Stimmung beigetragen. Er hat eine Hochzeitshymne gedichtet: Charlotte und Elisabeth." Wie bist du hold und nett, Müller von der Werra! Nur so fort, Rudolph Gottschall ist dir ja mit gutem Beispiel vorangegangen, vielleicht gelingt's auch dir, den ohnehin schon künstlich zugestuzten Plebejernamen mit noch einem, etwas ächten Aristokraten- von zu veredeln: von Müller von der Werra. Wenn ich übrigens aus gewöhnlichen Menschen Ritter machen könnte und dürfte, du solltest nicht lange vergeblich danach seufzen: für jedes einzelne deiner Gedichte bekämst du gleich eine ganze Tracht Ritterschläge !
, Ein Ritter fäme dann herbei, Im Herzen selbst den jungen Mat
Der Liebe;
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Mehr als diese eine Strophe der Müller'schen Schweifwedelei parodistisch wiederzugeben, ist mir nicht möglich, und das Poem im Originale anzuführen, dazu ist Druckerschwärze und Papier zu theuer.-
Von den ,, Christlich- Sozialen" habe ich schon in meinem letzten Briefe gesprochen, und die Leser der ,, Neuen Welt" werden mir wohl nicht die Freundschaft kündigen, wenn ich heute nochmals auf die Clownsprünge dieser Leute zurückkomme. Hofprediger Stöcker hat, um den Wizblättern neuen Stoff zu geben, eine eminente Zugkraft für seine Vorstellungen engagirt, ich meine Herrn Jbscher. Es ist derselbe, der bei der letzten Andachtsstunde in der Villa Colonna entrüstet ausrief: ,, Lassalle sei im Kampfe zweier Wüstlinge um eine Dirne gefallen!" Ich will mich durchaus nicht zum Vertheidiger der Frau Helene Dönniges Rackowiza Friedmann aufwerfen, Herr Wanderprediger Jbscher wird. diese Dame wahrscheinlich genauer kennen als ich, sonst würde er sich wohl gehütet haben, sie in einer öffentlichen Versammlung mit einem Namen zu belegen, der sonst nur in den intimsten Kreisen der christlich sozialen Arbeiterpartei gang und gäbe zu sein scheint. Aber sei dem auch so, einen faux pas hat Herr Jbscher mit dieser Aeußerungen doch begangen, indiskret war es auf jeden Fall. Singt doch schon der lachende Philosoph:
Hat der Jüngling ein Vergnügen, Sei er dankbar und verschwiegen."
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Verschwiegen war auch der Reichskanzler Fürst Bismarck . Er hat anläßlich der Orientdebatte im Reichstage zwei Stunden lang gesprochen, ohne etwas zu sagen. Er schien Heimweh nach seinen Kohltöpfen in Varzin zu haben, und selbst die Glazköpfe der zahlreich versammelten Abgeordneten konnten ihn nicht über diesen Verlust trösten. Der Reichsfanzler beantwortete die Interpellation der Herren Bennigsen und Konsorten in gleicher Weise, wie wir mit beschränktem Unterthanenverstande Begabte antworten würden, wenn sich jemand nach unserem Befinden erkundigt. Danke, es macht sich! Er verwies einfach auf die Landfarten von Kiepert, aus denen sich ein jeder über den Stand der orientalischen Dinge und über die Weisheit und den Erfolg seiner Politik unterrichten könne. Nur einmal verließ ihn seine diplomatische Zurück haltung, als er dem Abgeordneten Liebknecht replizirte, der in seiner Rede die Theilung Polens brandmarkte. Allen Ernstes meinte er da, daß man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könne, wenn man di Sozialdemokraten die polnischen Kreise regieren ließe, er sei überzeit, daß dann aus den Polen die besten Preußen würden." Ich zwete garnicht an dem Geschick des Fürsten Reichskanzlers im Fliegentödtet, aber er scheint sich in neuerer Zeit nicht viel damit beschäftigt zu haben, sonst müßte er wissen, daß sich heutzutage die Fliegen nicht mehr mit der Klappe schlagen lassen, dazn sind sie zu schlau und zu behend geworden. Heute geht es nur mehr mit Gift, und auch das ist ein höchst problematisches Mittel.
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Andern Tages sprangen in der Leipzigerstraße die wunderthätigen Wasser von Lourdes . Camphausen weinte. Die hellen Thränen standen ihm in den Augen, als er hören mußte, wie alle Parteien des Hauses gegen die eingebrachte Tabaksteuervorlage Front machten. Anfangs glaubte ich ihn auch schluchzen zu hören, als ich mich aber umsah, merkte ich, daß es ein hinter mir sigender Berichterstatter der Norddeutschen Algemeinen Zeitung" war, der gerade die Thränen des Finanzministers zu Papier brachte. Der arme von Camphausen vermeinte, daß er nun demissioniren müsse, eine solche Niederlage hatte er nicht erwartet. Und siehe das Wunderwasser von Lourdes that seine Wirkung. Bismarck , der den Schmerz seines Kollegen nicht länger mit ansehen konnte, nahm das Wort und erklärte, daß er unter keiner Bedingung sich von einem seiner Ressortminister trennen werde. Hinter mir nahm das Schluchzen ein Ende, und als ich aufsah, lachte auch Camphausen wieder, wie warmer Sonnenschein.
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Neben der Rede des Fürsten Bismarck bildete der Prozeß des Raubmörders Thürolf das Gesprächsthema der letzten Wochen. Fünf volle Tage dauerte die Verhandlung, die mit der Verurtheilung des Angeklagten zum Tode endete. Ganz Berlin drängte in die Gerichtssäle, und namentlich fand das sogenannte schwächere Geschlecht ein besonderes Vergnügen daran, sich an den Dualen des ,, verruchten Sünders" zu weiden. So widerlich auch der Prozeß in seinen Einzelheiten, so interessant war er in seinem ganzen Zusammenhange, und die Streiflichter, die er auf die heutigen gesellschaftlichen Zustände wirft, dienen nicht gerade dazu, diese günstig zu beleuchten. Ein bis dahin volltommen unbescholtener und arbeitsamer Mensch kommt durch anhaltende Arbeitslosigkeit in Noth. Tagelang hat er nichts zu essen, bis das
Eisen die Noth bricht und er zum Mörder wird. Mit dem Ertrag des Geraubten erhält er sich fast drei Monate lang und noch immer findet er keine Arbeit, keinen Verdienst. Da drückt ihm der bitterste Hunger abermals die Mordwaffe in die Hand. Einmal ist's ja gefungen, er hat sein Leben für kurze Zeit gefristet, warum nicht auch ein zweites mal? Und so wird er weiter getrieben auf der schiefen Ebene des Verbrechens, von Ranbmord zu Raubmord, bis ihn endlich die rächende Nemesis erreicht. Das ist in kurzen Strichen der Raubmörder Thürolf. Ich bin weit entfernt, ihn entgegen dem Wahrspruch der Geschworenen von aller Schuld zu entlasten, ich wollte nur an einem Beispiel zeigen wie der Mensch das Produkt der Verhältnisse ist, und daß es durchaus nicht genügt, einen Verbrecher zu guillotiniren, sondern daß man, um bessere Menschen zu erziehen, die Verhältnisse ändern muß, durch welche deren Thun und Lassen bedingt wird!
Ich bin da entseßlich ernst geworden, aber das ist die Signatur keit genießen will, muß sich die Augen zuhalten und die Ohren vervon Berlin überhaupt, und wer hier des Lebens Unverstand mit Heiter
stopfen.
Nun, vielleicht hilft mir der ,, Volksmann" Eugen Richter aus der Noth und hält eine Rede, ich kann dann in meinem nächsten Briefe wieder was Heiteres berichten. -pira.
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Ein rheinisches Hammer- und Walzwerk führt uns unser Bild( Seite 292) vor Augen. Im Vordergrunde sehen wir die Brust eines Stückofens aufgerissen und stämmige Arbeiter bemüht, die zähe Masse des Eisenteiges mit eisernen Haken aus dem Herde zu heben, um sie unter dem Hammer zu mehrzölligen Eisenplatten zu verarbeiten. Die Arbeit ist eine ungemein anstrengende, die Körperkräfte und den Körper selbst rasch aufzehrende, und dennoch mit welchem Eifer gehen die Arbeiter daran und für welchen Lohn? Gewiß ist es wahr, daß die materiellen Anforderungen, ebensowie die ideellen, welche unsere hochcivilisirte, wenn auch nicht hochkultivirte Zeit stellt, einen ungeheuren Arbeitsaufwand nöthig machen, und gewiß wird und soll nie eine Zeit kommen, in dem sich die Menschen in der einen oder der anderen Weise des Joches anstrengender, harter Körperarbeit ganz entledigt haben werden. Aber die Gerechtigkeit verlangt, daß solch' schwere, verzehrende Körperarbeit mit einer nicht nur leidlichen, sondern nach den Zeitbegriffen guten Existenz gelohnt werde, und Vernunft und Menschenwürde heischen, daß eine derartige physische Anstrengung nicht die Kraft und die Zeit eines Menschen vollständig in Anspruch nehme, daß sie ihn nicht zu geistiger Verkümmerung, zu ewiger Gedankenunselbständigkeit verdamme, wie das gegenwärtig geschieht.
Eine neue Waschflüssigkeit. 1 Kilogramm Seife wird mit ein Rühren in 45 Liter Wasser von 30 Grad C.( 240 R., 86° F.) vertheilt, wenig Wasser zu einem Brei geformt, mäßig erwärmt und durch tüchtiges nachdem dem Wasser vorher ein Eßlöffel voll Terpentinöl und zwei Eßlöffel voll wässerigem Ammoniak( Salmiakspiritus) zugesetzt sind. Die zu waschenden Gegenstände werden zwei Stunden lang in dieser Mischung eingeweicht, dann wie gewöhnlich in Wasser gewaschen. Die benutzt werden, wenn man sie wieder, wie oben angegeben, erwärmt aus den Zeugen ausgewundene Waschflüssigkeit kann zum zweitenmale und wieder Terpentinöl und Ammoniak zusetzt. Diese Methode ist zeit-, arbeit- und geldersparend, es wird weniger Seife und weniger Reiben erfordert und die Zeuge werden weniger in ihrer Haltbarkeit geschädigt.
Räthsel.
Getrennt oft weise und belehrend, Vereint stets hemmend, oft zerstörend.
Aerztlicher Briefkasten.
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Dr. B.-R.
Hamburg. G. H. W. Das Auftreten von ,, Theilnahmlosigkeit", also die sogenannte Demenz" im Verlaufe der Geisteskrankheiten, namentlich nachdem geraume Zeit hindurch maniakalische Zufälle( Tobsucht 2c.) vorausgingen, ist allerdings kein besonders günstiges Symptom, vorausgesetzt, daß dasselbe nicht dem sehr allgemein in Irrenanstalten , an Stelle der früher angewandten Zwangsjacke, üblichen Gebrauche von Morphium zuzuschreiben ist. Jedenfalls würden wir Ihnen jedoch rathen, die Kranke, derentwegen Sie uns konsultiren, vorläufig in ihrem jezigen Asyle zu belaffen.
denn
Berlin . H. R. Also in der Stadt der Intelligenz räth Ihnen jemand an, Ihres Brustleidens halber Urin und Schafgarbenthee zu trinken? Da hört ja alles auf! Wenden Sie Sich an einen dortigen Arzt, lassen Sie von demselben feststellen, was Ihnen fehlt, nach den von Ihnen mitgetheilten Symptomen könnten Sie vielleicht auch nur an einem Magen- und Darmkatarrh leiden, und befolgen Sie dessen Rathschläge, vorausgesetzt, daß dieser Arzt kein Arzneiquacksalber ist.
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