Mein Freund war sprachlos vor Erstaunen, und ich hatte vor der braven Trine jezt noch mehr Respekt als früher.
Diese Erfahrungen hatten auf mich nachhaltigen Eindruck gemacht; ich wußte, daß man nicht jedem Dienstboten ein Trink geld anbieten könne, ohne in Gefahr zu kommen, sein Ehr- oder Pflichtgefühl zu verletzen.
Lange dauerte es, bis ich erfuhr, daß man nicht blos Kutschern, Dienern und Dienstmädchen Trinkgelder geben könne, sondern noch vielen andern Leuten, ohne befürchten zu müssen, daß sie es einem übelnehmen möchten. Ich habe erst lange hinsehen und hinhorchen müssen, bis ich begriff, daß Kellner und Kellnerinnen, Hausknechte oder feinste Oberfellner es im Gegentheil übelnehmen, wenn man ihnen nicht etwas zuwirft oder in die Hand steckt. Ich finde in der Sache auch nichts unrechtes, seitdem ich weiß, daß die Trinkgelder diesen Leuten als ein Theil ihres Lohnes veranschlagt werden; aber ich finde sie unwürdig, demüthigend, erniedrigend ich kann mir nicht helfen.
-
-
Noch weitere Erfahrungen und einige recht unangenehme mußte ich machen, bis ich es glaubte, daß man viele bei Leibe nicht alle! Beamte ebenfalls nicht demüthigt, erniedrigt, beleidigt, wenn man ihnen ein Trinkgeld anbietet, und daß sie es annehmen und zwar genau in derselben Form, nach demselben Maßstabe wie Dienstmädchen, Kutscher , Diener, Kellner und Oberfellner. Zwar wußte ich es lange, daß man Beamten Geschenke macht; die Landleute liefern dem Gensdarmen, dem Polizeiverwalter oder jezt etwa Amtshauptmann, dem Kreissekretär, Landrath , ja dem Richter von ihren besten Produkten und oft in großen Massen ich habe gesehen, wie einem gestrengen Polizeiverwalter ein großes Fuder Heu zum Geschenk gemacht wurde. Aber solche Lieferungen, so lästig sie manchmal auch sein mögen, haben doch noch immer die Form und das Ansehen eines Geschenks im alten, guten Sinne; ja, oft sind's wirkliche Geschenke, Entgelt für gute, ehrliche Dienste, deren man nicht entrathen, die man aber auch nicht mit Geld bezahlen kann oder darf. Wenn solche Geschenke nicht gefordert werden und nicht den Charakter alter Naturaltribute haben, wenn man sie, ohne Nachtheil für sich befürchten zu müssen, zurückhalten kann; so wird gegen dieselben oft nicht das Geringste einzuwenden sein. Wollte man dagegen statt solcher Naturalien denselben Beamten Geld geben, so würde man in der Regel übel ankommen; das würde nicht mehr ein Geschenk sein, bei dem sich an freundschaftliche Gesinnung oder an Dank für einen in Ehren und Treuen geleisteten Dienst denken ließe, sondern das wäre eine Entlohnung, die nicht angenommen werden darf, oder eine Bestechung. Könnte aber nur von solchen Diensten die Rede sein, zu denen der Be amte verpflichtet ist, so wäre es eben ein Trinkgeld.
-
Das ist der Unterschied zwischen dem ordentlichen deutschen Beamten und dem russischen: dem letztern legt man neben das Geld, das er als Zoll, als Gebühr, als Preis( z. B. für Holz) 2c. zu empfangen hat, noch immer ein Mehr, oft ein recht bedeutendes. Er streicht alles ruhig ein, wenn es ihm nicht zu wenig ist. Ist er zufrieden, dann weiß der Zahlende, er braucht sich um Vorschriften und Gesetze nicht zu kümmern, er darf die kost barsten Waaren schmuggeln, und hat er z. B. zwanzig schlechte Bäume im Walde gekauft, so führt er dreißig gute aus oder wenn er recht dreist ist auch vierzig und funfzig. Darum ist der russische Beamte verachtet, und ich hoffe mit Recht. Aehnliches kann auch bei den oben beschriebenen Geschenken vorkommen und ist vorgekommen; aber es ist das wohl verhältnißmäßig selten geschehen, wenigstens wird es gewöhnlich nicht vorausgesetzt.
Alle diese einzelnen Erfahrungen, die einen unaustilgbaren Eindruck auf mich machten und meine Neigung, den sittlichen Charakter jedes Menschen groß und unantastbar zu denken, befestigten, ließen mich immer nur sehr langsam auf den Gedanken
Da hat das Zeitungsschreiber- Volk Den hirnverbrannten Saß ersonnen, Die Lehrer hätten, sie allein, Die Schlacht bei Königsgräß gewonnen! Nicht Moltke , auch der Dreyse nicht Und nicht die brandenburger Jungen Der Lehrer, der den Haselstock Vor Zeiten über sie geschwungen.
261
-
-
kommen, daß bei dieser oder jener Gelegenheit ein Trinkgeld wohl angebracht sei. Allmählich lernte ich, namentlich in den großen Städten, daß beinahe alle dienstbaren Geister, sowohl in den Familien, wie in den Gastwirthschaften und Läden, die Handwerkerlehrlinge u. s. f. Trinkgelder mit Vergnügen annehmen, ja wie einen Tribut erwarten. Seitdem wird auch von mir dieser Tribut ausnahmslos geleistet, und nur einmal ist er mir lachend es war freilich von einem Lehrlinge zurückgewiesen worden der wohlerzogene Sohn eines reichen Mannes. Aber einem Beamten, auch dem geringsten, ein Trinkgeld anzubieten, davor hatte ich stets eine heilige Scheu. Der Gedanke daran hat für mich immer eine verzweifelte Aehnlichkeit mit einer Verdächtigung des Charakters. Es sind die schlimmsten, die verderblichsten Erfahrungen, die uns überzeugen, daß wir die Menschen nach einem viel zu hohen, nach einem wie man sagt idealen Maßstabe beurtheilen, die uns lehren und zwingen, wie die Polizei von jedem Menschen eine möglichst schlechte Meinung zu haben und abzuwarten und abzulauern, bis er durch Aeußerungen oder Handlungen ein schönes Herz, ein reines Gewissen und über die schmutzige Erdlinie hinausragende Grundsäße zeigt. es wäre auch Solche Ueberzeugung liegt nicht im Menschen geradezu unnatürlich! sondern sie wird ihm anerzogen oder durch schlimme Erfahrungen aufgedrängt. Es ließe sich recht wohl zeigen, daß gerade in unserer Zeit eine solche Erziehung leider sehr häufig ist und dergleichen Erfahrungen wahrscheinlich niemanden und manchem vielleicht an feinem Tage erspart werden. Ob solche Menschenkenntniß am Ende wirklich nüßlich ist, lasse ich dahingestellt; daß sie nicht erfreulich, auch nicht erhebend ist, das weiß ich.
-
-
Ich gebe wohl zu und damit will ich diese Bemerkungen hier abschließen, daß man durch Mitleid bestimmt werden fann, auch dem Beamten, der uns einen Dienst leistet, ein Trintgeld zu geben. Zum Beispiel den Briefträgern. Wir wissen, daß dieselben für unendlich schwere Arbeit sehr schlecht bezahlt werden. Es will uns bedünken, daß der Mann für den Dienst, den er uns leistet, zu geringen Lohn erhält, und was ihm der Staat verweigert, das suchen wir ihm in etwas zu erseßen; und wir können dies mit gutem Gewissen thun, da wir ihn durch ein Trinkgeld in seinem Dienste weder zu hindern noch zu fördern vermögen. Das ist aber fast bei feinem andern Beamten der Fall, beispielsweise schon nicht bei denen der Eisenbahn. Es scheint nun fast, daß die vorgesetzten Behörden, z. B. der Post, bei Abmessung des Lohnes ihrer untern Beamten diese Trinkgelder mit veranschlagen, wie Gasthof- Inhaber die Trinkgelder ihrer Kellner und Kellnerinnen, und darum sich berechtigt halten, den Lohn so niedrig zu berechnen, daß er kaum noch als Lohn an gesehen werden könne. Denn es ist Thatsache, daß gutherzige Vorgesetzte bedrängte Unterbeamte in solche Gegenden oder Reviere einer Stadt schicken, wo diese auf ein verhältnißmäßig reiches Trinkgeld rechnen dürfen.
In diesem Falle mag das Trinkgeld entschuldigt werden; aber auch der letzte Beamte sollte so bezahlt werden, daß er des Trinkgeldes nicht bedarf. Diesem haftet immer etwas an, was sich mit der Ehre, mit der persönlichen Würde nicht vereinigen läßt; und gefährlich für die Beamten sowohl wie für die Bürger ist's auf alle Fälle. Das muß man vergessen oder für nichts achten, wenn man ein Trinkgeld anbietet, und das ist eben nicht jedermanns Sache; wird's aber mehr oder minder deutlich gefordert, abgelungert oder abgepreßt, dann ist's nicht mehr ein Trinkgeld, sondern ein Sündenlohn.
Das war die bedeutsame Lücke in unserer Erfahrung, die meine Frau und ich diesmal schwer büßen mußten; denn wir hatten uns nicht geirrt! ( Schluß folgt.)
Hieroglyphen.
( Bild Seite 257.)
Sie sollen mit so fadem Schwaz Mir altem Kerl vom Halse bleiben! Wär's wahr, wie könnte noch ein Mensch So tolle Krähenfüße schreiben?
Denn welches Dorf ist nun gemeint? Für welches soll ich mich entscheiden? Muß rechts ich, muß ich linksum gehn? Am Ende ist es keins von beiden!
1
Und find' ich ja das richt'ge Dorf, So ist's doch nur ein halbes Wesen, Denn die Adresse, na, die soll, Wenn er's vermag, der Teufel lesen! Ja, ja, es ist noch manches faul, Troz allem Prahlen, allem Schwaßen. Stünd ich am Kreuzweg sonst, wie jetzt, Um hinterm Ohre mich zu tragen?"