brüskem und hochfahrendem Tone abgegebenen Erklärung eine niederschmetternde Wirkung zu erzielen, so irrte er sich sehr; der Rückzug, den er mit de
monstrativer Ueberstürzung antrat, wurde theils mit eisiger Kälte, theils mit spöttischem Achselzucken mit angesehen, und das von einigen Sigen erschallende ironische Gelächter gereichte namentlich Krone zur innigsten Genugthuung. Daß die bisher von ihm schlecht und recht vertretene Sache, an der sein ganzes Herz hing, in so glänzender und ungeahnt vollständiger Weise triumphirte, erfüllte ihn mit einem in Worten nicht auszudrückenden Gefühl von Glück, und er war roth vor Freude, wie ein junges Mädchen, der ein begünstigter Tänzer auf einem Balle mit dem Ausdruck voller Bewunderung die Versicherung zuflüstert, daß sie zweifellos die Schönste und Anmuthigste im Saale sei. Wenn seine Be friedigung über den Ausgang des von ihm eingefädelten Kampfs noch einer Steigerung fähig gewesen wäre, so würde sie in dem Augenblick eingetreten sein, in welchem Wolfgang, bei dem der flüchtige Rausch des Triumphs rasch verflogen war, mit ruhiger Sicherheit erklärte, daß der Verein durch den Strike des Herrn Rektors nichts einbüßen solle; für jenen selber hoffe er durch seine Person Ersatz zu bringen und der möglicherweise eintretenden Fahnenflucht anderer Lehrkräfte werde er jedenfalls auch die Spitze abbrechen können, indem er einen oder den andern seiner Freunde für den Verein gewinne.
Diese Erklärung wurde mit großer Befriedigung entgegen genommen, und als Wolfgang dann lächelnd zu Krone trat und ihn fragte:" Nun, was sagen Sie, Krone, habe ich mein Wort eingelöst und sind Sie mit mir zufrieden?", da überkam ihn wieder ein Anfall seiner vergebens nach Worten haschenden Erregung, und er konnte ihm nur stumm, aber mit einem beredten, vielsagenden Blick die Hand drücken pressen wäre vielleicht eine richtigere Bezeichnung.
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Die letzten Tage des Mai brachten den Geburtstag der kleinen Emmy , der vom Kommerzienrath alljährlich durch ein Gartenfest gefeiert wurde. Auf der Liste der Einzuladenden, welche das Geburtstagskind selbst entworfen hatte, figurirte auch der Name Wolfgangs, und als der Kommerzienrath, dem es wider die Natur ging, jemanden, den er bezahlte, der in seinen Diensten stand und dem er befehlen konnte, einzuladen, bei diesem Namen hüstelnd stockte und zaghaft andeutete, daß er diesen Namen am liebsten gestrichen sähe, da sagte die Kleine fast ungeduldig und mit der Rechthaberei des verwöhnten Kindes: Aber, Papa, ich weiß wirklich nicht, was du willst; es ist doch selbstverständlich, daß Herr Hammer eingeladen wird, und ich wünsche ihn bei uns zu sehen, grade an meinem Geburtstage. Nicht wahr, Martha, du bist auch dafür?"
Der Kommerzienrath gab angesichts dieser Entschiedenheit seinen Einspruch auf und wartete Martha's vorsichtige und gelassene Antwort:" Ich sehe keinen Grund dagegen und nur Gründe dafür," garnicht ab. So fand denn Wolfgang zwei Tage vor dem kleinen Feste eines Morgens auf seinem Bult ein zierliches Einladungsbriefchen, und das Herz klopfte ihm rascher, als er sich sagte, daß die Zwanglosigkeit einer fête champêtre ihm jedenfalls Gelegenheit geben würde, Martha Hoyer näher kennen zu lernen und diese stille, innerliche Natur zu sondiren; es war ja noch lange nicht erwiesen, ob sie bei eingehender Unterhaltung auch alles das hielt, was sie versprach, und in Wolfgangs Seele kämpfte der Wunsch, sie möchte sich so zeigen, daß er ein Recht bekam, sich achselzuckend von ihr abzuwenden und sie als abgethan fernerhin zu ignoriren, mit dem Wunsche, sie möchte alles das sein, was er nur von einem Mädchen träumen konnte. Es schien übrigens, als trage Martha kein Verlangen, ihm zu begegnen; er hatte eben erst das Haus betreten, als ihm bereits Gelegenheit ward, Fräulein Emmy seinen Glückwunsch darzubringen, und sie nahm denselben mit einem Lächeln entgegen, das sie für äußerst fein und vielsagend hielt und das Wolfgang andeuten sollte, sie habe selbstverständlich errathen, wer der Dichter des ihr anonym zugegangenen Gedichts sei, das der Bewunderung für ihre„ knospenfrische" Schönheit, für ihre„ Gazellenanmuth" und ihres Auges sanftes Feuer" in so zarter und schüchterner Weise Ausdruck lich; Frau von Larisch, die eine sehr distinguirte Toilette gentacht hatte und reizend aussah, begrüßte ihn mit einer heitern Freundlichkeit, über der es doch wie ein Hauch von Befangenheit lag; sie fragte sich, welcher Ausdruck wohl in seinen Augen liegen würde, hätte er nur eine Ahnung davon, daß ihre Lippen die Stirn über ihnen flüchtig gestreift hatten, und als er scherzend sagte, er hoffe, im Laufe des Abends Gelegenheit zu erhalten, ihr eine Bitte vortragen zu können, an