321
Studien aufnehmen solle, was ich auch versprach und redlich hielt,| aufheben!" In meiner Kurzsichtigkeit halte ich die falsche Beum nach Jahren wieder zum Theater zu laufen.
Mein Direktor, Gioachino Papanicola, ein angehender Sechziger, trocken wie ein Stockfisch, rührig wie ein Einhörnchen, dessen schlottriche Glieder, in abgetragenen, unsauberen Kleidern, mehr von Nervenenergie wie durch Muskelkraft in Bewegung gesetzt wurden, war ein Unikum in Bezug auf gewagte Opernexpeditionen. Mit der Ausdauer eines Hamsters trug er heute die Maravedi in Madrid und morgen die Kopeken in Petersburg zum Kapital zusammen, welches seine Söhne in Mailand im dolce far niente bergendeten. Diesmal hatte diese lebende Vogelscheuche verschiedene vergangene und zukünftige Gesangscelebritäten( zu den letzteren wurde auch meine Wenigkeit gerechnet) zu einem musikalischen Raubzug nach der Levante zusammen getrommelt. Seine italienische" Operngesellschaft war eine wahre Olla potrida von Nationalitäten. Das Orchester bestand aus böhmischen Musikanten, welche das Argusauge Papanicola's auf einer Fiera( Jahrmarkt) in Lodi entdeckt und nach genauer Prüfung ihrer Leistungsfähigkeit für sein Unternehmen gewommen hatte. Das Chorpersonal rekrutirte er aus Mailands ehrsamen Handwerkern, die mit und ohne Erlaubnß ihrer Gattinnen eine Fahrt in's alte romantische Land" riskiren wollten.
Unsere Primadonna assoluta, eine Wienerin, die soeben dem berühmten Taubenschlag des mailänder Gesanglehrers Lamperti entflatterte, war eine üppige Milch- und Blutblondine im ersten Thauschimmer der Jungfräulichkeit. Beim Anblick der anmuth vollen Majestät ihrer mittelgroßen Gestalt überschlugen sich meine flösterlich gemaßregelten Sinne in nebelhafter Phantastik und ich deklamirte halblaut:
27
Tu sei quel dolce fuoco, L' anima mia sei tu!"*)
Ich muß aber bei dieser Rhapsodie eine lächerliche Figur gespielt haben, denn mein neapolitanischer Baßbuffofollege, ein zweiter Sancho Pansa, follerte wie ein Truthahn vor Lachen, in welches die Altistin, eine sehnige Spanierin mit der gelben Blässe à la Velasquez und ihr Mann, der fadgeschniegelte Baritonist, Franzose von Geburt, aus vollem Halse einstimmten. Nur Signorina Giuseppina Negroni, wie man die fesche Wienerin Pepi Schwarz verwälscht hatte, lachte nicht und flüsterte mir mit ihrem glockentönigen Organ in's Ohr: Machen's Ihnen nix aus diese wälischen Kazelmacher." Obzwar der grammatische Aufbau dieser Sentenz den alten Adelung sammt den Gebrüdern Grimm wahrscheinlich zur Verzweiflung gebracht haben würde, war er für mich Sphärenklang aus Himmelshöhen" und steigerte das bewundernde Entzücken zur Liebe. Wir stolzen Herren der Schöpfung sind doch nur Knechte der Schönheit. Sie, der Inbegriff aller Huld, hatte Mitleid mit dem langaufgeschossenen Pfäfflein, das zwar mit längst vermoderten Herren wie Sallust und Tacitus auf vertrautem Fuße, stand aber unter lebenden Menschen ein unbeholfener Schulfuchs war, dessen einziges Verdienst in einer ausgiebigen Tenorstimme bestand.
Nachdem Kapellmeister Luigi Arditi , der Vater des damals noch neugeborenen Walzers Il baccio" der Gesellschaft die sechs landläufigen Opern, welche in zahllosen Wiederholungen abgehaspelt, jede Stagione ausfüllen mußten, eingetrichtert hatte, ging unsere Reise über Oesterreich nach den Donaufürstenthümern. Das leichtlebige Theatervölkchen, das nie den Teufel spürt und wenn er sie beim Kragen hätte", war für mich ein interessantes Beobachtungsobjekt und erweiterte meine Sprachkenntnisse, denn bei unseren gemeinschaftlichen Mahlzeiten summten und schwirrten die Sprachen durcheinander wie beim Völkerstrike des babylonischen Thurmbaues.
Bei meinem ersten Debut in Jassy , als Manrico in Verdi's " Troubadour ", hätte ich beinahe durch den neckischen Kobold Zufall Schiffbruch gelitten. Als mich das Publikum nach der hinter den Koulissen gesungenen Serenade beim Erscheinen auf der Szene applaudirte, nahm ich, mich linkisch verbeugend, mit dem Federhut zugleich die Lockenperrücke ab, die mir der Friseur auf meine flösterlich kurzgeschnittenen Haare gesetzt hatte. Das haarige Ungeheuer glitt, von mir unbemerkt, aus der Hand zu meinen Füßen. Ürplößlich brach der Applaus ab, das Publikum wigala weiawogte vor meinen Augen wie ein sturmgepeitschter See. Der eifersüchtige Luna flüstert dem verhaßten Manrico zu:„ Aufheben, *)
Du bist mein süßes Feuer, Meine Seele bist du!
hauptung" zu meinen Füßen für einen mir zugeworfenen Lorbeerfranz und, sie aufhebend, drücke ich sie mit offizieller Rührung an die Brust. Jetzt brach das Publikum in homerisches Gelächter aus. Als ich meinen Frrthum gewahr wurde, preßten meine zuckenden Finger in wüthender Verzweiflung- die Berrücke, wie einst der racheschnaubende Othello Desdemonas Taschentuch. Mein schüßender Engel, die fesche Pepi- Lenore, entriß mir die Perrücke und stülpte sie auf meinen Kopf leider schief. Jetzt konnten sich auch die Musiker nicht mehr vor Lachen halten; vergebens fuchtelte Arditi mit seinem Taftirstock, das Orchester war und blieb aus Rand und Band das tragische Finale des ersten Aktes wurde unter Hohngelächter begraben. Glücklicherweise sicherte mir der Hervorruf nach der Stretta des dritten Aftes einen durchschlagenden Erfolg. Nach Verlauf von vier Wochen war ich Routinier, d. h. man sah mir das Lampenfieber nicht mehr an, wenn auch die Pulse Generalmarsch schlugen. In Bukarest ( Bukureschti, Stadt der Freuden, wo elende Hütten neben stolzen Palästen stehen), dem Lasterpfuhl moralischer Verkommenheit, lernte ich zwei politische Flüchtlinge, den Schriftſteller Moris Hartmann und den ungarischen General Klapka tennen, welche mich in die politische Arena einführten, was ich heute noch, nach 20 Jahren, dankend anerkenne. Erst auf ihren Wink drang mein Blick durch die glänzend polirte Schale der sozialen Verhältnisse zu dem faulen Kern, der nur nominell aufgehobenen Leibeigenschaft, welche auf neunzehntel der Bevölkerung, den Bauern, lastet. den Bauern, lastet. Die eingewanderten Handwerker und Kaufleute unterstehen glücklicherweise der Konsularjustiz ihres Stammlandes. Die rumänische Regierungsmaschine, diese lächerliche Nachäffung des französischen Parlamentarismus, arbeitet nur für die oberen Zehntausend". Das Volk ist eine recht- und besitzlose Heerde, die nur zu oft ihre Wuth an den Knechten der Knechte, den Juden, ausläßt. Der Dorobanze( Gensdarm) führt nebst den Waffen den Kantschu( Geißel) im Gürtel und bindet Arretirte an den Schweif seines Pferdes. Nicht viel schlechter sah es bei den„ Enkeln Koms " vor ihrer Unterjochung durch Trajan aus und so ist es heute. Das rumänische Volkselement diente immer nur als passive Unterlage für die in den transsylvanischen Alpen sich vorübergehend festsetzenden Nationen. Dem Hohenzoller Carl wird es ebensowenig wie seinem berüchtigten Vorgänger Cusa gelingen, den rumänischen Augiasstall zu säubern, wenn er nicht von unten anfängt.
"
Da ich den Gelagen meiner Kollegen keinen Geschmack abgewinnen konnte, fehrte ich bald zu meinen geliebten Büchern zurück, 8. h. zu denjenigen, die mir die russische Grenzpolizei auf der Reise nach Odessa nicht konfiszirt hatte. Börne und Proudhon bekam ich zwar nach vielem Antichambriren wieder, aber von Censurstrichen wie Zebra gestreift.
Damit man in dem schönen Odessa nicht vergißt, daß es in Rußland liegt, werden die breiten Straßen, die strahlenförmig am Hafen zusammenlaufen, von fettenbelasteten Sträflingen ge= kehrt, die wahrscheinlich infolge ihrer opulenten Verpflegung die Vorübergehenden anbetteln und das Almosen mit ihren Wächtern in Wuttki verkneipen. In der Nähe des botanischen Gartens steht der Schandpfahl, Karke genannt, wo die zur Deportation nach Sibirien Verurtheilten, bis zum Gürtel entkleidet, dreimal dreißigmal geknutet werden. Ich sah einen siebzigjährigen Falschmünzer während der barbarischen Prozedur den Geist aufgeben. Auch Puschkin und Lermontoff, der russische Schiller und der russische Goethe, haben die schmachvolle Züchtigung erlitten. Bei dem deutschen Spion und russischen Staatsrath Herrn von Kotzebue hat man leider eine Ausnahme gemacht.
Erst auf dem herrlichen, freien Schwarzen Meer, am Bord des stattlichen Steamers Wladimir", der die lustigen Komödianten nach Poti in Georgien hinüberführte, konnte ich wieder meines Lebens froh werden. Um zu beweisen, wie wenig die glitzernde Spiegelfläche das Epitheton" schwarz" verdient, will ich einen Sonnenuntergang zu schildern versuchen, soweit es die Feder permag. Auf der Höhe von Balaclava, in der Nähe des blutgetränkten Sebastopol , ging die Sonne zu Rüste. Wo finde ich Worte, zu schildern, wie der blutrothe Schein des sinkenden Tagesgestirnes mit der blaudunkeln Meerestiese sich zu bläulichpurpurnem, schwingendem und zitterndem Schimmer vermählt, wie die Silberatome der Brandung in ewig veränderlichem Demantglanz in allen Farben sprühen, wie Wolfengebirge, gleich Inseln, aus dem Meere tauchen, goldumsäumt, blutüberströmt und von Azurblau durchduftet, wie Phöbos immer tiefer sinkt, immer