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No 31. Jahrg.

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

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In Heften à 30 Pfennig.

Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. Erscheint wöchentlich.- Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Ein verlorener Posten.

Roman von Rudolf Lavant . ( Fortsetzung.)

Frau von Larisch, die der Kontroverse mit gespanntem Inter­effe folgte, hielt es für angezeigt, zu interveniren, damit das Gespräch, auf mildere Formen zurückgeführt, weitergesponnen werden konnte. Sie sagte:

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Es frappirt mich einigermaßen, daß Martha so entschieden widerspricht, und ich bin geneigt, anzunehmen, daß sie im Rechte ist. Ich will Ihnen gewiß nicht zu nahe treten, Herr Rektor, ich fürchte aber beinahe auch, daß eine natürlich vollauf be­rechtigte politische Gegnerschaft Ihnen dabei einen kleinen Streich gespielt hat. Wenn eine Frau, die sich der vollsten Un­parteilichkeit rühmen darf, dagegen reagirt, so dürfen Sie ihr das nicht übelnehmen."

Der Rettor hielt es für angezeigt, die ihm auf den Lippen schwebende ironische Frage nach dem Namen des Gewährsmanns, auf den Martha sich berief und der ihr soviel Vertrauen ein­flößte, zu unterdrücken; er glaubte diesen Gewährsmann sehr ge= nau zu fennen. Es schien ihm überdies, als habe er ein unfehl­bares Mittel in den Händen, Martha ihre Parteilichkeit für Wolfgang bereuen zu lassen, und er erwiderte also, mit einem Lächeln, das er für jarkastisch hielt, das aber nur impertinent war: " Ich bin weit davon entfernt, gnädige Frau, zu vergessen, daß meine Gegnerin eine Dame ist, und Damen pflegen bei Würdigung eines Mannes von Gesichtspunkten auszugehen, die für uns irrelevant sind, und Erwägungen Gehör zu geben, die wir nicht zu Rathe ziehen. Ich erlaube mir nur, an Fräulein Hoyer die Frage zu richten, ob sie auch damit einverstanden ist, daß Herr Hammer und ein ihm befreundeter Chemiker im Bildungs­verein ganz offen und unverblümt den Materialismus und Atheis­mus predigen und bemüht sind, in diesen armen Menschen den Glauben ihrer Väter zu zerstören und zu verflüchtigen?"

Lassen Sie meine Antwort eine indirekte sein. Ich würde etwas darum geben, diese Vorträge mit anhören und mir so die Antwort auf mancherlei Fragen holen zu können, die in mir auf getaucht sind und die mich zuweilen förmlich gequält haben. Und wie kommt es, daß Sie plötzlich so besorgt um das Seelenheil jener Leute sind? Wenn ich mich recht erinnere, habe ich öfters Gelegenheit gehabt, aus Ihrem Munde recht freigeistige Aeuße rungen zu hören, Aeußeringen, die grade nicht nach positiver Religion und orthodorem Lutherthum flangen. Ist bei Ihnen eine Befehrung eingetreten, Herr Rektor?"

1878.

Gewiß nicht, ich stehe dem Protestantenverein ziemlich nahe und würde kaum zaudern, mich ihm anzuschließen, legte nicht die altehrwürdige Frömmigkeit unseres kaiserlichen Herrn jedem Pa­trioten eine gewisse Reserve auf. Uebrigens haben meine per­sönlichen Ansichten mit der Frage so gut wie nichts zu thun. Der gebildete Theil der Nation mag ja mit heimlichem Lächeln und einem Achselzucken auf den groben Köhlerglauben der Masse herabblicken, aber er soll sich hüten, sich öffentlich zu seiner freieren Auffassung zu bekennen, und es ist offenbarer Frevel, wenn er im Volfe die religiösen Stüßen untergräbt, wenn er es unternimmt, die Aufklärung, die sein Vorrecht ist, in die Tiefe zu tragen. Wissen Sie nicht, was unser unsterblicher Schiller ge­sagt hat: , Weh' denen, die den Ewigblinden Des Lichtes Himmelsfackel leih'n! Sie leuchtet nicht, sie kann nur zünden, Und äschert Städt' und Länder ein."?"

Martha sah den Eifernden mit einem Blicke an, der ihm hätte verrathen können, daß er die Achtung dieses Mädchens nicht mehr besaß, wenn er sie je besessen. Ich kenne Ihre Theorie der Auf­klärung für die Spizen, der Unwissenheit und des Aberglaubens für die Basis des Volts; sie ist weder neu noch originell; sie zu widerlegen, kann ich mich nicht entschließen, so zuwider ist sie mir. Ich habe meinen Schiller übrigens auch gelesen und ent­sinne mich einer Stelle, die wohl auch hierher paßt:

, Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, Vor dem freien Manne erzittre nicht.""

Aber, Fräulein, woher haben Sie diesen unpraktischen Radi­falismus? Uebersehen Sie denn in Ihrer romantischen Schwärmerei ganz, daß man das Volk der Sozialdemokratie in die Arme treibt, wenn man ihm seinen Glauben nimmt; daß die Masse, wenn sie nicht mehr auf die ausgleichende und rächende Gerechtigkeit in einem irdisch gedachten Jenseits hoffen kann, nothwendig auf den Einfall kommt, sich lediglich mit den Zuständen hienieden zu beschäftigen? Das Volk muß etwas haben, woran es sich halten kann, und wir stürzen uns in die heillosesten und schrecklichsten Verwirrungen, wenn wir es nicht in dem findlich- poetischen Bibel­glauben zu erhalten suchen seinem besten und schönsten Trost. Die Bildung und Aufklärung in ihren höchsten und reinsten Formen