jener rationellen Landes- Pferdezucht, wie sie heute mit steigendem Erfolge in allen civilisirten Ländern im Interesse des National­wohlstandes gepflegt wird. Nur auf Grund jener genealogischen Pferdestudien war es allmählich gelungen, allen Pferdebesizern bis in das kleinste Dorf hinab ein klares Verständniß der wunder­vollen und mächtigen Vererbungsgeseze beizubringen. Aehnliches ist zu erhoffen, von der noch in ihren Anfängen stehenden Wissen schaft der Photogeneagraphie und von dem veredelnden Ein­fluß, den ihr Studium erzieherisch auf die künftige Zuchtwählung der einzelnen Menschen zu Nutz und Frommen der Gesammtheit auszuüben berufen ist.

Wir schauen in den ausgelegten Stammtafeln neben den Stammbäumen Luthers   und Bismarcks auch die Deszendenten gesunder Arbeiterehepaare und finden überall dasselbe große Natur­gesetz der Physiognomienvererbung, sei es, daß dieselbe als un­unterbrochene oder als überspringende Vererbung auftrete. Das Porträt des bekannten Malers La Roche   in meiner Sammlung verräth uns sofort seinen natürlichen kaiserlichen Vater in dem Schöpfer jenes bekannten französischen   Gesezes, des Code Napoléon  , welches selbst der Vaterschaft nachzuforschen verbietet. Ein anderer Porträtstammbaum läßt uns das geistreiche Bild eines elfjährigen, talentvollen Knaben in dem Daguerreotyp seiner mütterlichen Großmutter wiedererkennen. Wie beim Pferde die Kruppe", das Sprunggelenk, ja selbst die Farbeabzeichen, als konservative Erbstücke in den Enkel- und Urenkel- Fohlen mit Variationen sich wiederholen, so lassen sich in einzelnen Enkel- und Neffen- Porträts unserer eben erwähnten geneagraphischen Porträttafeln sogar der Körperwuchs und die natürliche Scheitelung des Kopfhaares, der Nasensattel, die Kinn- und Wangengrübchen, sogenannte Doppel­finne, ja die Hand und Fingerknöchelung als ererbte Eigenthümlich feiten irgendeines Vorfahren wiedererkennen. Selbst auch patho­logische Hautgebilde treten als Erzeugnisse der konservirenden" Sprossenvererbung bei einigen Stammbäumen in die Erscheinung. So begegnen wir dem Porträtcyklus einer Familie von mehr als zwanzig Köpfen in drei Generationen; der Stammvater dieser Familie, ein Italiener von Geburt, heirathete eine Norddeutsche und brachte einen bohnenförmigen Hautauswuchs an seiner linken Hand mit in die Ehe; dieses kleine Hautgewächs, welches schon bei seinen Geschwistern in Italien   ebenfalls als rudimentäres Erbstück früherer, Sechsfingerigkeit vorhanden war, ist auf der photographischen Abbildung jenes Herrn deutlich zu unterscheiden. Dieses plastische Muttermal" des Stammvaters sehen wir in den Photographien aller seiner Söhne und Töchter sich wiederholen, und zwar bald in kongruenter, bald in spiegelnder Uebererbung, d. h. bald von links auf links( korrespondirend), bald von links auf rechts( alternirend), aber stets auf demselben Punkte der Hand, wo der Stammvater es hatte, nämlich in der Gegend des Mittel hand- und Kleinfingergelenkes am äußeren Rande der Hand. Die Vererbung wird an diesem Familienbeispiele zu einer kon­stanten insofern, als sogar alle Kindeskinder ohne Ausnahme dieses selbige Muttermal mit Variationen an derselben Handstelle zeigen. Im vorliegenden Falle hat also die germanisirende Kreuzung weder in den männlichen noch in den weiblichen Linien das angeborne Familienmal des Stammvaters romanischer Ab­funft zu löschen vermocht. So geringfügig dieses eine Beispiel von Beständigkeit einer pathologischen Vererbung auf den ersten Blick scheinen mag, so wichtig dürfte dereinst eine Statistik ana-, loger Vererbungsfälle für die Feststellung neuer und für die Be­reicherung feststehender Vererbungsgesetze werden, besonders da in Zukunft jede nachwachsende Generation durch die Fortschritte der photographischen Porträtaufnahmen massenhafte Beiträge zu den geneagraphischen Porträt- Stammtafeln liefern kann, und so das flein begonnene Sammelwerk für die anthropologische Forschung statistisch in die Breite wachsen wird.

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Zu dem oben erwähnten photogeneagraphischen Beispiele von fonstanter, spiegelnder Vererbung finden wir ein merkwürdiges ethnographisches Seitenstück in der Herrscherfamilie eines süd­arabischen Volksstammes. Diese Familie begründet nämlich ihr Souveränetätsrecht nicht auf Gottes- oder Volkes- Gnaden, son­dern merkwürdigerweise auf ein anthropologisch- mystisches Prinzip, auf den Nachweis eines erblichen Sechsfingerthums. Durch künstliche Zuchtwahl, durch strengste Inzucht gelingt es dieser Dynastie, auf jedes Mitglied der Familie, mit der Verläßlichkeit eines Naturgesezes, 24 Finger und Zehen zu vererben. Die so­genannte Homologie, die Gleichmäßigkeit in der vererbten Ent­wicklung des ganzen Menschen und aller anderen Lebewesen, läßt uns schon jetzt mit Sicherheit annehmen, daß nach demselben

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Naturgeseze, nach welchem sich ein beständiges Sechsfingerthum züchten läßt, sich auch mit einer gewissen Beständigkeit Gehirn und Physiognomien nach Qualität und Quantität vererben, gleich­sam züchten lassen. Wir fühlen aus diesen wenigen Beispielen und aus den bis jetzt aufgestellten Tafeln meiner geneagraphischen Porträtsammlungen schon heraus, wie die Photogeneagraphie berufen ist, uns durch Bildurkunden zu belehren, daß jede Gene­ration in gewissen Grenzen die gesellschaftlichen Qualitäten der nachfolgenden Generationen schon in sich birgt und gleichsam voraus bestimmt. Die jedesmaligen Zuchtwahlgebräuche, die durchschnittlich herrschenden Zuchtwahlmotive eines Volksschlages in Bezug auf dessen eheliche Zuchtwahlen bestimmen in ganzen Völkern wie in den Familien unfehlbar die erblichen Charakter­züge, die Physiognomie der nächsten Generationen.

Wenn ich oben von einer gründlichen Aufbesserung der mensch­lichen Zuchtwahl, mit anderen Worten, der Verheirathungssitten und Verheirathungshindernisse, als von einer der größten sozialen Aufgaben unserer Zeit gesprochen, so wollte ich unter dem Aus­druck Ausbesserung der Zuchtwahl einerseits eine qualitative, andrerseits eine quantitative Veredlung der Menschenzüchtung, bei der Auswahl, unbeschadet der Civilstandsgebräuche verstanden wissen.

Werfen wir nur einen Blick auf die Statistik der zunehmenden Selbstmorde und der feigen Art von Verbrechen, bedenken wir das wachsende Bedürfniß nach Irrenanstalten   und Asylen für Blödsinnige, sehen wir z. B., daß trotz der vielen modernen Einschränkungen der Menschenzüchtung in England allein schon mehr als 60,000 blos einregistrirter Geisteskranker leben, dann kommt uns nach den Analogien der Entartung von Pferderassen schon aus diesen oberflächlichen Betrachtungen die Vermuthung, daß in erster Linie in der Züchtung, in der Fortpflanzung des Menschengeschlechtes bei einzelnen Völkern irgendetwas nicht ganz in Ordnung sein müsse. Mit der schauerlichen Statistik der ver­erbten Geistesschwäche scheint die der vererbten Charakterschwäche, der Gefügigkeit für Kriegszwecke und andere Zuchtwahleingriffe überall Hand in Hand zu gehen, und wenn die Völker sich unter unerschwinglichen Opfern hinter Bergen von Bajonetten und hinter Panzerplatten verkriechen und diese ihre epidemische Massen­feigheit Heroismus nennen, so ist nach allen Analogien der Thier­züchtung auch diese Völkerschwächung, wie wir gleich sehen werden, vorwiegend das Ergebniß der Züchtungseingriffe grau­samer Staatsmänner voraufgehender Jahrzehnte und Jahrhunderte. Diese Warnzeichen der Zeit dürften schon hinreichen, uns auf große Züchtungsfehler und auf die dringende Nothwendigkeit einer Zuchtwahlverbesserung im Menschengeschlechte zu verweisen. Wer den Einfluß der Charaktervererbung bei den Thieren und beim Menschen studirt hat, der hält nicht viel von den Experimenten der blos erzieherischen Volksveredelung, wenn nicht mit der Dressur eine Vererbungsverbesserung, eine Blutveredelung durch naturgemäße Zuchtwahl Hand in Hand geht.

Ein Prinzip, welchem der Staat mit Recht so große finanzielle und administrative Mittel zur Verfügung stellt, wie das der Hebung und Veredelung der Pferdedeszendenz, muß eine gewaltige und zwar eine erprobte wirthschaftliche Wahrheit in sich tragen, und es dürfte unserem Jahrzehnt geziemen, diese öffentliche Recht­fertigung der Deszendenzpraxis, wie sie in der Landespferde­züchtung zum Ausdruck kommt, auch für eine Massenveredelung der Menschenzuchtwahl als erzieherische Richtschnur zu nehmen.

Es drängt sich uns dabei die Frage auf: sind die Vererbungs-, die Deszendenzgesetze, welche in den Stammbäumen der Pferde­züchtung so wunderbar zu Tage treten, nur ein Naturspiel dieser und wenig anderer Thiergattungen? Oder ist die nachgewiesene qualitative Deszendenz der Individuen ein allgemeingiltiges bio­logisches Naturgesetz aller Lebewesen?

Die Charakter- und Physiognomienvererbung ist allerdings für alle Lebewesen innerhalb der Grenzen einer Gattung ein Natur­gesez, dessen geheimnißvolles Walten von vernünftiger Seite nirgend mehr bestritten wird.-

Nun spricht ein Staatsökonom sich über den volkswirthschaft­lichen Nußen einer rationellen Pferdezucht in folgenden treffenden Worten aus:" Der Staat hat ein hervorragendes Interesse an der Hebung der Landespferdezucht. Die qualitative Hebung der­selben bewirkt eine bedeutende Steigerung des Nationalwohl­standes. Schließlich kann unsre Armee nur durch eine gute Landespferdezucht anderen Armeeen nicht allein ebenbürtig, son­dern überlegen hingestellt werden. Die Wehrkraft des Staates steht also mit der Landespferdezucht in unzertrennlicher Wechsel­