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geübt haben. Wie es bei Kindern, aus denen später bedeutende Menschen geworden sind, in der Regel der Fall war, so auch hier: der heranwachsende Immanuel zeigte schon frühe hervorragende geistige Anlagen, so daß man trotz der dürftigen Verhältnisse doch daran dachte, ihn studiren zu lassen. Nach dem damals und zum Theil heute noch herrschenden Vorurtheil einfacher, frommer Leute war es selbstverständlich, daß er später als junger Mann Theologie studiren, Geistlicher" werden solle. Man brachte den talentvollen Knaben also nach dem Gymnasium seiner Vater­stadt. Das Jahr des Eintritts in diese höhere Lehranstalt ist uns nicht bekannt, aus der Thatsache jedoch, daß Kant schou im Jahre 1740, also im Alter von sechzehn Jahren, die Universität beziehen konnte, geht deutlich genug hervor, daß er das Gymnasium in furzer Zeit durch­gemacht haben und ein sehr fleißiger Schüler gewesen sein muß. Nun sollte der Plan, Geistlicher zu werden, ausgeführt werden, und der noch so junge Studiosus war auch erst bereit, dem Wunsch der Eltern nachzukom men. Allein schon nach ganz kurzer Zeit hatte er allen Ge­schmack an der Theo­logie verloren, verließ dieselbe und wandte sich dem Studium der Naturwissenschaften, der Mathematik und Philosophie zu. Diese Studien scheinen in regelrechter, ruhig fort­schreitender Weise sich vollzogen zu haben. Es wird wenigstens aus jener Zeit nichts näheres aus dem Leben und über den Entwick­lungsgang des jungen Mannes gemeldet.

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lang; im Jahre 1772 gab er sie wieder auf, weil sie ihm zuviel Zeit in Anspruch nahm. Außer den genannten Vorlesungen hielt Kant noch solche über Logik, Metaphysik, Naturrecht, Moral, natürliche Theologie und Anthropologie. Er soll einen sehr guten, fließenden und belebten Vortrag gehabt haben. Da er selbst sehr belesen war, wußte er denselben mit den Aussprüchen anderer bedeutender Autoritäten zu würzen. Er wußte den Gang einer Untersuchung mit der größten Klarheit darzulegen. So kam es, daß Zuhörer aus den verschiedensten Ständen zu ihm kamen. Wilhelm von Humboldt aber sagt von ihm, daß er weniger Philosophie, als zu philosophiren gelehrt habe. Auch muß er eine stark entwickelte Einbildungskraft gehabt haben. Es wird nämlich erzählt, daß er in seinen Vorlesungen über physische

M.M.X.A.

Geographie die ver­schiedensten Gegenden der Erde mit einer solchen Lebendigkeit zu schildern verstand, als ob er sie selbst besucht und in Augenschein genommen gehabt hätte, und doch war er nie mehr als nur einige Meilen weit über Kö­ nigsberg hinausgekom­men und hatte jene Gegenden nur Beschreibungen kennen gelernt. Als ihn eines Tages ein reisender Engländer hörte, wie er die Westminster­brücke in London schil­derte, hielt ihn dieser für einen Architekten, der längere Zeit in der Hauptstadt Eng­lands gelebt haben müsse.

aus

Seine schriftstelle­rische Laufbahn begann Immanuel Kant schon im Jahre 1777, also in einem Alter von erst 23 Jahren, und zwar mit einer Ab­handlung: Gedanken

von der wahren Schäßung der lebendi­gen Kräfte." Innerhalb des engen Rahmens, der uns hier gezogen, ist es nicht möglich, auch nur kurz über alle Werke, Abhandlungen und Aufsäße zu be richten, welche Kant geschrieben. Wir müssen uns daher be­gnügen, nur das allerwichtigste in möglichst klarer Weise, mit­zutheilen.

Immanuel Kant .

Nachdem er die Universitätsjahre hin­ter sich und einen be­stimmten Vorrath von Wissen gesammelt hatte, trat an ihn die Auf­gabe heran, von nun an selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Er nahm darum eine Haus­lehrerſtelle an. Neun Jahre lang wirkte er in mehreren Familien in diesem Berufe, die Laufbahn und den Wirkungskreis, wohin er seinem Wissen nnd seiner eigensten Natur nach gehörte, fest im Auge behaltend. Dieser sein eigentlicher Lebensberuf aber war fein anderer, als die öffentliche Lehrthätigkeit an einer Hochschule. Im Jahre 1755 habilitirte er sich als Privatdozent an der Universität Königsberg und begann Vorlesungen zu halten über Philosophie, Physik und Mathematik. Wenn nun auch Kant gleich von Anfang an durch diese seine wissenschaftlichen Vorträge fich Ruhm erwarb und eine Anzahl Schüler herbeizog, wenn auch die damals erscheinenden Literaturbriefe" ihn bereits als den künftigen Reformator der deutschen Philosophie" bezeichneten, so dauerte es doch volle fünf­zehn Jahre, bis er, 1770, zum ordentlichen Professor der Logik und Metaphysik ernannt wurde. Da nun kant ohne jedes Ver­mögen war, so konnte er während dieser Zeit nur von seinem Verdienste, d. h. dem Honorar leben, das ihm seine Zuhörer für die Vorlesungen zahlten. Vom Jahre 1763 ab hatte er allerdings als Unterbibliothekar an der Schloßbibliothek ein fesies Einkommen von 62 Thalern. Diese Stelle behielt er neun Jahre

Nachdem Kant sich als selbständiger Forscher im Bereiche der Wissenschaft, und besonders der Philosophie, umgesehen und zu­rechtgefunden, kam es ihm vor, als ob der ganze seit Jahrhun derten aufgeführte Bau nicht mehr haltbar sei. Es kam ihm vor, der ganze bisherige Standpunkt sei nicht mehr brauchbar und es müsse ein ganz neuer gewonnen werden. Er hielt es daher vor allem für nothwendig, das Ganze einer strengen, un­nachsichtlichen Prüfung zu unterziehen. Wer aber sollte diese Prüfung anstellen? Doch nur der Menschengeist. Aber besaß derselbe auch die Fähigkeit zur Lösung dieser Aufgabe? Sprach die bisher herrschende Anschauung ihm diese Fähigkeit nicht ganz und gar ab? Dennoch war kein anderer Ausweg vorhanden. Es galt also zu allererst, die menschlich- geistige Anlage über­haupt einer eingehenden, scharfen Prüfung zu unterziehen. War dieses erst geschehen, so konnte dann weiter untersucht werden, ob auch die bisherige Leistung des Menschengeistes eine gute ſei;