Die Acne Bell
N30.Jahrg..
Erscheint wöchentlich. Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
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In Heften à 30 Pfennig.
1878.
Die Rückkehr der Damen hatte sich bis in den Herbst hinein| verzögert. Die Verwandten Leontinens gingen von Pyrmont nach dem Rhein und Emmy setzte es durch, daß man sie auch dorthin begleite; sie fand es so verlockend, eine Weinlese mit durchzumachen, und Martha hatte ihr, wie sehr sie sich auch nach Hause sehnte, durch ihre Weigerung die Freude nicht verderben mögen. Sie hatte sich schweigend gefügt, aber es war ihr schwer geworden und sie hatte überhaupt von der ganzen Reise wenig Genuß gehabt. Wie oft hatte sie in jungen Jahren von einer solchen Reise geträumt und geschwärmt, und jetzt, wo diese alten Träume ihre Erfüllung fanden, blieb ihr Gemüth falt und leer, und ihr war, als sehe sie die wechselnden Landschaftsbilder durch graue, alles verschleiernde Gläser. Sie machte sich Vorwürfe über diese Unempfindlichkeit und fragte sich dann wieder traurig, ob denn ihr Herz schon abzusterben beginne vor dem Frosthauch des Alters; wenn aber dann ihre Gedanken nach der schlesischen Heimat wanderten und das Bild dessen vor ihr auftauchte, den sie so oft ganz heimlich ihren Freund genannt, bis er plötzlich fremd und falt und schen zurücktrat, legte sie die schlanke weiße Hand vor die Augen und mußte bei aller Traurigkeit über den Einfall, daß ihr Herz abzusterben beginne, leise lächeln. Hatte es doch nie in ihrem Leben so bang, so rastlos geschlagen. Sie hatte oft bitteres Heimweh nach M. und zählte die Tage bis zur Rückkehr; ungeduldig sehnte sie den endlich für die Abfahrt festgesezten Tag herbei und zitterte vor einem neuen Verschiebungsbeschluß; als der Tag gekommen war, begrüßte sie ihn mit einem unsagbaren Gefühl der Erleichterung und der Beruhigung, und es lag wie ein Hauch von Heiterkeit über dem stillen, ernsten Gesicht, als sie in Köln vom Hotel nach dem Bahnhof fuhren. Es ist immer ein freudiges Gefühl, mit dem man nach mehrmonatlicher Abwesenheit die Heimatberge und die Thürme der Vaterstadt begrüßt, und selbst Emmy empfand dasselbe und gab ihm in ihrer kindlichlebhaften Weise Ausdruck; Martha hatte sich in die Kissen zurückgelehnt und legte die Rechte vor's Gesicht, als blende sie die Abendsonne, sie fühlte, daß ihr die Augen feucht wurden, und das sollte niemand sehen.
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Herr Reischach war auf dem Perron, als sie ankamen; in überwallender Freude schloß er sein Töchterlein, das wie ein Heckenröschen blühte, in die Arme und versuchte, Frau v. Larisch, die seine etwas ungeschickte Galanterie stets mit gutem Humor
III. 27. April 1878.
ablehnte, ein Kompliment über ihr Aussehen zu machen. Sie hatte sich allerdings fast verjüngt, seit die von ihr gesuchte Begegnung in Pyrmont das von ihr gewünschte und ihrer Eitelkeit schmeichelnde Resultat ergeben hatte. Der junge Schriftsteller war, als er ihr unvorbereitet in der Brunnen- Allee begegnete, jäh bis in die Schläfen erröthet und dann ebenso plötzlich bleich geworden; er war, als sie ihn später in Gesellschaft traf und hn mit holder Unbefangenheit" freundlich ansprach, verlegen, einfilbig und verwirrt gewesen; als sie später einmal plötzlich zur Seite sah, hatte sie entdeckt, daß sein Blick mit einem nicht mißzuverstehenden Ausdruck auf ihren Zügen ruhte, und er hatte, wie auf einer unerlaubten Razzia ertappt, beschämt die Augen niedergeschlagen und sich abgewendet, um seine Befangenheit zu verbergen. Ab und zu war sie versucht gewesen, sich noch direktere Beweise dafür zu verschaffen, daß seine Schwäche für sie die alte sei, und sie hatte keinen Augenblick bezweifelt, daß dies sehr leicht sein würde; aber dann war ihr wieder Wolfgang eingefallen, sie hatte unwillkürlich Vergleiche angestellt und endlich mit einem achselzuckenden:„ Es lohnt sich wirklich nicht!" beschlossen, sich nicht weiter um den einstigen Anbeter" zu bekümmern.
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Martha dagegen kam blaß und wie übermüdet zurück; ihr Aussehen fiel selbst dem Kommerzienrath auf und er machte eine theilnehmende Bemerkung, erhielt aber nur ein zerstreutes Lächeln als Antwort. Ihr Blick überflog suchend die Menge, als müsse aus ihr die schlanke, stolze Gestalt Wolfgang Hammers auftauchen, und alles Blut schoß ihr zum Herzen, als sie unter den vielen eine Gestalt gewahrte, die sie einen Moment für ihn halten konnte; aber war es nicht vielleicht gut, daß er ihr nicht unerwartet entgegentrat? Hätte sie sich nicht vielleicht durch einen leisen Aufschrei verrathen, durch eine unwillkürliche, lebhafte Be wegung?
Wir finden die Damen einige Tage nach ihrer Rückkehr im Salon und Emmy erzählt Frau Rektor Stord unermüdlich von ihrer Reise und hebt besonders die zahlreichen kleinen komischen Episoden hervor, die sich ihrer Erinnerung am tiefsten eingeprägt haben. Frau Leontine hat den Herrn Rektor auf sich genommen; ohne irgendwie zu radikalen Reßereien zu neigen, findet sie die Hyperloyalität des Rektors, seine abgöttische Bewunderung für den Fürsten Reichskanzler, seine teutonische Verachtung für alles Französische, sein hochtrabendes Prahlen mit des neuen Reiches