Macht und Herrlichkeit sehr komisch, und das starke satirische Aederchen in ihr gibt ihr eine Reihe von feinen Bemerkungen ein, deren ironischer Nebensinn dem Herrn Rektor bei seiner ehrlichen Beschränktheit und seinem überſtiegenen Dünkel vollständig entgeht. Martha hört, mit einer feinen Handarbeit beschäftigt, schweigend zu; es scheint fast, als leihe sie diesem von Leontine mit soviel feiner Bosheit geführten Geplänkel, das für diese so amüsant ist und das sie vollkommen durchschaut, nur ein halbes Ohr und als sei die plumpe, ahnungslose Zuversicht, mit der der Rektor in jede ihm gelegte Falle tappt, für sie bereits etwas so Be kanntes, daß sie es langweilig finden darf.

Leontine fragte im verbindlichsten Tone und so, als interessire es sie auf's lebhafteste, zu hören, welche Erfolge der allezeit streit bare Herr Reftor im Kulturkampfe errungen habe:

,, Wie sind Sie in den letzten Monaten mit den Fortschritten Ihrer beredten Propaganda für den Reichskanzler und die Er zellenzen Falk und Eulenburg zufrieden gewesen? Ist der Geist der Bevölkerung ein besserer geworden?"

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" Ich darf wohl, ohne unbescheiden zu sein, sagen, daß ich nicht umsonst gewirkt und gekämpft habe. Würde ich nur einiger maßen unterstützt, so wäre der Sieg gewiß, aber ich stehe mit meiner schwachen Kraft, mit meinem ehrlichen guten Willen und mit meiner ich darf wohl sagen, heiligen Begeisterung für Kaiser und Reich fast ganz allein und finde überall nur Sym­pathien, aber keine werkthätige Förderung. Die Reichstreuen Die Reichstreuen haben sich eben daran gewöhnt, zu glauben, daß ich alles ver­mag und mit allem allein fertig werde, und da legt sich denn die liebe Bequemlichkeit auf die faule Bärenhaut und denkt ver­trauensvoll:, Unser Storck wird das schon machen.""

" Ja, Herr Rektor," warf Leontine ein, haben denn die Leute damit nicht eigentlich ganz recht und ist dieses blinde Vertrauen nicht ebenso ehrenvoll, als verdient? Es wird schwerlich noch ein Mann im Städtchen sein, dem die Gabe der Rede in nur annähernd gleichem Grade zur Verfügung steht, und dann sind Sie nun einmal die allezeit kampffreudige und schlagfertige Natur, deren Element der Streit der Geister ist."

Der so arglistig gefißelte Schulmonarch affektirte eine Be­scheidenheit, die ihm sehr fremd war. Er erwiderte mit einem Tonfall, der an das behagliche Knurren eines Katers erinnerte, dem eine weiche Hand das Fell kraut:

" Sie sind zu gütig, gnädige Frau, und überschäzen meine Verdienste. Es ist ja wahr, ich bin, gottlob, nicht leicht müde zu machen und fechte den großen Kampf zur Noth auch allein durch, aber man hat soviel Perfidie und Bosheit zu Boden zu schlagen, daß man sich doch zuweilen nach einem Bundesgenossen umsieht, der mit in die Bresche springt."

Eminy, die das Gespräch halb verfolgt hatte, sagte arglos: Warum schließen Sie nicht ein Schuß- und Truzbündniß mit Herrn Hammer? Das ist doch gewiß ein kenntnißreicher, gebildeter junger Mann, an dem Sie eine gute Hülfe hätten."

Der Rektor sah sie betreten an; er wußte ersichtlich nicht, ob sie sich einen sehr unziemlichen und übermüthigen Scherz mit ihm erlaubte oder ob dieser Vorschlag von einem arglosen und ahnungs­losen Kinde gemacht wurde. Martha's Spannung auf die Ant wort war größer als ihre Scheu, sich durch eine befremdliche Theilnahme zu verrathen; sie ließ unwillkürlich die Arbeit sinken und heftete ihre dunklen Augen auf den Rektor, während Frau von Larisch das Gespräch infolge dieser Wendung doppelt fesselnd zu finden schien. Des Rektors Gesicht verfinsterte sich und ein böses, faltes Lächeln zeigte seine großen gelben Zähne. Er sagte spiß und empfindlich:

Sie scheinen wenig über dieses Herrn wahres Wesen unter richtet zu sein, gnädiges Fräulein. Grade gegen ihn und sein Lichtscheues Wühlen könnte ich Hülfe gebrauchen!"

Emmy war sichtlich betroffen; sie antwortete rasch: ,, Würden Sie wohl die Güte haben, uns das zu erklären, Herr Rektor? Das, lichtscheue Wühlen ist mir wirklich voll tommen unverständlich."

" Zwei Worte genügen; dieser Herr Hammer, dem es, wie ich mit Bedauern sehe, gelungen ist, sich auch in so distinguirte Kreise einzuschleichen, ist ein Feind unseres ritterlichen Kaisers und seines großen Kanzlers, ein Feind der Religion, des Eigenthums und der Familie."

In Martha's Augen zuckte es flüchtig auf; Leontine lächelte mit überlegener Jronie, von Emmy's Lippen kam das helle, fröh­liche Lachen eines Kindes.

Aber, Herr Rektor, Sie verlangen doch nicht etwa, daß ich all

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diese schrecklichen Anschuldigungen so ohne weiteres für erwiesen an­sehen soll? Um ein paar kleine Details muß ich Sie schon bitten, denn die Männer sind ja immer geneigt, ihre politischen Gegner auch zugleich für ganz schlechte Kerle zu halten."

Ich

" Sie sollen zehn Beweise für einen haben, gnädiges Fräulein. Vor ein paar Wochen wurde in unserer nächsten Nähe die Kaiser­jagd abgehalten. Es war schon lange mein innigster Herzens­wunsch gewesen, den greisen Heldenkaiser einmal in meinem Leben von Angesicht zu Angesicht zu sehen; ich trommle also meine Knabenkapelle zusammen, miethe einen Omnibus und fahre nach dem Jagdschlosse, vor dem wir uns aufstellen. Seine Majestät kommen aus dem Walde, grüßen sehr leutselig die kleinen Musi­kanten, die Heil dir im Siegerkranz " anstimmen, und mich, und gehen in's Schloß, um sich umzuziehen. Bald darauf kommen Seine Majestät im Jagdanzug zurück und reden mich an. wurde gefragt, woher wir fämen, wieviel Kinder die Stadtschule habe, ob ich gedient hätte, und Seine Majestät geruhten dann zu bemerken, daß ich ja meinen Orden an einem falschen Bande trüge; das war in der That der Fall ich hatte das richtige kurz vorher bei einem Festzuge verloren. Ich bat um die Gnade, noch ein paar Stücke spielen lassen zu dürfen; Seine Majestät gingen dann in's Schloß und bald kam der Bescheid, daß wir uns zurückziehen möchten. Ich erzählte abends im Rathskeller von diesem schönsten Ereigniß meines Lebens, und der Herr Hammer, der mit einigen Feuerwehrleuten an einem Nachbartisch saß, zuckte nicht blos, als ich sagte, daß wir wie berauscht heim­gefahren seien, da wir das Schönste erlebt hatten, spöttisch die Achseln, sondern hat sich auch, wie ich später vom Wirth hörte, der ganz entsegt darüber war, dahin geäußert, daß ihm die Be­friedigung dieser Neugierde noch nicht einmal einen Weg von hundert Schritten werth sei und daß ihn der Tuc de Broglie und der Signor Gambetta menschlich immer noch mehr inter­essirten, als dieser, alte Herr'. Ist das nicht revoltirend, meine Damen?"

Er fuhr, als er diesen Trumpf ausgespielt hatte, nach einer furzen Kunstpause noch lebhafter fort:

Ganz im Einklang damit steht es, daß er, als bei dem Stiftungsfest des Turnvereins ein Hoch auf den Reichskanzler ausgebracht ward, sich weder erhob, noch mit anstieß, und das berührte um so peinlicher und fataler, als eine ganze Anzahl Leute von der Feuerwehr, die sich daran gewöhnt haben, immer auf ihn zu sehen und in allem nach ihm sich zu richten, in demon­strativster Weise das Gleiche thaten. Dieser üble und gradezu seelenmörderische Einfluß auf die armen, einfachen Menschen, denen er ihr Bestes und Heiligstes stiehlt, reicht hin, ihn ge­fährlich zu machen."

Martha fiel dem Rektor in's Wort. Ich glaube, Herr Rektor, die Leute wählen durchaus noch nicht das schlechteste Theil, wenn sie dem Einfluß Herrn Hammers sich überlassen. Dieser Einfluß wird sich jedenfalls nicht blos in dieser, sondern in den verschiedensten Richtungen geltend machen, und selbst der von Ihnen angeführte politische Einfluß will mir durchaus nicht so seelenmörderisch erscheinen. Ich würde auch nicht stundenweit fahren, um den Kaiser zu sehen, und der Kanzler vollends" Sie entschuldigen, mein Fräulein!" unterbrach der Rektor, der anfing zu fürchten, daß er eine politische Keßerei zu hören bekommen werde, die sich beim besten Willen nicht vertuschen und beschönigen ließe. Eine Dame hat selbstverständlich das Recht, in politischen Dingen anders zu fühlen, als ein Mann, und wenn sie voll holder Sinnigkeit in ihrem engen weiblichen Kreise bleibt, statt Antheil an den großen Fragen der Nation und an ihren großen Männern zu nehmen, so kann sie niemand deshalb tadeln; ich bedaure sie höchstens darum, daß sie die hohe Fluth patriotischer Begeisterung und nationalen Stolzes nicht mitempfin den kann, die in so großer, herrlicher Zeit des Mannes Brust durchwogt. Vom Manne aber darf und muß ich fordern, daß sein Auge flammt, wenn die großen Heldennamen genannt werden, und wenn er nicht mit uns verehren kann oder will, so trägt er ein Kainsmal an seiner Stirn."

Martha antwortete nicht und bereute diesem Phrasenschwall gegenüber bereits, sich überhaupt eine Erwiderung haben entreißen zu lassen. Frau von Larisch dagegen meinte mit einem unver­kennbaren Anflug von Spott, der dem Rektor wiederum entging:

,, Trägt der Bedauernswerthe das unheimlich flammende Kains­mal blos deshalb, weil er keine Lust hatte, eine kleine Reise zu machen, um den Kaiser zu sehen und weil er nicht auf des Kanzlers Wohl anstieß?"