biete. Man klagt jest so viel über Verarmung; hier ist ein Institut, dessen Zweck fast nur die Beförderung der Verarmung zu sein scheint. Schaut doch einmal näher zu; wenn Ihr tapfer seid, könnt ihr da mehr gutes stiften, als wenn Ihr mit schwerem Gelde eine verpestete Stadt kanalisirt."

,, Sie müssen die Geschichte veröffentlichen!" riefen mir mehrere zu. Die Politiker und Sozialisten müssen auf die Sache auf­merksam gemacht werden."

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daß ich, der Verfasser, garnicht als mithandelnde Person drinnen vorkam, zu mehreren liberalen Redaktionen. Das eine Blatt hatte dafür keinen Raum, dem andern war die Geschichte nicht gründlich genug, dem dritten zu lang und die Redaktion des vierten Blattes sagte mir: Man muß es nicht zu einer Exekution kommen lassen." Damit war ich am Ende.

Aber die Exekutionen mehren sich und es mehren sich die ge­rechten Klagen über die Exekutoren. Horchen wir auf dieselben und sehen wir zu, ob nicht auch auf diesem bösen Gebiete eine Ed. S. Ich ging mit meiner Geschichte, die ich vorsichtig so gefaßt, Wandlung geschaffen werden kann!

Der alte Advokat lächelte.

Aus den Erinnerungen eines Communarden.

Von R. Rüegg.

Vor einigen Monaten hat der greise Charles Beslay  , der Alterspräsident der pariser Commune von 1871, ein Büchlein in die Welt hinausgeschickt( ,, La vérité sur la Commune"), welches sich gegen das garstige Heer von Insulten, Lügen und Verleum­dungen wendet, mit dem die Partei der Ordnung unermüdlich gegen die Führer jener Schilderhebung zu Felde zieht. Beslay ist mit Ehren alt geworden. Durch Geburt und Erziehung der " honneten" Gesellschaft angehörend, hielt er sein Leben lang redlich zum arbeitenden Volfe. Aber wie ihm die wahre Bedeutung der Junischlacht von 1848 entging, so verkannte er auch diejenige des Jahres 1871. Ein Verehrer Proudhons, ist er gänzlich von dessen, einst als Sozialismus ausgegebenen Schrullen eingesponnen. Sein letzter Traum ist die Versöhnung von Kapital und Arbeit fürwahr, nur ein naives Herz kann nach der blutigen Maiwoche noch solchen Glauben hegen...

In einer französischen   Komödie, deren Titel mir entfallen, sagt ein Pfaffe:" Du matière de religion on ne juge pas, on frappe." Gewiß, der heilige Mann versteht die Sache besser, als der gute Beslay: Die Gewalt prüft und richtet nicht, sie schlägt einfach zu. Sie weiß, man muß Hammer oder Ambos sein auf dieser Welt, und die Wahl verursacht ihr niemals Schmerzen. Sie heuchelt Versöhnung, wo sie sich schwach fühlt, und vergilt hernach die an ihr geübte Milde mit dem Stoß in's Herz". Wehe den Besiegten!...

Lassen wir dem Alten den Glauben, in den er sich einmal verrannt hat, und blättern wir lieber in seinen Erinnerungen ( 1830-1848 1871. Mes souvenirs, par Charles Beslay  , ancien député, ancien représentant du peuple, doyen d'âge de la Commune de Paris), auf die in der neuesten Schrift mehr­fach verwiesen wird. Sie sind schon 1873 erschienen, und un­verdienterweise hat man sie fast nirgends einläßlicher gewürdigt. Macht sich in derartigen Aufzeichnungen oft minder Wichtiges auf Kosten wesentlicherer Dinge nur allzubreit und geräth die subjektive Auffassung sowohl, als die in jeder Menschenbrust ein Winkelchen behauptende Eitelkeit mit der historischen Treue wissent lich und unwissentlich in Kollision, so hilft doch die auf unmittel­barer, frischer Anschauung beruhende Kleinmalerei weit eher zum Verständniß für das Denken und Fühlen und die gesammte geistige Strömung einer Epoche, als ein aftenstaubiges Sammel­werk. Und grade Beslay's Memoiren entrollen nicht nur das Bild eines bewegten Einzellebens, sie bereichern auch die Zeit­geschichte mit manchem interessanten Zuge.

Beslay stammt aus der Bretagne  . Sein Vater, ein unab hängiger Liberaler, der in der Kammer als tüchtiger Kenner der Finanz- und Handelsfragen galt, schuf Ende der zwanziger Jahre in der Bretagne   eine weitverzweigte Verbindung zum Zwecke einer allgemeinen Steuerverweigerung. Die Revolution unterbrach diese Thätigkeit. Seine Freunde ließen sich mit Stellen belohnen, er wies den ihm angebotenen Ministerposten zurück. Als der Sohn zu seiner Ausbildung in ein pariser Lyzeum eintrat, stand die napoleonische Säbelherrschaft auf dem Höhepunkt. Unter den Mitschülern Beslay's befand sich auch das Söhnchen des Herzogs von Belluno  ; dasselbe neckte den Neuling in frechster Weise. Beslay beschwerte sich zweimal beim Professor und wurde von diesem schnöd angefahren. Da reißt ihm schließlich die Geduld und er schmeißt alles, was er momentan erwischt, Bücher, Pult und Tintenfaß, mit dem urbretonischen Fluche Foi de Dieu, malédictions!" dem Herrchen an den Kopf. Es sezte einen Tumult ab, allein von jetzt an hatte er Ruhe. Im Jahre 1813

wanderte der Lyzeist heim nach Dinan  . Im väterlichen Hause konzentrirte sich gewissermaßen der ganze Handel der Umgegend; man befaßte sich mit Bankgeschäften, Export und Import, und bei der häufigen Abwesenheit des Vaters mußte der Sohn die Leitung übernehmen.

Die Herrlichkeit des Kaiserreichs ging unter und plößlich erin­Die nerten sich die Edelleute ihrer verschimmelten Rechte". Wappenschilder wurden frisch geputzt. Um das Volk für das Königthum zu entflammen, gaben die Feudalherren ein Fest nach dem andern. Auf den öffentlichen Plätzen wurde getanzt und Wein und Most ausgeschenkt, um die Kehlen für das Hochrufen auf Ludwig den Achtzehnten feucht zu halten. Die Ritter vom Thron und Altar gründeten einen Lilienorden und spendeten ihn den Gläubigen, wie seit 1871 die rothen Tuchläppchen vom heiligen Herzen Jesu ausgetheilt werden. Die Regierung sandte zur Belebung der Königstreue" eigene Kommissäre nach den Provinzen. Von den Kanzeln herunter wurde mit Macht zur Umkehr geblasen und der Pfarrer zu Savenay   verkündete mit rollenden Augen, daß alle diejenigen, welche die seit 1789 vom Staate erworbenen Güter nicht an die ursprünglichen, rechtmäßigen Eigenthümer Adel   und Klerus abtreten, wie Jesabel von den Hunden gefressen würden. den Hunden gefressen würden. Der legitimistische Weizen blühte üppig, auch vormalige Anbeter des imperialistischen Adlers warfen sich vor dem Lilienschilde inbrünstig auf den Bauch. Das Treiben der Tellerlecker und Stellenjäger nahm so entsetzliche Dimensionen. an, daß der berühmte Pamphletist Paul Louis Courier   sich zu der bitteren Aeußerung hinreißen ließ, die Franzosen seien ein Volf von Kammerdienern geworden.

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Da fam auf einmal der nach der Insel Elba   verbannte Kaiser  wieder. Er vermied es, bei der Ansprache an das ihm entgegen­geschickte Linienregiment den früheren soldatischen Ton anzuschlagen. " Der Thron der Bourbonen  ," sagte er, ist illegitim, weil er nicht von der Nation aufgerichtet wurde; er widerstreitet dem Willen der Nation, weil er gegen die Landesinteressen ist und nur auf die Interessen einer kleinen Anzahl von Familien sich stützt. Fraget eure Väter, fraget die braven Bauern, welche mich begleiten, und alle werden euch sagen, daß ihr von der Rückkehr der Zehnten, der Privilegien, der Feudalrechte und aller derjenigen Mißbräuche bedroht seid, von denen ihr euch durch eure Thaten losgemacht habt." Der schlaue Korse traf die rechte Saite. Das Volk verabscheute die Kriegslust des Kaisers, aber es verabscheute noch viel mehr die plumpe bourbonische Reaktion. Während der hundert Tage" genoß die Presse sogar einige Freiheiten. Der Bourgeoisie behagte indeß vorzüglich, daß dem Handel und der Industrie eine Vertretung zuerkannt und das Wahlrecht nicht mehr blos an den Grundbesiz gebunden wurde. Sie bewilligte dem Kaiser für dieses liberale Zugeständniß" gerne weiteres Menschenmaterial. Der Lostauf ward erschwert, der Vater Beslay  mußte, um seinen Sohn daheim zu behalten, 15000 Francs be zahlen. Die Schlacht von Waterloo   setzte den Plänen des Aben­teurers endlich ein Ziel, die Bourbonen kehrten zurück auf den Gepäckwagen der Alliirten". In den Kirchen wurde das Tedeum geblöft, die Nachtfalter schwärmten auf's neue. Der Klerus nahm das Heilswerk da auf, wo er etwas eilig- abgebrochen, Weihrauchwolken dampften, Jesuiten   durchstrichen das Land, Bilgerzüge mit Kreuz und Fahnen schleppten sich durch die Straßen. Ein hoher firchlicher Würdenträger erklärte die Freiheit für die größte Heimsuchung, welche ein Volt treffen könne; sie sei sein Untergang, überhaupt eine der gefährlichsten Begierden der Seele.

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