306

Carl Friedrich Gauß .

Von A. Reichenbach.

( Schluß.)

So schien sich für den jungen, mit allem Eifer und aller Kraft vorwärts strebenden Gelehrten alles wohl zu gestalten; er durchlebte damals eine wirklich schöne Zeit, welcher er bis an sein Lebensende in freundlicher Erinnerung gedachte. Aber ge­rade diese schöne Zeit und die sich allem Anschein nach immer günstiger gestaltenden Verhältnisse ließen in ihm auch einen anderen Wunsch erwachen. Seit 1803 war er mit Johanna Osthof aus Braunschweig , zu der er sich hingezogen fühlte, näher bekannt. Am 22. November 1804 geschah die Verlobung und am 9. Oktober 1805 die Verheirathung. Als Bräutigam schrieb er an den schon erwähnten Freund aus der Studienzeit, Bolyai : " Das Leben steht wie ein ewiger Frühling mit neuen, glänzenden Farben vor mir." Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Joseph, geboren zu Braunschweig am 21. August 1806( nachher Oberbaurath in Hannover ), Minna, geboren am 29. Februar 1808 in Göttingen ( nachher Frau Professor Ewald), gestorben zu Tübingen am 12. August 1840, und Louis, geboren in Göttingen am 10. September 1809, gestorben am 1. März 1810. Das Glück dieses ehelichen Zusammenlebens sollte nicht lange dauern. Infolge der Geburt des jüngsten Sohnes starb die junge Gattin und Mutter schon am 11. Oftober 1809, und Gauß war Wittwer mit drei kleinen Kindern.

Aber auch an dem Jammer und Elend, worin sich damals ganz Deutschland befand, sollte er seinen Antheil haben. Nicht nur fühlte er als Sohn des deutschen Volkes die ganze Schmach, welche auf demselben lag, auch persönlich mußte er es mittragen. Napoleon ließ eine neue, schwere Kriegssteuer auferlegen und ein­treiben. Gauß war allerdings im Sommer 1807 wirklich zum Direktor der aber erst noch zu erbauenden neuen Sternwarte nach Göttingen berufen worden. Aber, wie gesagt, sie stand noch garnicht, die allgemeinen traurigen Verhältnisse hatten die Aus­führung des Baues verhindert. So kam es auch, daß der ein berufene Direktor schon einige Zeit in Göttingen wohnte, aber noch keinen Gehalt bekommen hatte. An der von Napoleon auf­erlegten Kriegssteuer hatte er 2000 Franken zu bezahlen. Woher diese Summe nehmen?- Elbers schickte sie aus Barmen, aber Gauß schickte das Geld wieder zurück; der französische Astronom Laplace schrieb ihm aus Paris , daß er sie dort für ihn bereits eingezahlt habe. Dagegen konnte er für den Augenblick nichts machen, aber später sandte er auch diesen Betrag zurück. Bald, darauf erhielt er ohne Nennung des Absenders 1000 Gulden aus Frankfurt a. M. Nur schwer konnte er es über sich gewinnen, dieses Geld zu be­halten.

Während dieser Zeit beschäftigte sich Gauß mit der Heraus­gabe seines zweiten, epochemachenden Werkes, nämlich über die Bewegung der Himmelskörper. Dasselbe war erst in deutscher Sprache verfaßt worden, jedoch auf Wunsch des Verlegers in der lateinischen erschienen. In diesem Werke zeigt der Verfasser, wie die Laufbahn eines Himmelskörpers nach den von Newton und Kepler aufgestellten Gesetzen einfach auf Grund der gemachten Beobachtungen ohne jede weitere Hypothese über die Beschaffen heit der Himmelskörper selbst berechnet werden könne. Die Stich haltigkeit dieser Lehre hatte Gauß schon vorher durch die Be rechnung der Laufbahn der beiden neuentdeckten kleinen Planeten Ceres und Pallas bewiesen. Besonders wichtig war diese neue Berechnungsart für die Bahn der Kometen, welche, wie er selbst sagt, nachdem sie lange für Rebellen gegen jedes Gesetz gehalten, endlich sich auch Zügel anlegen ließen und aus Feinden Gast freunde geworden seien. Um sich eine schwache Vorstellung zu machen von der genialen Fertigkeit, mit welcher Gauß die Zahlen beherrschte, sei hier bemerkt, daß er die Berechnung der Bahn des Kometen von 1799, wozu der berühmte Mathematiker Euler nach der von ihm selbst verbesserten Methode drei Tage der an­gestrengtesten Arbeit brauchte und infolge deren erblindete, später nach seiner eigenen Methode, die Uhr vor sich auf dem Tische liegend, in einer Stunde machte. Freilich," fügte er selbst hinzu, würde ich auch blind geworden sein, wenn ich drei Tage lang in dieser Weise hätte fortrechnen wollen."

Die neue Sternwarte war immer noch nicht fertig, doch ließ die französisch- westfälische Regierung in Kassel dazu 200,000 Franken aussehen. Hingegen erhielt Gauß nach Veröffentlichung seines

obengenannten Werkes von allen Seiten Anerkennungen und Ehrenbezeichnungen. Die Sorge um seine beiden noch kleinen Kinder sowie sein eigenes Bedürfniß nach dem Umgange mit einer treuen Seele ließ ihn am 4. August 1810 eine zweite Ehe schließen und zwar mit Minna Waldeck, Tochter des göttinger Hofraths Waldeck; sie war schon seiner ersten Frau eine gute Freundin gewesen. Dieser Ehe entsprossen zwei Söhne und eine Tochter. Durch Wilhelm von Humboldt wurde ihm damals eine Stelle an der Akademie der Wissenschaften in Berlin angeboten; er lehnte ab. Im Jahre 1811 berechnete er die Bahn des in diesem Jahre erschienenen großen Kometen. In dieser Zeit waren außer Schumacher auch Gerling und Enke seine Schüler. End­lich, im Jahre 1816 konnte er die neue Sternwarte beziehen. Dann machte er eine Reise nach München und Benediktbeuren, um einige Instrumente für dieselbe zu beschaffen. Nach der Rüd­kehr widmete er sich wieder ganz den mathematischen Forschungen sowie der praktischen Astronomie.

Durch die Untersuchungen über die arithmetischen Reihen war Gauß in die höhere Mathematik und Astronomie eingedrungen und hatte seine neue Berechnung der Himmelskörper aufgestellt. Nach wenigen Jahren kehrte er zur Erde zurück, indem er die Astronomie mit der Geodäsie oder Erdmeßkunst, Erdeintheilung verband. Auch auf diesem Gebiete, wo man bisher eigentlich nur die gewöhnliche Feldmesserei kannte, leistete er Neues und Großes und erhob diesen Zweig zu wissenschaftlichem Rang. Ebenso ist das von ihm zum Zwecke der Erdeintheilung erfundene sogenannte Heliotrop von der größten Wichtigkeit. Dieses Instrument besteht aus der Verbindung eines Fernrohrs und zwei kleiner aufeinander normalstehender Planspiegel. Mit Hilfe desselben läßt sich das von einer Spiegelfläche zurückgeworfene Sonnenlicht an irgend einen bestimmten, viele Meilen weit entfernten Punkt mit der größten Sicherheit hinschieben, so daß es alsdann von diesem Punkte aus als Stern, oder auf der Spitze eines Berges oder Thurmes befestigt scheint und hellen Schein verbreitet. Durch dieses Instrument, welches er später selbst noch verbesserte, erklärte Gauß, wie es möglich, falls sich auf dem Monde vernunftbegabte Wesen befänden, mit denselben in Verbindung zu treten. Er habe die Größe und die Kosten des dazu erforderlichen Spiegels bereits ausgerechnet und die Sache von dieser Seite aus nicht für un­ausführbar gefunden. Im übrigen glaubte er nicht an das Vor­handensein solcher Bewohner des Mondes.

Ueber die Geodäsie beabsichtigte Gauß ein besonderes Werk zu schreiben, doch kam es nicht dazu. Die Berufungsangelegen­heit von Berlin aus wurde auf's neue unter dem Minister von Altenstein stark betrieben. Gauß sollte die dort im Sinken be­griffene Akademie der Wissenschaften wieder aufrichten. So ver­lockend die ihm gemachten Versprechungen waren, lehnte er aber­mals ab; die hannoversche Regierung forderte ihn auf, einfach die Bedingungen zu nennen, unter denen er zu bleiben bereit sei, man wolle ihm alles gewähren. Im Herbst 1828 folgte er einer Einladung Alexander von Humboldt's zu einer Naturforscher­versammlung nach Berlin , wo er jedoch nur einige Tage verblieb. Während dieser Zeit erschienen mehrere Abhandlungen und Auf­sätze von ihm. Im Jahre 1831 beschäftigte er sich mit der Lehre von den Krystallen.

Noch ein Gebiet war es, auf welchem Gauß seine Genialität bekunden sollte und wo er Ergebnisse erzielte, welche mehr als alle anderen in das allgemeine Verkehrsleben hineingreifen und in unserer Zeit von sehr großer Bedeutung sind. Wir meinen seine Forschungen und angestellten Versuche über Erdmagnetismus und Elektrizität, welche ihn zum elektrischen Telegraphen führten. Er selbst brachte diese wichtige Erfindung zuerst in Göttingen zur Anwendung, indem er von der Sternwarte nach dem Johannis­thurme und von da nach dem physiologischen Kabinette eine Draht­leitung von mehreren tausend Metern Länge ziehen ließ.

Sehr bald wurden Worte und ganze Säße hin- und her­telegraphirt und auf Grund dieser Versuche beantragt, zwischen Leipzig und Dresden den ersten Telegraphen für den öffentlichen Verkehr zu errichten. Gauß selbst schrieb darüber an seinen Freund Schumacher im Jahre 1835: Könnte man tausende von Thalern verwenden, so glaube ich, daß z. B. die elektromagnetische Tele­