nein, gnädige Frau, keineswegs blos deshalb. In ganz ähnlicher Weise hat er, als es sich um die Betheiligung der Feuerwehr am Festzug der Sedanfeier handelte, es positiv abgelehnt, die Leute dazu zu kommandiren; er hat, wie wir ganz genau wissen, in einer vertraulichen Besprechung der Führer er klärt, daß es jedem freistehe, sich zu betheiligen, daß er für seine Person jedoch fehlen werde, und so hat er denn einfach nach einer Uebung den Leuten im gleichgiltigsten Tone die Aufforderung des Komité's als eine Einladung mitgetheilt, der man Folge geben oder die man unbenüßt lassen möge, wie es dem einzelnen eben beliebe. Natürlich sprach sich unter den Leuten bald herum, was er gegen die Chargirten geäußert hatte, und die Folge war, daß in unserm Festzug am Sedantage die Feuerwehr durch ihre Abwesenheit glänzte. Das Häuflein, welches sich eingefunden hatte, war so lächerlich klein, daß wir es wieder nach Hause schickten sie hätten höchstens als eine Deputation figuriren können."
Martha nickte, ohne ein Wort zu sagen, befriedigt in sich hinein; wie hübsch war es, daß die Leute sich so von ihm leiten ließen und ihm seine Wünsche an den Augen absahen! Aber fonnte es denn auch anders sein, mußten sie für ihn nicht durch Feuer und Wasser gehen? Frau von Larisch dagegen, der Wolfgangs politische Meinungen außerordentlich gleichgiltig waren und die nur etwas über ihn in Erfahrung bringen und den Rektor in Eifer sehen wollte, fragte, als nehme sie die Sache nachgrade doch ernst:
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es
" Hoffentlich hat Ihr Sündenregister keine Fortseßung?" " doch, gnädige Frau! Bei Gelegenheit der großen Herbstmanöver nahm unser ritterlicher Kronprinz für eine Nacht hier Quartier und die Stadt bereitete ihm einen herzlichen und feier lichen Empfang. Schade, daß Sie nicht hier sein konnten war ergreifend, überwältigend, einzig. Die Feuerwehr wurde er sucht, mit den Kriegern, Sängern u. s. w. Chaine zu stehen, lehnte aber, sehr höflich und verbindlich natürlich, durch ihren Hauptmann ab, und ihr Fehlen ist sogar Seiner kaiserlichen Hoheit aufgefallen, und der Herr Bürgermeister mußte wohl oder übel zu einer Nothlüge greifen."
Selbst dieser erschwerende Umstand erzielte jedoch noch lange nicht die gewünschte Wirkung. Frau von Larisch warf nur hin:
Lieber Gott , das ist aber immer noch kein Majestätsverbrechen. Ich denke mir das Chainestehen und Hurrahschreien nicht viel interessanter als das Sträußchenwerfen, und das überlasse ich
andern."
Auch Emmy , die inzwischen der Frau Rektorin in übermüthiger Laune allerlei übertriebene Schilderungen ihrer Reiseerlebnisse, Abenteuer und Fährlichkeiten entworfen und eine gläubige, kritik lose Zuhörerin gefunden hatte, und die dem Gespräch der andern nur halb gefolgt war, wendete sich an den patriotischen Schulmonarchen und sagte lebhaft:
„ Ach, gehen Sie mir mit Ihrer häßlichen, langweiligen Politik Herr Rektor. Wenn Sie weiter nichts gegen Herrn Hammer
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sagen können, fällt es mir garnicht ein, mich vor ihm zu fürchten und ihn für einen, lichtscheuen Wühler' zu halten. Er hat wirklich nichts, aber auch garnichts von einem Maulwurf!"
Sie sind um Ihre glückliche, kindliche Harmlosigkeit zu beneiden, gnädiges Fräulein!" seufzte der Rektor. Ach, man lernt, je älter man wird, nur immer mehr erkennen, daß oft grade die Offenheit und Freimüthigkeit die Maske sein muß für die verborgensten und verworfensten Pläne. Und dieser Herr Hammer ist mir ein neuer Beleg dafür, denn sein Vorgehen im Bildungsverein läßt mich vermuthen, daß diese ganze aufdringliche Thätigkeit nur Mittel zum Zweck, nur ein anscheinend sehr harmloses Mittel für einen schlimmen Zweck iſt."
Martha hob den Kopf, und ihre an sich so sanfte Stimme klang beinahe ein wenig scharf, als sie sagte:
" Darf ich Sie um eine Erklärung des Wortes, aufdringlich ersuchen? Ich möchte dasselbe fast für eine kleine Uebereilung halten."
" Ich bedaure, diese Bezeichnung durchaus nicht zurücknehmen oder auch nur mildern zu können. Ich hatte im Bildungsverein eine äußerst eifrige und unermüdliche, beinahe aufreibende, aber auch wahrhaft fruchtbringende Thätigkeit entfaltet; da drängte sich Herr Hammer als Gast ein, übte an einem Vortrage, den ich gehalten, eine anmaßende und von totalem Mangel an wissenschaftlicher Durchbildung zeugende Kritik und insultirte mich unter dem Beifall einiger roher Gesellen in so hochfahrender Weise, daß mir nichts übrig blieb, als ihm eine exemplarische Züchtigung angedeihen zu lassen und dann dem Verein für immer den Rücken zu kehren oder wenigstens für solange, als dieser Herr dort seine destruktiven Tendenzen verfolgt."
" Ich muß Ihnen gestehen, Herr Rektor, daß ich Ihrer Schilderung des Hergangs doch keinen vollen Glauben zu schenken vermag; ich bin zufällig in der Lage, Ihre Angaben durch die eines Mannes kontroliren zu können, dessen Glaubwürdigkeit der Ihrigen die Wage hält, und ich gestehe Ihnen weiter, daß mir die innere Wahrscheinlichkeit eher für den Bericht meines Gewährsmannes, als für den Ihrigen zu sprechen scheint. Ich bedaure, diese Zwischenbemerkung machen zu müssen, aber es widerstreitet meinem Gefühl, einen Abivesenden nicht in Schutz zu nehmen, wenn Dinge über ihn erzählt werden, die ich für, ungenau halte. Ich möchte beinahe vermuthen, daß auch die übrigen von Ihnen angeführten Thatsachen mit einer gewissen Vorsicht aufzunehmen sind und daß persönliche Gegnerschaft Ihren Mittheilungen eine Färbung verliehen hat, die man wohl grell nennen darf.
Martha hatte das gesagt, ohne die Stimme zu erheben, anscheinend ohne jede leidenschaftliche Aufwallung, und dennoch vibrirten ihre feinen Nasenflügel und sie hatte die Lippe gering schäßig, wo nicht verächtlich aufgeworfen. Welche Rücksicht hatte sie noch auf einen Mann zu nehmen, dessen Worte sie empörten, der Wolfgangs Feind, und zwar ein lügnerischer, verleumderischer, ( Fortseßung folgt.) feiger Feind war?
Die Reformatoren des 15. und 16. Jahrhunderts verwarfen in Sachen des Christenthums die sogenannte„ Tradition" oder mündliche Ueberlieferung, weil dieselbe die christliche Priesterschaft zur zügellosesten und unsittlichsten Willkür geführt hatte. Sie setzten als alleinige Grundlage der christlichen Religion„ die Schrift", d. h. die Bibel, und erklärten die Forschung innerhalb derselben für frei. Sie ahnten nicht, gewiß die meisten Sie ahnten nicht, gewiß die meisten nicht, daß die freie Forschung innerhalb der Schrift auch zur freien Forschung außerhalb derselben und über dieselbe führen müsse. Wer frei in der Schrift forscht, findet eben deren Mängel, Irrthümer und Widersprüche, beginnt an der Aechtheit zu zweifeln, prüft diese Aechtheit, findet sie unstichhaltig und mit ihrem Ansehen ist es vorbei. Aber ein solcher Vorgang im geistigen Leben betrifft doch nur erst die Schrift selbst. Ist aber der Menschen geist berechtigt, das Buch, welches die Offenbarung Gottes enthalten soll, zu prüfen, so frägt sich, ob er nicht auch noch andres derselben Prüfung unterziehen dürfe. Die Herren Theologen mochten vor solchen und noch weitergehenden Schlußfolgerungen erschrecken, allein darauf kommt es nicht an. Der Menschheits
genius hat am allerwenigsten Veranlassung, auf die Theologen und deren Vortheil Rücksicht zu nehmen; sie haben ja die meisten und größten Todsünden gegen ihn begangen. Die soeben bezeichnete Frage wurde daher gestellt, weil sie garnicht zu umgehen war, und die Antwort darauf konnte nur sein, daß der Menschengeist berechtigt sei, alles zu prüfen, auch was bisher für noch so heilig und unantastbar gegolten. Diese Berechtigung im Prinzip ausgesprochen und zugleich selbst ausgeübt und darauf eine neue Richtung der philosophischen Wissenschaft, der sogenannten kritischen Philosophie, begründet zu haben, ist das Verdienst des Mannes, der in der Ueberschrift genannt und dessen Leben und Wirken wir im Folgenden etwas näher betrachten wollen.
Immanuel Kant wurde am 22. April 1724 in Königsberg in Preußen geboren. Sein Vater war ein sehr rechtschaffener und geachteter Bürger, aber ein ganz unbemittelter Sattlermeister, der für sich und die Seinen durch sein Handwerk verdienen mußte, was zum Leben gehörte. Dessen Frau wird als zwar fromm, aber dennoch sehr verständig bezeichnet, und soll auf den Knaben von dessen frühester Kindheit an einen wohlthätigen Einfluß aus