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begabten Volkes jedes schriftliche Denkmal mit Geist erfüllt, er-| griff, erweckte erst recht die Neigung der Deutschen , die sie beweitern sich plößlich auch die Schriftmittel; die vereinfachten wegenden Ideen geistig durchzufämpfen. Die Zeitungen jener Schriftzeichen geben Gelegenheit zu vielseitigerem Gebrauch. Die Epoche, Flugschriften, geißelten schonungslos Klerus und Kirche, Bilderschrift auf Thon und Stein verschwindet und die Schrift- und das Reichskammergericht zu Wetzlar hatte vollauf zu thun, zeichen auf Holz, Häuten und Bast dringen siegend über die alte sie zu verbrennen, aber trotzdem wirbelten die fliegenden Blätter Welt. Und doch hat die Philosophie und Dichtung, welche die zahllos wie Schneeflocken von Land zu Land. Karl V. , in dessen Mit- und Nachwelt erzogen hat, wohl Redner, aber feine Reiche die Sonne nicht unterging, war machtlos den Zeitungen Journalisten erzogen, weil alle Staatsaktionen, auf Abstimmung gegenüber. Das Plakat des Augustinermönchs Martin Luther basirend, mündlich und summarisch coram populo abgewickelt hat als Flugblatt von der Kirchthür zu Wittenberg die ganze Christenheit in vier Wochen durchlaufen. Auf öffentlichen Plägen und Jahrmärkten konfiszirten die kaiserlichen Kommissare eine geringe Anzahl und tausende von Exemplaren wurden troz peinlicher Gerichtsordnung kolportirt.
wurden.
Es wurde nichts auf die lange Bank geschoben, aber der Einfluß der Frauen und Priester machte sich nichtsdestoweniger geltend, denn Perikles hatte seine Aspasia und Hellas sein del phisches Orakel.
Das großartigste staatliche Gemeinwesen des Alterthums, die römische Republik, schrieb mit einem eisernen Griffel( Stylos) auf buchähnlich verbundenen, mit Wachs überzogenen Holztafeln, deren geschriebene Zeichen man, falls sie unnöthig wurden, wieder verwischen konnte, so daß die Täfelchen auf's neue verwendbar waren, ähnlich, wie heutzutage Schiefer und Pergament. Während des großen Kampfes der Demokraten und Aristokraten bis zu dem endlichen Siege der ersteren war Wort und Schrift frei. Die öffentlichen Vorgänge wurden der Bevölkerung der Haupt stadt und der Provinzen durch Zeitungen bekannt. Es waren bies die acta politica diurna. Diese Volkszeitung, die Mutter aller nachmaligen Tagesblätter ,. brachte alle politischen Neuigkeiten so vollständig und rasch; nur eine konnte man darin nicht finden: die Verhandlungen des Senates. Aus Sueton erfahren wir, daß erst Julius Cäsar die Veröffentlichung der Senatsverhand fungen anordnen ließ. Der offiziellen Publizistik, die auch damals schon ihren Dispositions- und Reptilienfonds hatte, machten im Anfang der Kaiserzeit die privaten Zeitungsunternehmungen Konkurrenz, weil die Stadtneuigkeiten, mit denen sich sonst nur die Kanzlei des Pontifex maximus beschäftigte, in den letzteren ausführlicher zu finden waren. Wieder ein Priester, der die Materialien zum Stadtklatsch sammelt. Der jezige tiaragekrönte Pontifex maximus beschäftigt sich im Vatikan nur noch nebst dem Inkasso des Peterspfennigs mit dem Staatsflatsch.
Wir haben Proben des römischen Zeitungswesens im„ Trimalchio" des Petronius und im Briefwechsel des Cicero. Unter Augustus beginnt die Leidensgeschichte der armen Journalistik. Der Aerarpräfekt, das Urbild unserer Censoren, welcher mit ihrer Beaufsichtigung beauftragt war, chikanirte sie in jeder nur möglichen Weise. Das Publikum lechzte damals, wie heute, nach den Pikanterien der Chronique scandaleuse, die Zeitungsschreiber wußten auch sehr Interessantes ihren Sklaven zu diktiren, allein die Agenten konfiszirten gerade das Interessanteste. Daß Ihre Majestät die Kaiserin Livia , des Augustus ränkevolle Gemahlin, eine Giftmischerin war, wußte alle Welt, nur durfte es niemand schreiben. Ihr Sohn Tiberius , dieses verkörperte Laster, erklärte zwar bei seiner Thronbesteigung: in einem freien Staate müsse Sprache und Gesinnung, Wort und Gedanke frei sein," doch als bald entpuppte er sich als ein blutdürstiges Ungeheuer, welches die Angeber fürstlich bezahlte, die Pasquille und Schmähartikel und deren Verfasser namhaft machen konnten. Seine würdigen Nachfolger, der verrückte Caligula und der gelehrte Popanz der mannstollen Messalina , Claudius , kopirten mutatis mutandis dieses weltbeherrschende Scheusal. Aber das Urtheil der öffentAber das Urtheil der öffentlichen Meinung wurde deshalb nicht günstiger. Wurden auch die Redakteure nach irgend einer barbarischen Provinz verbannt, die Welt hat doch erfahren, wie Nero sich seiner Mutter, Gemahlin und seines Erziehers Seneca entledigte. Als der kaiserliche Schauspieler die Christen verfolgte, schrieben sie die Leiden der Märtyrer nieder, und dieses christliche Journal, acta martyrorum genannt, wurde eifrig insgeheim kolportirt und hat nicht wenig dazu beigetragen, auf den Trümmern des verfallenen Heidenthums das neue Reich zu gründen. Die christ lichen Kaiser wurden aber nicht nur die Erben der heidnischen Cäsarenmacht, sondern auch ihrer Konfiskationslust.
Karl der Große eifert in einem Kapitulare gegen die Spottgedichte, welche zu seiner Zeit die Zeitung ersetzten.
Im sangreichen Mittelalter, wo alles die Form des Liedes annahm, war das Konfisziren unmöglich, weil die tausendzüngige Fama die dem Gedächtnisse eingeprägten Truglieder ungeschrieben folportirte.
Die schwarze Kunst des Gutenberg , die im Dienste des Fortschritts dem Zunftzwang der tonsurirten Abschreiber in den Rachen
Das Auftreten der Jesuiten , dieses Mehlthaues auf der Saat der Aufklärung, belebte die Produkte der Volksmuse. Die Waffen niedergedrückter Meinungen, Satyre, Polemik, geschärft durch die Karrikaturen der neuauftretenden Holzschneidekunst, griff mit wildem Hasse diese Wölfe im Schafspelze an. Wer je Scheibles Holzschnittsammlung aus der Reformationszeit durchgeblättert, muß darüber staunen, daß man vor Jahrhunderten zu drucken wagte, was heute kaum auch nur zu denken erlaubt ist.
Nicht minder scharf äußerten sich die französischen Rügelieder in den Zeiten der Hugenotten , trotz der unnachsichtlichen Verfolgung ihrer Urheber, wie uns Nisard in seinem Werke ,, Literature du colportage" erzählt.
Auch die englische Revolution gegen die Stuarts, diese Unterdrücker jeder freien Meinungsäußerung, hinterließ in großer Menge gerade jene Pamphlete, nach denen einst am strengsten gefahndet wurde.
Die erste täglich erscheinende Zeitung erblickte in Genua im Jahre 1535 das Licht der Welt und hieß„ Gazetta", von la gazza, die Elster, als Symbol der Geschwäßigkeit. Fünfzig Jahre später nahm der wackre Thomasius mit der ersten deutschen Zeitschrift " Die Monatsgespräche" den Kampf mit der religiösen Scheinheiligkeit und der zopfigen Pedanterie auf. Das dresdener Oberfonsistorium, dem mittlerweile der protestantisch- hierarchische Kamm geschwollen war, hat diesem Begründer des freien Journalismus das Leben sauer genug gemacht.
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Der dreißigjährige Krieg zerstörte nicht nur Deutschlands Wohlstand, sondern auch dessen geistiges Leben. Während die Heroen der englischen Literatur die Tagespresse organisirten, tasteten deutsche Gelehrte, wie Leibniz und Pufendorf , vergebens, um einen Punkt der Berührung zwischen der Wissenschaft und dem öffentlichen Leben zu finden. Das abstruse Zeug, das sich Wiener Tageblatt" und„ Regensburger Europäische Staatsnachrichten" nannte, kann unmöglich für den Ausdruck der öffentSeit lichen Meinung gelten. Die arme öffentliche Meinung!- jeher mußte sie sich allerhand Mummenschanz gefallen lassen. Friedrich des Großen Ausspruch:„ Gazetten, sollen sie interessant sein, müssen nicht genirt werden," lockerte ihr zwar das gesundheitsschädliche Mieder, zwang ihr aber dafür einen französischen Reifrock über die deutschen Hüften. Die französische Revolution riß ihr die Zopfperrücke herunter und setzte ihr dafür die phrygische Müße auf, ließ sie aber sonst sans culotte im Adamskostüme herumlaufen. Darob schämte sich die ehrsame Jungfrau und sah sich nach einem Feigenblättchen( Feuilleton) um. An dem Knebel, den ihr der erste Napoleon in den Mund preßte, wäre sie beinahe erstickt, aber der Zeitgeist blies ihr seinen wunderthätigen Odem ein, den zwangsweisen, unentgeltlichen Schulunterricht, und Dornröschen, welche die Renaissance- und Romantifperiode unserer Literatur verschlafen hatte, erwachte im Jahre 48 als Beherrscherin von millionen Vasallen. Die Zeitung, die noch im vorigen Jahundert, einem hohen Adel und vornehmen Leuten ein Objektum löblicher Kuriosität bieten sollte" ist heute ein zwingendes Volksbedürfniß. Welche Wandlung von dem bescheidenen Stübchen, in welchem Benjamin Franklin , Den Boten von Philadelphia " eigenhändig schrieb, sezte und druckte, bis zum Pallast der„ Neuen freien Presse" auf der wiener Weltausstellung!
Troß dem weltbewegenden Einfluß dieser jüngsten Großmacht, hat die Journalistik ihre plebejischen Allüren nicht abgelegt, denn während der„ Neuyorker Herald" seinen Feuilletonisten Stanley mit einem Miniſtergehalt zur Erforschung Afrikas schickt, und dessen Ausrüstung 115,000 Dollars fostet, wird in Little Rock das Abonnement des„ Arkansas- News" in Speck und Kartoffeln entrichtet. Dem Staatenlenter im Parlament und dem Dienstmann an der Straßenecke vermitteln täglich 14,000 Zeitungen in mil